Urteile nº T-174/16 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, March 14, 2017

Resolution DateMarch 14, 2017
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-174/16

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster - Nichtigkeitsverfahren - Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das eine Saugdüse für Staubsauger darstellt - Älteres Gemeinschaftsgeschmacksmuster - Nichtigkeitsgrund - Eigenart - Informierter Benutzer - Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002

In der Rechtssache T-174/16

Wessel-Werk GmbH mit Sitz in Reichshof (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Becker,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Schifko als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Wolf PVG GmbH & Co. KG mit Sitz in Vlotho (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J. Künzel,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 18. Februar 2016 (Sache R 1652/2014-3) in berichtigter Fassung zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Wolf PVG und Wessel-Werk

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Frimodt Nielsen, des Richters V. Kreuschitz (Berichterstatter) und der Richterin N. Półtorak,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 18. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 13. Juli 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 6. Juli 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien binnen der Frist von drei Wochen nach der Mitteilung, dass das schriftliche Verfahren abgeschlossen ist, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des daher gemäf‌l Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Am 18. Mai 2007 meldete die Klägerin, die Wessel-Werk GmbH, beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster gemäf‌l der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) an.

2 Das mit der Erzeugnisangabe „Saugdüse für Staubsauger“ angemeldete Geschmacksmuster wird wie folgt dargestellt:

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3 Das angegriffene Geschmacksmuster wurde am 18. Mai 2007 unter der Nr. 725932-0004 eingetragen und im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 88/2007 vom 19. Juni 2007 veröffentlicht.

4 Am 15. November 2013 beantragte die Streithelferin, die Wolf PVG GmbH & Co. KG, beim EUIPO gemäf‌l Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 6/2002 die Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters, wobei sie insbesondere geltend machte, dass dieses keine Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung zeige und dass es ihm an Neuheit und Eigenart im Sinne der Art. 5 und 6 der Verordnung mangele.

5 Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung führte die Streithelferin das ältere, am 18. April 2006 veröffentlichte Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 493945-0002 mit der Erzeugnisangabe „Staubsaugerdüsen“ an, das u. a. mit Fotografien (D1 bis D3) wie folgt dargestellt wird:

Image not found(D1) Image not foundImage not found(D2) Image not found(D3) 6 Mit Entscheidung vom 19. Juni 2014 wies die Nichtigkeitsabteilung sämtliche von der Streithelferin angeführte Nichtigkeitsgründe und damit ihren Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit insgesamt zurück und erlegte ihr die Kosten auf.

7 Am 3. Juli 2014 legte die Streithelferin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 ein.

8 Mit Entscheidung vom 18. Februar 2016, die mit Entscheidung vom 14. März 2006 berichtigt wurde (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde statt, hob die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf und erklärte das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig.

9 Zur Begründung der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer zunächst fest, dass der Nichtigkeitsgrund gemäf‌l Art. 25 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 nicht mehr Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sei (Rn. 13 der angefochtenen Entscheidung).

10 Im Rahmen ihrer Prüfung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 führte die Beschwerdekammer erstens aus, dass die vom älteren Geschmacksmuster dargestellten Staubsaugerdüsen mit Fadenheber gemäf‌l der Darstellung in Foto D3 vor dem Anmeldetag des angegriffenen Geschmacksmusters der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien (Rn. 15 bis 18 der angefochtenen Entscheidung). Zweitens sei der maf‌lgebliche informierte Benutzer im vorliegenden Fall die Person, die Staubsauger benutze. Ohne Entwerfer oder technischer Sachverständiger zu sein, kenne diese Person die verschiedenen Geschmacksmuster, die es im Bereich der Staubsaugerdüsen gebe, einschlief‌llich der Teile, über die diese Erzeugnisse gewöhnlich verfügten, wie beispielsweise Fadenheber, und widme ihnen eine verhältnismäf‌lig grof‌le Aufmerksamkeit (Rn. 19 und 20 der angefochtenen Entscheidung). Drittens war die Beschwerdekammer der Auffassung, dass der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers einmal hinsichtlich der Abmessungen und der Form des Fadenhebers, der auf die Gröf‌le des Saugmunds und der Düse abgestimmt sein müsse, dann hinsichtlich des Materials, das zur Aufnahme von Fäden und Fasern geeignet sein müsse, und schlief‌llich hinsichtlich der zur Gewährleistung ausreichender Bodenhaftung erforderlichen Wölbung eingeschränkt sei (Rn. 21 bis 23 der angefochtenen Entscheidung). Dagegen bestünden keine Einschränkungen in Bezug auf die Farbgebung. Hierzu führte die Beschwerdekammer im Wesentlichen aus, dass das Verbot der Verwendung des roten Farbstoffs, das aus einem an die Kunden der Klägerin gerichteten Rundschreiben vom 7. Februar 2007 hervorgehe, aus Umweltschutzerwägungen erfolgt sei, und nicht aufgrund technischer Vorgaben (Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung).

11 Zum Gesamteindruck, den die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster hervorrufen, stellte die Beschwerdekammer fest, dass sie hinsichtlich ihrer Struktur und Wölbung übereinstimmten und dass sich die Unterschiede demnach auf die Länge und die Farbgebung der Fadenheber beschränkten. Der informierte Benutzer wisse, dass die Länge im Wesentlichen durch den Aufbau der Staubsaugerdüse vorgegeben sei, und werde diesem Merkmal im Gesamteindruck keine besondere Bedeutung beimessen. Ferner wisse er auch, dass die Farbgebung anders als die Oberflächenstruktur keinerlei Auswirkungen auf die Funktion des Fadenhebers - und damit auf die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers - habe. Auf‌lerdem nehme der informierte Benutzer den Fadenheber nicht isoliert wahr, sondern als Bestandteil der Staubsaugerdüse und ihrer Funktionen, so dass er ihm eine geringere Bedeutung beimesse. Im Übrigen reiche der schwache Unterschied zwischen der braunen Farbe des angegriffenen und der roten Farbe des älteren Geschmacksmusters nicht aus, um beim informierten Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorzurufen und damit das Vorliegen von Eigenart zu begründen (Rn. 27 bis 29 der angefochtenen Entscheidung).

12 Die Beschwerdekammer zog aus alldem den Schluss, dass das ältere Geschmacksmuster der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters entgegenstehe und die Prüfung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters deshalb dahingestellt bleiben könne (Rn. 30 der angefochtenen Entscheidung).

Anträge der Parteien

13 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

- dem EUIPO sowie der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

14 Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

15 Zur Stützung ihrer Klage bringt die Klägerin drei Klagegründe vor. Erstens macht sie einen Verstof‌l gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 geltend. Dieser Klagegrund ist in zwei Teile unterteilt, mit denen zum einen eine fehlerhafte Auslegung des Begriffs des informierten Benutzers und zum anderen eine fehlerhafte Beurteilung des Gesamteindrucks der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster geltend gemacht werden. Zweitens rügt sie einen Verstof‌l gegen Art. 63 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 sowie drittens eine Verletzung von Art. 62 dieser Verordnung und des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Zum ersten Klagegrund: Verstof‌l gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002

16 Im Rahmen ihres ersten Klagegrundes bringt die Klägerin vor, die Voraussetzungen des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 lägen nicht vor, weil das angegriffene Geschmacksmuster Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung habe.

17 Erstens rügt die Klägerin die Auslegung des Begriffs des informierten Benutzers durch die Beschwerdekammer. Fadenheber seien Zwischenprodukte, die sich an Hersteller von Staubsaugern richteten. Sie würden unter der Kontrolle dieser Hersteller weiterverarbeitet, von diesen in Staubsaugerdüsen eingesetzt und dann an den Endverbraucher verkauft. Daher sei der informierte Benutzer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 im vorliegenden Fall die Industrie auf der nächsten Bearbeitungsstufe. Dank ihrer umfangreichen Kenntnis im betreffenden Bereich wüssten die Staubsaugerhersteller um die Merkmale verschiedener Fadenheber, seien besonders wachsam und nähmen einen direkten Vergleich zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern vor. Deren technische Eigenschaften setzten sich nur aus Geometrie, Oberfläche und Stoffqualität zusammen, seien aber auch von nicht unerheblicher Bedeutung für die Qualität der Staubsaugerdüsen und somit für die Staubsauger insgesamt. Hätte die Beschwerdekammer die informierten Benutzer zutreffend...

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