Κ.Α.Μ. v Republic of Cyprus.

JurisdictionEuropean Union
Celex Number62023CJ0454
ECLIECLI:EU:C:2025:114
Date27 February 2025
Docket NumberC-454/23
CourtCourt of Justice (European Union)
Procedure TypeReference for a preliminary ruling

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

27. Februar 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Asylpolitik – Internationaler Schutz – Richtlinie 2011/95/EU – Flüchtlingseigenschaft – Art. 14 Abs. 4 Buchst. a und Abs. 5 – Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft oder Ablehnung ihrer Zuerkennung im Fall einer Gefahr für die Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats – Verhaltensweisen und Sachverhalte vor der Einreise des Antragstellers in den Aufnahmemitgliedstaat – Zulässigkeit – Gültigkeit – Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 78 Abs. 1 AEUV – Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (‚Genfer Abkommen‘) “

In der Rechtssache C‑454/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Dioikitiko Dikastirio Diethnous Prostasias (Verwaltungsgericht für Internationalen Schutz, Zypern) mit Entscheidung vom 19. Juni 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juli 2023, in dem Verfahren

Κ. Α. Μ.

gegen

Republik Zypern

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter D. Gratsias (Berichterstatter), E. Regan, J. Passer und B. Smulders,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von Κ. Α. Μ., vertreten durch N. Charalambidou, Dikigoros,

– der Republik Zypern, vertreten durch F. Sotiriou und E. Symeonidou als Bevollmächtigte,

– der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

– des Europäischen Parlaments, vertreten durch I. Anagnostopoulou und R. van de Westelaken als Bevollmächtigte,

– des Rates der Europäischen Union, vertreten durch M. Balta, M. Moore und K. Pleśniak als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Adamopoulos, A. Azéma, F. Blanc, J. Hottiaux und A. Katsimerou als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft zum einen die Auslegung von Art. 12 und Art. 14 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9) sowie von Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und zum anderen die Gültigkeit dieses Art. 14 Abs. 4 Buchst. a im Hinblick auf Art. 78 Abs. 1 AEUV und Art. 18 der Charta.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen K. A. M. und der durch die Ypiresia Asylou (Asyldienst, Zypern) vertretenen Republik Zypern über dessen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den der Asyldienst mit der Begründung abgelehnt hat, dass K. A. M. eine Gefahr für die Sicherheit Zyperns darstelle.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3 In Art. 1 („Definition des Begriffs ‚Flüchtling‘“) des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]), das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnet wurde, am 22. April 1954 in Kraft trat und durch das am 31. Januar 1967 in New York geschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzt wurde (im Folgenden: Genfer Abkommen), heißt es in Abschnitt F:

„Die Bestimmungen [des Genfer Abkommens] finden keine Anwendung auf Personen, in Bezug auf die aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist,

a) dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen haben, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen;

b) dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden;

c) dass sie sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.“

4 Art. 33 („Verbot der Ausweisung und Zurückweisung“) des Genfer Abkommens sieht vor:

„1. Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.

2. Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“

Unionsrecht

5 In den Erwägungsgründen 21, 31 und 37 der Richtlinie 2011/95 heißt es:

„(21) Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist ein deklaratorischer Akt.

(31) Handlungen im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen sind in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt; sie sind unter anderem in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert, in denen erklärt wird, dass die ‚Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen‘ und dass die ‚wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen‘.

(37) Der Begriff der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung gilt auch für die Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt.“

6Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2011/95 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

d) ‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

…“

7 Kapitel II („Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz“) der Richtlinie 2011/95, das die Art. 4 bis 8 enthält, sieht die maßgeblichen Anhaltspunkte für die Feststellung vor, ob der Antragsteller internationalen Schutz benötigt. In Kapitel III („Anerkennung als Flüchtling“) der Richtlinie, das die Art. 9 bis 12 enthält, sind die Kriterien für die Eigenschaft als Flüchtling aufgeführt.

8Art. 12 („Ausschluss“) der Richtlinie 2011/95 sieht in Abs. 2 vor:

„Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er

a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen;

b) eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, das heißt vor dem Zeitpunkt der Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; insbesondere grausame Handlungen können als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden;

c) sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen.“

9Art. 13 („Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft“) der Richtlinie 2011/95 lautet:

„Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu.“

10 In Art. 14 („Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft“) Abs. 4 bis 6 der Richtlinie 2011/95 heißt es:

„(4) Die Mitgliedstaaten können einem Flüchtling die ihm von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Rechtsstellung aberkennen, diese beenden oder ihre Verlängerung ablehnen, wenn

a) es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält;

b) er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.

(5) In den in Absatz 4 genannten Fällen können die Mitgliedstaaten entscheiden, einem Flüchtling eine Rechtsstellung nicht zuzuerkennen, solange noch keine Entscheidung darüber gefasst worden ist.

(6) Personen, auf die die Absätze 4 oder 5 Anwendung finden, können die in den Artikeln 3, 4, 16, 22, 31, 32 und 33 [des Genfer Abkommens] genannten Rechte oder vergleichbare Rechte geltend machen, sofern sie sich in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten.“

11Art. 21 („Schutz vor...

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