Urteile nº T-384/09 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, January 23, 2014

Resolution DateJanuary 23, 2014
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-384/09

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Calciumcarbid und Magnesium für die Stahl- und die Gasindustrien im EWR außer Irland, Spanien, Portugal und dem Vereinigten Königreich – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Preisfestsetzung und Marktaufteilung – Verteidigungsrechte – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung – Begründungspflicht – Geldbußen – Gleichbehandlung – Mildernde Umstände – Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren – Verhältnismäßigkeit – Gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbuße – Leitlinien von 2006 für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen“

In der Rechtssache T‑384/09

SKW Stahl-Metallurgie Holding AG mit Sitz in Unterneukirchen (Deutschland),

SKW Stahl-Metallurgie GmbH mit Sitz in Unterneukirchen,

Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte A. Birnstiel, S. Janka und S. Dierckens, dann Rechtsanwälte A. Birnstiel und S. Janka,

Klägerinnen,

unterstützt durch

Gigaset AG, vormals Arques Industries AG, mit Sitz in München (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Grave, A. Scheidtmann und B. Meyring,

Streithelferin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch N. von Lingen und A. Antoniadis als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K(2009) 5791 endg. der Kommission vom 22. Juli 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.396 – Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl- und die Gasindustrien), soweit sie die Klägerinnen betrifft, sowie, hilfsweise, Nichtigerklärung oder Herabsetzung der den Klägerinnen durch diese Entscheidung auferlegte Geldbuße,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten O. Czúcz, der Richterin I. Labucka und des Richters D. Gratsias (Berichterstatter),

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2013

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Mit ihrer Entscheidung K(2009) 5791 endg. vom 22. Juli 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.396 – Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl- und die Gasindustrien) (Zusammenfassung im ABl. C 301, S. 18, im Folgenden: angefochtene Entscheidung) stellte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften fest, dass die Hauptanbieter von Calciumcarbid und Magnesium für die Stahl- und Gasindustrie gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verstoßen hätten, indem sie sich vom 7. April 2004 bis 16. Januar 2007 an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung beteiligt hätten. Diese habe in einer Aufteilung der Märkte, einer Festsetzung von Quoten, einer Aufteilung der Kunden, einer Festsetzung der Preise und einem Austausch vertraulicher Geschäftsinformationen über Preise, Kunden und Verkaufsvolumina im EWR mit Ausnahme von Irland, Spanien, Portugal und dem Vereinigten Königreich bestanden.

2 Das Verfahren wurde im Anschluss an einen von der Akzo Nobel NV am 20. November 2006 gestellten Antrag auf Geldbußenerlass gemäß der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung) eingeleitet.

3 In Art. 1 Buchst. f der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass sich die Klägerin zu 1, die SKW Stahl-Metallurgie Holding AG (im Folgenden: SKW Holding), vom 30. August 2004 bis 16. Januar 2007 und die Klägerin zu 2, die SKW Stahl-Metallurgie GmbH (bis 2005 SKW Stahl-Technik GmbH & Co KG, im Folgenden: SKW), vom 22. April 2004 bis 16. Januar 2007 an der Zuwiderhandlung beteiligt hätten. Wie aus Rn. 226 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, war die Kommission der Ansicht, dass im genannten Zeitraum Mitarbeiter von SKW direkt an den Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen des streitigen Kartells beteiligt gewesen seien. In Bezug auf SKW Holding geht aus Rn. 245 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass sie vom 30. August 2004 bis 16. Januar 2007 das gesamte Kapital von SKW hielt, und aus den in den Rn. 245 bis 250 der angefochtenen Entscheidung dargelegten Gründen war die Kommission der Ansicht, dass SKW Holding Teil derselben wirtschaftlichen Einheit wie SKW gewesen sei und daher für die von SKW begangene Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln haftbar gemacht werden könne.

4 In Art. 2 Buchst. f der angefochtenen Entscheidung verhängte die Kommission gegen die Klägerinnen und die Arques Industries AG (im Folgenden: Arques) wegen ihrer Beteiligung an der streitigen Zuwiderhandlung als Gesamtschuldner eine Geldbuße von 13,3 Mio. Euro. Außerdem verhängte sie in Art. 2 Buchst. g der angefochtenen Entscheidung gegen die Evonik Degussa GmbH (im Folgenden: Degussa), die AlzChem Hart GmbH und SKW als Gesamtschuldner eine Geldbuße von 1,04 Mio. Euro. In Fn. 681 zu Rn. 361 der angefochtenen Entscheidung heißt es hierzu:

„[SKW] ist für eine einzige Geldbuße verantwortlich und ihre kumulative gesamtschuldnerische Haftung mit anderen Adressaten dieser Entscheidung geht nicht über den Betrag von [13,3 Mio. Euro] hinaus ...“

Verfahren und Vorbringen der Beteiligten

5 Mit Klageschrift, die am 1. Oktober 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Klägerinnen die vorliegende Klage erhoben.

6 Mit Schriftsatz, der am 21. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Arques beantragt, im vorliegenden Rechtsstreit als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnen zugelassen zu werden. Der Streithilfeantrag ist den Parteien gemäß Art. 116 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts zugestellt worden. Mit Beschluss vom 2. Juli 2010 hat der Präsident der Fünften Kammer des Gerichts dem Streithilfeantrag stattgegeben.

7 Mit Schreiben, die am 22. Februar und 23. April 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Klägerinnen beantragt, dass bestimmte Textstellen und Anlagen ihrer Klageschrift und eine Randnummer ihrer Erwiderung gegenüber der Streithelferin vertraulich behandelt werden. Mit Schreiben, das am 30. Juli 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Streithelferin – außer in Bezug auf bestimmte Anlagen der Klageschrift – Einwände gegen die Anträge auf vertrauliche Behandlung erhoben.

8 Die Streithelferin hat ihren Streithilfeschriftsatz am 30. August 2010 eingereicht.

9 Infolge der Änderung der Zusammensetzung der Kammern des Gerichts ist der ursprünglich bestimmte Berichterstatter der Dritten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist. Wegen der teilweisen Neubesetzung des Gerichts ist die vorliegende Rechtssache einem neuen Berichterstatter zugewiesen worden, der dieser Kammer angehört.

10 Mit Beschluss vom 3. Mai 2011 hat der Präsident der Dritten Kammer des Gerichts die Anträge auf vertrauliche Behandlung zurückgewiesen, soweit gegen sie von der Streithelferin Einwände erhoben worden sind.

11 Am 6. Juli 2011 hat die Streithelferin im Anschluss an die Übermittlung der Teile, deren vertrauliche Behandlung abgelehnt worden ist, eine Ergänzung ihres Streithilfeschriftsatzes eingereicht. Mit Schreiben, das am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat sie das Gericht über die Änderung ihrer Firma in Gigaset AG unterrichtet.

12 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 der Verfahrensordnung die Kommission zur Beantwortung einer Frage und zur Vorlage bestimmter Schriftstücke aufgefordert. Die Kommission ist diesen Aufforderungen fristgerecht nachgekommen.

13 In der Sitzung vom 16. April 2013 haben die Beteiligten mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet. In der Sitzung haben die Klägerinnen in Beantwortung einer Frage des Gerichts erklärt, dass sie an ihrem Antrag auf vertrauliche Behandlung bestimmter Anlagen der Klageschrift, gegen die von der Streithelferin keine Einwände erhoben worden sind, nicht mehr festhalten. Diese Erklärung ist im Sitzungsprotokoll vermerkt worden.

14 Die Klägerinnen beantragen,

– die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie sie betrifft;

– hilfsweise, Art. 2 der angefochtenen Entscheidung dahin gehend abzuändern, dass die ihnen auferlegte Geldbuße aufgehoben oder zumindest erheblich herabgesetzt wird;

– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

15 Die Kommission beantragt,

– die Klage abzuweisen;

– den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

16 Die Streithelferin beantragt, dem ersten und dem zweiten Antrag der Klägerinnen stattzugeben.

Rechtliche Würdigung

17 Zur Stützung ihrer Klage machen die Klägerinnen sechs Klagegründe geltend, mit denen sie erstens eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, zweitens eine fehlerhafte Anwendung von Art. 81 EG, drittens eine Verletzung der Begründungspflicht, viertens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung durch die Ungleichbehandlung von SKW im Verhältnis zur Almamet GmbH Handel mit Spänen und Pulvern aus Metall (im Folgenden: Almamet), fünftens einen Verstoß gegen die Art. 7 und 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) sowie gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gesetzmäßigkeit der Strafen und sechstens einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 rügen.

18 Die Streithelferin, die die Anträge der Klägerinnen unterstützt, hat nur zum zweiten, zum vierten und zum fünften Klagegrund Erklärungen eingereicht.

Zum ersten Klagegrund: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

19 Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe ihre Verteidigungsrechte und insbesondere ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da sie ihnen nicht die...

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