Urteile nº T-457/09 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, July 17, 2014

Resolution DateJuly 17, 2014
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-457/09

„Staatliche Beihilfen – Umstrukturierung der WestLB – Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats – Art. 87 Abs. 3 Buchst. b EG – Entscheidung, mit der die Beihilfe unter bestimmten Bedingungen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird – Nichtigkeitsklage – Individuelle Betroffenheit – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit – Kollegialprinzip – Begründungspflicht – Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten – Verhältnismäßigkeit – Diskriminierungsverbot – Art. 295 EG – Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999“

In der Rechtssache T‑457/09

Westfälisch-Lippischer Sparkassen- und Giroverband mit Sitz in Münster (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte A. Rosenfeld und I. Liebach, dann Rechtsanwälte A. Rosenfeld und O. Corzilius,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch L. Flynn, K. Gross und B. Martenczuk, dann durch L. Flynn, B. Martenczuk und T. Maxian Rusche als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 2009/971/EG der Kommission vom 12. Mai 2009 über die staatliche Beihilfe C 43/08 (ex N 390/08), die Deutschland zur Umstrukturierung der WestLB AG gewähren will (ABl. L 345, S. 1),

erlässt

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen (Berichterstatter), der Richterin I. Pelikánová sowie der Richter E. Buttigieg, A. Collins und S. Gervasoni,

Kanzler: T. Weiler, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2013

folgendes

Urteil

Sachverhalt

  1. Beihilfeempfänger

    1 Im maßgebenden Zeitraum war die WestLB AG eine international operierende Geschäftsbank mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Mit einer Gesamtbilanzsumme von 286,5 Mrd. Euro (Stand: 31. Dezember 2007) war sie einer der führenden Finanzdienstleister Deutschlands. Als Zentralbank der Sparkassen in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Brandenburg (Deutschland) hatte sie für diese eine Brückenfunktion zu den globalen Finanzmärkten. Sie bot die komplette Produkt- und Dienstleistungspalette einer Universalbank an.

    2 Die Aktien der WestLB wurden im maßgebenden Zeitraum erstens vom Kläger, dem Westfälisch-Lippischen Sparkassen- und Giroverband, zweitens vom Rheinischen Sparkassen- und Giroverband, drittens vom Land Nordrhein-Westfalen, viertens vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe und fünftens vom Landschaftsverband Rheinland (im Folgenden: Eigentümer) gehalten.

    3 Der Kläger und der Rheinische Sparkassen- und Giroverband sind Zusammenschlüsse von Sparkassen der Regionen Westfalen-Lippe (Deutschland) bzw. Rheinland (Deutschland), die im maßgebenden Zeitraum jeweils 25,03 % des Kapitals der WestLB hielten. Das Land Nordrhein-Westfalen hielt 37,4 % des Kapitals. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und der Landschaftsverband Rheinland schließlich sind zwei Gemeindeverbände der Regionen Westfalen-Lippe bzw. Rheinland, die jeweils 6,09 % des Kapitals der WestLB hielten.

  2. Finanzielle Schwierigkeiten der WestLB und Notifizierung der Abwicklungsanstalt

    4 Ab Mitte 2007 entwickelten sich die strukturierten Portfolioinvestments der WestLB mit einem Nominalwert von 23 Mrd. Euro – darunter riskante „Subprime“-Hypothekarkredite – (im Folgenden: 23-Mrd.-Euro-Portfolio) rückläufig. Da es der WestLB nicht gelang, dieses Portfolio auf dem Markt zu refinanzieren, musste sie es in ihrer Bilanz konsolidieren, indem sie darin hohe Verluste auswies.

    5 Am 20. Januar 2008 entschieden die Eigentümer in einer Dringlichkeitssitzung zum einen, der WestLB bis zu 2 Mrd. Euro zuzuführen, um die für das Jahr 2007 erwarteten Verluste und vorübergehenden Wertabschreibungen auszugleichen, und zum anderen, dass die WestLB Umstrukturierungspläne umsetzen und mit der Landesbank der Bundesländer Hessen und Thüringen (Landesbank Hessen-Thürigen, im Folgenden: Helaba) über eine mögliche Fusion verhandeln sollte.

    6 Am 7. Februar 2008 teilte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit, dass die WestLB ohne Stützungsmaßnahmen Gefahr laufe, am 31. März 2008 die gesetzliche Mindestkapitalquote zu unterschreiten.

    7 Am 8. Februar 2008 einigten sich die Eigentümer auf ein so genanntes „Eckpunktepapier“. Diese Vereinbarung sah eine Maßnahme vor, die die am 20. Januar 2008 beschlossenen Maßnahmen ersetzen sollte, nämlich die Schaffung einer Abwicklungsanstalt (im Folgenden: Abwicklungsanstalt) zur Ausgliederung der Risiken des 23-Mrd.-Euro-Portfolios aus der WestLB. Am selben Tag informierte die Bundesrepublik Deutschland die Kommission über das Vorliegen der Vereinbarung, die am 27. März 2008 angemeldet wurde.

    8 Am 31. März 2008 genehmigten die Eigentümer die Errichtung der Abwicklungsanstalt vorbehaltlich der Zustimmung des Landtags des Landes Nordrhein-Westfalen.

  3. Beschreibung der Abwicklungsanstalt

    9 Die Errichtung der Abwicklungsanstalt umfasste den Verkauf des 23-Mrd.-Euro-Portfolios mit einem Volumen von 23 Mrd. Euro zu seinem Nominalwert an eine Zweckgesellschaft mit Sitz in Irland, die Phoenix Light SF Ltd (im Folgenden: Phoenix Light), mit Wirkung vom 31. März 2008. Diese Gesellschaft hatte sich verpflichtet, das genannte Portfolio weiter zu refinanzieren.

    10 Um den Verkaufspreis aufzubringen, emittierte Phoenix Light Schuldverschreibungen mit einem Nominalwert von 23 Mrd. Euro. Die Emission erfolgte in zwei Tranchen. Die erste Tranche bestand aus gewöhnlichen Schuldverschreibungen (im Folgenden: Senior Notes) mit einem Gesamtnominalwert von 18 Mrd. Euro. Die zweite Tranche bestand aus nachrangigen Schuldverschreibungen mit einem Gesamtnominalwert von 5 Mrd. Euro, die von Zahlungsausfällen aus den übertragenen Aktiva vorrangig betroffen sind (im Folgenden: Junior Notes).

    11 Das Land Nordrhein-Westfalen garantierte gegenüber den Inhabern der Junior Notes die Rückzahlung des entsprechenden Kapitals in vollem Umfang. Für jede gemäß der so gebildeten Garantie (im Folgenden: streitige Garantie) geleistete Rückzahlung konnte es nach dem Eckpunktepapier von den vier anderen Eigentümern entsprechend deren Beteiligung an der WestLB einen mit 2 Mrd. Euro begrenzten Ausgleich verlangen. Im Fall der Abrufung der zusätzlichen 3 Mrd. Euro konnte es verlangen, dass ihm diese Eigentümer die entsprechende Anzahl von ihren Aktien an der WestLB übertragen. Die Eigentümer konnten sich auch auf einen Barausgleich einigen.

    12 Phoenix Light musste für die streitige Garantie jährlich eine Avalprovision zahlen. Sie musste zudem eine Vergütung an die Halter der Schuldverschreibungen zahlen. Diese Kosten und die Verwaltungskosten für die Abwicklungsanstalt wurden durch die Vergütung für die auf Phoenix Light übertragenen Papiere abgedeckt.

    13 Sodann kaufte die WestLB die Junior Notes, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen entschieden die Wirtschaftsprüfer der WestLB wegen der Gewährung einer Garantie für diese Schuldverschreibungen durch das Land Nordrhein-Westfalen, dass deren Wert im Unterschied zu dem 23-Mrd.-Euro-Portfolio nicht nach unten korrigiert werden musste. Zum anderen konnten die Junior Notes bei Aufnahme der zu ihrem Kauf benötigten Mittel als Sicherheit verwendet werden.

    14 Die WestLB kaufte auch die Senior Notes.

  4. Ergänzende Anmeldung

    15 Am 11. April 2008 übermittelte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission eine ergänzende Anmeldung bezüglich der Abwicklungsanstalt. Sie wies darauf hin, dass diese Struktur nach der Genehmigung durch den Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen umgesetzt worden sei. Gleichzeitig räumte sie ein, dass die Durchführung der Abwicklungsanstalt die Gewährung einer staatlichen Beihilfe beinhaltete, und ersuchte deshalb um deren unverzügliche Genehmigung als Rettungsbeihilfe. Sie verpflichtete sich, der Kommission innerhalb von sechs Monaten, also am 8. August 2008, entweder einen Umstrukturierungsplan für die WestLB oder den Beweis für die vollständige Beendigung der streitigen Garantie vorzulegen. Sie wies darauf hin, dass die WestLB im letztgenannten Fall alle etwaig erhaltenen Zahlungen zurückzahlen müsste und alle wirtschaftlichen Effekte der Garantie rückgängig gemacht würden.

  5. Genehmigung der streitigen Garantie für eine Dauer von sechs Monaten

    16 Am 30. April 2008 nahm die Kommission die Entscheidung K(2008)1628 endgültig über die von der Bundesrepublik Deutschland zugunsten der WestLB geschaffene Abwicklungsanstalt (Beihilfe NN 25/2008, ex CP 15/08) (im Folgenden: vorläufige Entscheidung) an.

    17 In dieser Entscheidung ging die Kommission erstens davon aus, dass die streitige Garantie eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 EG sei (Erwägungsgründe 28 bis 39 der vorläufigen Entscheidung).

    18 Zweitens merkte die Kommission an, dass die in der vorstehenden Randnummer genannte Beihilfe nicht zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats bestimmt sei. Folglich könne sie nicht auf der Grundlage von Art. 87 Abs. 3 Buchst. b EG als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden. Jedoch ging die Kommission nach Prüfung der Beihilfe im Licht der Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten (ABl. 2004, C 244, S. 2, im Folgenden: Leitlinien über die Rettung und Umstrukturierung) davon aus, dass sie nach Art. 87 Abs. 3 Buchst. c EG genehmigt werden könne (Erwägungsgründe 41 bis 58 der vorläufigen Entscheidung).

    19 In diesem Zusammenhang stellte die Kommission erstens fest, dass die WestLB ein Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne der Leitlinien über die Rettung und Umstrukturierung sei. Wäre die streitige Garantie nicht gewährt worden, hätte die WestLB die gesetzliche Mindestkapitalquote nicht einhalten können; außerdem wäre ihre Kreditwürdigkeit herabgestuft worden, was ihre Refinanzierung erschwert hätte und zusätzliche Verluste nach sich gezogen hätte, die auf mittlere Sicht zur Einstellung ihrer Geschäftstätigkeit...

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