Urteile nº T-566/08 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, September 13, 2013

Resolution DateSeptember 13, 2013
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-566/08

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Paraffinwachse – Markt für Paraffingatsch – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wurde – Preisfestsetzung und Marktaufteilung – Nachweis des Bestehens des Kartells – Begriff ‚einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung‘ – Dauer der Zuwiderhandlung – Unterbrechung der Zuwiderhandlung – Leitlinien von 2006 für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Gleichbehandlung – Unschuldsvermutung – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung – Haftung einer Muttergesellschaft für die von ihren Tochtergesellschaften begangenen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln – Bestimmender Einfluss der Muttergesellschaft – Vermutung im Fall einer 100%igen Beteiligung – Verhältnismäßigkeit – Rundungsmethode – Unbeschränkte Nachprüfung“

In der Rechtssache T‑566/08

Total Raffinage Marketing mit Sitz in Puteaux (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Vandencasteele, C. Falmagne, C. Lemaire und S. Naudin,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch: F. Castillo de la Torre und A. Biolan, als Bevollmächtigte, im Beistand von Rechtsanwalt N. Coutrelis,

Beklagte,

wegen teilweiser Nichtigerklärung der Entscheidung K(2008) 5476 endg. der Kommission vom 1. Oktober 2008 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.181 – Kerzenwachse), hilfsweise, Herabsetzung der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten O. Czúcz (Berichterstatter) sowie der Richterin I. Labucka und des Richters K. O’Higgins,

Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2010

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1 Mit der Entscheidung K(2008) 5476 endg. vom 1. Oktober 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/39.181 – Kerzenwachse) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) stellte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften fest, dass die Klägerin, Total Raffinage Marketing SA (ehemals Total France SA), und ihre zu 100 % an ihr beteiligte Muttergesellschaft, Total SA, mit anderen Unternehmen gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden: EWR) verstoßen hätten, indem sie sich an einem Kartell auf dem Markt für Paraffinwachse im EWR und auf dem deutschen Markt für Paraffingatsch beteiligt hätten.

2 Die Adressaten der angefochtenen Entscheidung sind außer der Klägerin und ihrer Muttergesellschaft Total SA (im Folgenden zusammen: Total-Gruppe oder Total) die folgenden Gesellschaften: ENI SpA, Esso Deutschland GmbH, Esso Société Anonyme Française, ExxonMobil Petroleum and Chemical BVBA und Exxon Mobil Corp. (im Folgenden zusammen: ExxonMobil), H&R ChemPharm GmbH, die H&R Wax Company Vertrieb GmbH und Hansen & Rosenthal KG (im Folgenden zusammen: H&R), Tudapetrol Mineralölerzeugnisse Nils Hansen KG, MOL Nyrt., Repsol YPF Lubricantes y Especialidades SA, Repsol Petróleo SA und Repsol YPF SA (im Folgenden zusammen: Repsol), Sasol Wax GmbH, Sasol Wax. International AG, Sasol Holding in Germany GmbH und Sasol Ltd (im Folgenden zusammen: Sasol), Shell Deutschland Oil GmbH,·Shell Deutschland Schmierstoff GmbH, Deutsche Shell GmbH, Shell International Petroleum Company Ltd, The Shell Petroleum Company Ltd, Shell Petroleum NV und The Shell Transport and Trading Company Ltd (im Folgenden zusammen: Shell), RWE Dea AG und RWE AG (im Folgenden zusammen: RWE) (Randnr. 1 der angefochtenen Entscheidung).

3 Die Paraffinwachse werden in Raffinerien aus Rohöl hergestellt. Sie werden für die Herstellung von Produkten wie Kerzen, Chemikalien, Reifen und Erzeugnissen der Automobilindustrie sowie in der Kautschuk-, Verpackungs- und Klebstoff- und Kaugummiindustrie eingesetzt (Randnr. 4 der angefochtenen Entscheidung).

4 Bei der Herstellung von Paraffinwachsen dient Paraffingatsch als Ausgangsmaterial. Es fällt in Raffinerien als Nebenprodukt bei der Herstellung von Mineralölen aus Rohöl an. Es wird auch an Endabnehmer, z. B. an Hersteller von Spanplatten, verkauft (Randnr. 5 der angefochtenen Entscheidung).

5 Die Kommission begann ihre Untersuchung, nachdem Shell Deutschland Schmierstoff sie mit Schreiben vom 17. März 2005 über das Bestehen eines Kartells informiert hatte und bei ihr einen Antrag auf Geldbußenerlass gemäß der Mitteilung der Kommission von 2002 über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 45, S. 3) (im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit von 2002) gestellt hatte (Randnr. 72 der angefochtenen Entscheidung).

6 Am 28. und 29. April 2005 führte die Kommission in Anwendung von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von „H&R/Tudapetrol“, ENI, MOL sowie in denjenigen der Gesellschaften der Gruppen Sasol, ExxonMobil, Repsol und Total durch (Randnr. 75 der angefochtenen Entscheidung).

7 Am 29. Mai 2007 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an die oben in Randnr. 2 genannten Gesellschaften, darunter Total France (Randnr. 85 der angefochtenen Entscheidung). Mit Schreiben vom 14. August 2007 antwortete Total France auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte.

8 Am 10. und 11. Dezember 2007 führte die Kommission eine mündliche Anhörung durch, an der Total France teilnahm (Randnr. 91 der angefochtenen Entscheidung).

9 In der angefochtenen Entscheidung vertritt die Kommission in Anbetracht der ihr vorliegenden Beweise die Ansicht, dass die Adressaten, die die Mehrheit der Paraffinwachs- und Paraffingatschhersteller im EWR darstellen, an einer einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen teilgenommen haben, die das Gebiet des EWR betraf. Diese Zuwiderhandlung bestand aus Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen über Preisfestsetzungen und über den Austausch und die Offenlegung vertraulicher Geschäftsinformationen über Paraffinwachse (im Folgenden: Hauptteil der Zuwiderhandlung). In Bezug auf RWE (später Shell), ExxonMobil, MOL, Repsol, Sasol und Total betraf die Zuwiderhandlung über Paraffinwachse auch die Aufteilung von Kunden und/oder Märkten (im Folgenden: zweiter Teil der Zuwiderhandlung). Außerdem betraf die von RWE, ExxonMobil, Sasol und Total begangene Zuwiderhandlung auch auf dem deutschen Markt an Endabnehmer verkauftes Paraffingatsch (im Folgenden: Paraffingatsch betreffender Teil der Zuwiderhandlung) (Randnrn. 2, 95, 328 und Art. 1 der angefochtenen Entscheidung).

10 Die rechtswidrigen Verhaltensweisen wurden bei wettbewerbswidrigen Zusammenkünften, die „technische Treffen“ oder manchmal Treffen „Blauer Salon“ genannt wurden, und bei „Paraffingatsch betreffenden Zusammenkünften“, die speziell den Fragen in Bezug auf Paraffingatsch gewidmet waren, von den Beteiligten ausgeübt.

11 Gemäß der angefochtenen Entscheidung waren die Beschäftigten von Total France während der gesamten Dauer unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligt. Die Kommission machte folglich Total France für ihre Beteiligung an dem Kartell haftbar (Randnrn. 555 und 556 der angefochtenen Entscheidung). Außerdem wurde Total France im Zeitraum 1990 bis zum Ende der Zuwiderhandlung unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 98 % von Total SA gehalten. Die Kommission war der Ansicht, dass auf dieser Grundlage vermutet werden könne, Total SA habe einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten von Total France ausgeübt, da beide Gesellschaften Teil desselben Unternehmens gewesen seien (Randnrn. 557 bis 559 der angefochtenen Entscheidung). In Beantwortung einer mündlichen Frage in der Anhörung, betreffend die Zuweisung der Haftung an ihre Muttergesellschaft, verwies die Klägerin auf die gesamten Informationen, die von Total SA in der im Zusammenhang stehenden Rechtssache T‑548/08, Total SA/Kommission, in der an diesem Tag das Urteil ergangen ist, übermittelt worden seien. In dieser Rechtssache erklärte Total SA in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts, dass Total France im streitigen Zeitraum unmittelbar oder mittelbar zu 100 % von ihr gehalten worden sei.

12 Die Höhe der im vorliegenden Fall verhängten Geldbußen wurde auf der Grundlage der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2) (im Folgenden: Leitlinien von 2006) berechnet, die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Mitteilung der Beschwerdepunkte an die oben in Randnr. 2 genannten Gesellschaften in Kraft waren.

13 Im Fall der Klägerin berücksichtigte die Kommission den Jahresumsatz auf den betreffenden Märkten. Dieser belief sich auf 31 133 865 Euro (davon 1 993 620 Euro für Paraffingatsch).

14 Dann berücksichtigte die Kommission für die Schwere der Zuwiderhandlung 18 % des Jahresumsatzes von Paraffinwachsen und 15 % des Jahresumsatzes von Paraffingatsch. Die sich daraus ergebenden Beträge wurden wegen der Dauer der Zuwiderhandlung mit dem Faktor 13 für Paraffinwachse und 7 für Paraffingatsch multipliziert. Ebenso bezog die Kommission nach Art. 25 der Leitlinien von 2006 in den Grundbetrag einen zusätzlichen, „Eintrittsgebühr“ genannten Betrag ein, der 18 % des Umsatzes von Paraffinwachsen und 15 % des Umsatzes von Paraffingatsch darstellte. Die Kommission gelangte schließlich für Total zu einer Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße in Höhe von 75 390 000 Euro (Randnr. 671 der angefochtenen Entscheidung).

15 Die Kommission hat gegenüber der Klägerin keinen erschwerenden oder mildernden Umstand angenommen, so dass der Grundbetrag insoweit nicht angepasst wurde. Jedoch legte die Kommission zum Zweck der Abschreckung im Hinblick auf den beträchtlichen Gesamtumsatz der Total-Gruppe gemäß Nr. 30 der Leitlinien von 2006 einen Koeffizienten von 1,7 fest. Indem...

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