Urteile nº T-309/12 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, July 16, 2014

Resolution DateJuly 16, 2014
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-309/12

„Staatliche Beihilfen – Dienstleistungen der Beseitigung von Tierkörpern und von Schlachtabfällen – Vorhaltung einer Seuchenreservekapazität – Beschluss, mit dem die Beihilfen für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt werden – Unternehmensbegriff – Vorteil – Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse – Ausgleich für eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung – Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten und Wettbewerbsverzerrung – Bestehende Beihilfen oder neue Beihilfen – Notwendigkeit der Beihilfe – Subsidiarität – Berechtigtes Vertrauen – Rechtssicherheit – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache T‑309/12

Zweckverband Tierkörperbeseitigung in Rheinland-Pfalz, im Saarland, im Rheingau-Taunus-Kreis und im Landkreis Limburg-Weilburg mit Sitz in Rivenich (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin A. Kerkmann,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch V. Kreuschitz und T. Maxian Rusche, dann durch T. Maxian Rusche und C. Egerer als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Saria Bio-Industries AG & Co. KG mit Sitz in Selm (Deutschland),

SecAnim GmbH mit Sitz in Lünen (Deutschland)

und

Knochen- und Fett-Union GmbH (KFU) mit Sitz in Selm,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte U. Karpenstein und C. Johann,

Streithelferinnen,

wegen Nichtigerklärung des Beschlusses 2012/485/EU der Kommission vom 25. April 2012 über die staatliche Beihilfe SA.25051 (C 19/10) (ex NN 23/10), die Deutschland zugunsten des Zweckverbands Tierkörperbeseitigung in Rheinland-Pfalz, im Saarland, im Rheingau-Taunus-Kreis und im Landkreis Limburg-Weilburg gewährt hat (ABl. L 236, S. 1),

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Dittrich (Berichterstatter), des Richters J. Schwarcz und der Richterin V. Tomljenović,

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2014

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Rechtlicher Rahmen

1 Vor dem Erlass der Richtlinie 90/667/EWG des Rates vom 27. November 1990 zum Erlass veterinärrechtlicher Vorschriften für die Beseitigung, Verarbeitung und Vermarktung tierischer Abfälle und zum Schutz von Futtermitteln tierischen Ursprungs, auch aus Fisch, gegen Krankheitserreger sowie zur Änderung der Richtlinie 90/425/EWG (ABl. L 363, S. 51) waren die Vorschriften für die Beseitigung tierischer Abfälle in der Europäischen Union nicht harmonisiert. In Rheinland-Pfalz (Deutschland) oblag die Pflicht zur Beseitigung von Tierkörpern, Tierkörperteilen und tierischen Erzeugnissen nach dem Gesetz über die Beseitigung von Tierkörpern, Tierkörperteilen und tierischen Erzeugnissen (Tierkörperbeseitigungsgesetz, im Folgenden: TierKBG) vom 2. September 1975 (BGBl. 1975 I S. 2313) den Landkreisen und den kreisfreien Städten. Dieses Gesetz schrieb u. a. die Beseitigung in Tierkörperanstalten vor. Zudem schrieb § 2 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zur Ausführung des Tierkörperbeseitigungsgesetzes (Landestierkörperbeseitigungsgesetz, im Folgenden: LTierKBG) vom 22. Juni 1978 (GVBl. 1978, S. 445) vor, dass die Landkreise und die kreisfreien Städte zu diesem Zweck einen öffentlich-rechtlichen Zweckverband gründen.

2 Die Richtlinie 90/667 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Oktober 2002 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte (ABl. L 273, S. 1) aufgehoben. Diese Verordnung wurde wiederum durch die Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte (Verordnung über tierische Nebenprodukte) (ABl. L 300, S. 1) aufgehoben, die die Sammlung, den Transport, die Handhabung, die Behandlung, die Umwandlung, die Verarbeitung, die Lagerung, das Inverkehrbringen, den Vertrieb, die Verwendung und die Beseitigung tierischer Nebenprodukte regelt, damit diese Produkte keine Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier darstellen.

3 Nach den Art. 7 bis 10 der Verordnung Nr. 1069/2009 werden die tierischen Nebenprodukte im Sinne dieser Verordnung je nach den spezifischen Risiken, die für die Gesundheit von Mensch und Tier bestehen, in drei Kategorien unterteilt. Material der Kategorie 1 im Sinne der Verordnung Nr. 1069/2009 (im Folgenden: Material der Kategorie 1) birgt beträchtliche Risiken, die besonders mit der transmissiblen spongiformen Enzephalopathie (TSE) und dem Vorliegen von bestimmten verbotenen Substanzen und Umweltkontaminanten verbunden sind. Dieses Material muss vernichtet werden und darf nicht in den Verarbeitungskreislauf gelangen. Material der Kategorie 2 im Sinne der Verordnung Nr. 1069/2009 (im Folgenden: Material der Kategorie 2) beinhaltet erhebliche Risiken, da es aus Falltieren und anderen Materialien, die bestimmte verbotene Substanzen oder Kontaminanten enthalten, besteht. Dieses Material muss durch Verbrennung oder Verarbeitung entsorgt werden und darf nicht in Futter für Nutztiere enthalten sein. In bestimmten Fällen kann es jedoch als Düngemittel oder für technische Zwecke verwendet werden. Material der Kategorie 3 im Sinne der Verordnung Nr. 1069/2009 (im Folgenden: Material der Kategorie 3) umfasst u. a. Schlachtkörperteile, die, obwohl als genussuntauglich abgelehnt, keine Anzeichen einer auf Mensch oder Tier übertragbaren Krankheit zeigen, sowie Materialien von Tieren, die für den menschlichen Verzehr geeignet sind, aber aus wirtschaftlichen Gründen für andere Zwecke, wie Futtermittel für Nutztiere, genutzt werden.

4 In Deutschland ergibt sich die Umsetzung und Anwendung der genannten Verordnungen aus dem Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz vom 25. Januar 2004 (BGBl. 2004 I S. 82, im Folgenden: TierNebG). Nach § 2 TierNebG obliegt die Durchführung der Bestimmungen den zuständigen Landesbehörden. Gemäß § 3 Abs. 1 TierNebG sind die nach Landesrecht zuständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts verpflichtet, die Beseitigung und Verarbeitung von Material der Kategorien 1 und 2 durchzuführen. Nach den entsprechenden Bestimmungen des betroffenen Landes stellen die Landkreise und die kreisfreien Städte diese Körperschaften dar. § 3 Abs. 2 TierNebG sieht die Möglichkeit vor, die Beseitigung und Verarbeitung dieses Materials natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts zu übertragen. Die Beseitigung von Material der Kategorie 3 kann von jedem Verarbeitungsbetrieb durchgeführt werden, sofern die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1069/2009 eingehalten werden. Nach § 8 TierNebG sind die nach Landesrecht zuständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts verpflichtet, das Material der Kategorien 1 und 2 abzuholen. Soweit keine solche Abholpflicht besteht, legt § 9 TierNebG die Verpflichtung des Besitzers dieses Materials fest, es bei einem von der zuständigen Körperschaft des öffentlichen Rechts bestimmten Verarbeitungsbetrieb abzuliefern.

5 Mit Wirkung vom 1. Januar 1979 wurde der klagende Zweckverband Tierkörperbeseitigung in Rheinland-Pfalz, im Saarland, im Rheingau-Taunus-Kreis und im Landkreis Limburg-Weilburg mit Sitz in Rivenich (Deutschland) gemäß § 2 LTierKBG gegründet. Alle Landkreise und kreisfreien Städte in Rheinland-Pfalz und im Saarland (Deutschland) sowie der Rheingau-Taunus-Kreis und der Landkreis Limburg-Weilburg in Hessen (Deutschland) (im Folgenden: Verbandsgebiet) sind Mitglieder des Klägers. Nach den Art. 2 der Staatsverträge, die am 9. November 1972 und am 7. Dezember 1973 zwischen Rheinland-Pfalz einerseits und dem Saarland und Hessen andererseits geschlossen wurden, ist auf den Kläger das Recht des Landes Rheinland-Pfalz anwendbar.

6 Die Verbandsordnung des Klägers wurde vom Ministerium des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz gemäß dem Landesgesetz von Rheinland-Pfalz über die kommunale Zusammenarbeit vom 22. Dezember 1982 (GVBl. 1982, S. 476, im Folgenden: KomZG) festgestellt. Nach § 2 Abs. 1 KomZG hat der Kläger im Rahmen der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung und unterliegt lediglich der Rechtsaufsicht durch das Land Rheinland-Pfalz.

7 Die Mitglieder des Klägers haben von der Möglichkeit nach § 3 Abs. 2 TierNebG, die Beseitigung und die Verarbeitung von Material der Kategorien 1 und 2 natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts zu übertragen, keinen Gebrauch gemacht. Dagegen haben sie den Kläger gemäß § 2 seiner Verbandsordnung beauftragt, alle Rechte und Pflichten zu übernehmen, die ihnen als Beseitigungspflichtigen nach § 3 TierNebG in Verbindung mit dem rheinland-pfälzischen Landesgesetz vom 20. Oktober 2010 zur Ausführung des TierNebG (GVBl. 2010, S. 367, im Folgenden: AGTierNebG) und den entsprechenden Gesetzen des Saarlandes und des Landes Hessen oblagen. Der Kläger führt nach § 6 seiner Verbandsordnung seine Tierkörperbeseitigungsanlage als Eigenbetrieb. Nach § 8 Abs. 1 der Verbandsordnung des Klägers werden die Aufgaben der Werksleitung von der Gesellschaft für Tierkörperbeseitigung mbH (GFT) wahrgenommen, die durch einen Betriebsführungsvertrag vertraglich mit dem Kläger verbunden ist und dessen Weisungsbefugnis unterliegt.

8 Die Satzung des Klägers vom 6. Dezember 2004 sieht in ihrem § 4 Abs. 1 für im Verbandsgebiet produziertes Material der Kategorien 1 und 2 einen Anschluss- und Benutzungszwang vor.

9 Der Kläger beseitigte im Verbandsgebiet nicht nur Material der Kategorien 1 und 2, sondern auch Material der Kategorie 3. Außerdem übernahm er ab dem Jahr 2000 die Beseitigung von Material der Kategorien 1 und 2 in einem Teil von Baden-Württemberg (Deutschland) und ab dem Jahr 2009 auch in Nord- und Mittelhessen, d. h. in Regionen, die nicht zum Verbandsgebiet gehören. Von 1998 bis 2009 fiel fast die Hälfte des vom Kläger verarbeiteten Materials unter die Kategorie 3 oder kam nicht aus dem Verbandsgebiet.

10 Für die Sammlung und die Beseitigung oder Verarbeitung von Material der...

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