Urteile nº T-79/12 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, December 11, 2013

Resolution DateDecember 11, 2013
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-79/12

„Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Europäische Märkte für Internetkommunikationsdienste – Entscheidung, mit der der Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird – Offensichtliche Beurteilungsfehler – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑79/12

Cisco Systems Inc. mit Sitz in San Jose, Kalifornien (Vereinigte Staaten),

Messagenet SpA mit Sitz in Mailand (Italien),

Prozessbevollmächtigte: L. Ortiz Blanco, J. Buendía Sierra, A. Lamadrid de Pablo und K. Jörgens, Rechtsanwälte,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch N. Khan, S. Noë und C. Hödlmayr als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Microsoft Corp. mit Sitz in Seattle, Washington (Vereinigte Staaten), Prozessbevollmächtigter: G. Berrisch, Rechtsanwalt,

Streithelferin,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C(2011) 7279 der Kommission vom 7. Oktober 2011, mit der die Durchführung des auf die Übernahme der Skype Global Sàrl durch die Microsoft Corp. gerichteten Unternehmenszusammenschlusses für mit dem Binnenmarkt und dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vereinbar erklärt wurde (Sache COMP/M.6281 – Microsoft/Skype),

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas sowie der Richter M. van der Woude (Berichterstatter) und C. Wetter,

Kanzler: S. Spyropoulos, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 2013

folgendes

Urteil

Sachverhalt

Verfahrensbeteiligte

1 Die Klägerinnen, die Cisco Systems Inc. (im Folgenden: Cisco) und die Messagenet SpA, sind Unternehmen, die u. a. Internetkommunikationsdienste und Internetkommunikationssoftware für Unternehmen und die breite Öffentlichkeit liefern.

2 Die Streithelferin, die Microsoft Corp., entwirft, entwickelt und vermarktet ein breites Spektrum von Software-Produkten für verschiedene Arten von EDV-Geräten. Zu diesen Produkten gehören Internetkommunikationsdienste und Internetkommunikationssoftware.

3 Die Skype Global Sàrl (im Folgenden: Skype) liefert Internetkommunikationsdienste und Internetkommunikationssoftware. Ihre Produkte erlauben die Sofortübermittlung von Nachrichten, Sprachanrufe und die Videokommunikation über das Internet.

Verwaltungsverfahren

4 Am 2. September 2011 meldete Microsoft gemäß Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 24, S. 1) einen Zusammenschluss an, mit dem sie die Kontrolle über Skype zu erlangen beabsichtigte.

5 Die Klägerinnen beteiligten sich an der Untersuchung der Europäischen Kommission. So nahm Cisco noch vor der förmlichen Anmeldung des Zusammenschlusses durch Microsoft am 1. August 2011 an einem Treffen mit der Kommission teil, beantwortete deren Fragen am 12. und 18. August 2011 und übermittelte am 9. September 2011 zusätzliche Antworten. Cisco antwortete auch auf andere Fragen der Kommission vom 13. September 2011, indem sie bei einer Videokonferenz am 14. September 2011 zusätzliche Informationen und am 19. und 26. September 2011 schriftliche Äußerungen übermittelte. Messagenet sandte am 20. September 2011 eine schriftliche Äußerung an die Kommission, nahm am 4. Oktober 2011 an einer Telefonkonferenz teil und lieferte am selben Tag weitere Informationen.

6 Am 7. Oktober 2011 erließ die Kommission gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 139/2004 die Entscheidung C(2011) 7279, mit der die Durchführung des auf die Übernahme von Skype durch Microsoft gerichteten Unternehmenszusammenschlusses für mit dem Binnenmarkt und dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vereinbar erklärt wurde (Sache COMP/M.6281 – Microsoft/Skype) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

Inhalt der angefochtenen Entscheidung

7 In der angefochtenen Entscheidung ging die Kommission davon aus, dass zwischen Internetkommunikationsdiensten, die sich an Kunden der breiten Öffentlichkeit richteten (im Folgenden: private Kommunikationen) und solchen, die sich an Unternehmenskunden richteten (im Folgenden: gewerbliche Kommunikationen), zu unterscheiden sei (Erwägungsgründe 10 bis 17 der angefochtenen Entscheidung). Es sei für ihre Wettbewerbsuntersuchung nicht erforderlich, innerhalb dieser beiden Kategorien von Kommunikationen eine genauere Unterteilung vorzunehmen, da der angemeldete Zusammenschluss selbst auf den engstmöglich definierten Märkten keine Wettbewerbsprobleme aufwerfe (Erwägungsgründe 18 bis 63 der angefochtenen Entscheidung). Die Kommission prüfte daher sodann die jeweilige Auswirkung des Zusammenschlusses auf den beiden von ihr festgestellten Märkten.

8 Da die Kommission hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung der Märkte der Ansicht war, das Rechtsgeschäft werfe selbst in Bezug auf den engstmöglichen Markt, nämlich den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), keine Wettbewerbsprobleme auf, nahm sie zur genauen Definition des räumlichen Referenzmarkts nicht Stellung (Erwägungsgründe 64 bis 68 der angefochtenen Entscheidung).

9 Zu den horizontalen Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Markt der privaten Kommunikationen bezog sich die Kommission, nachdem sie die Marktmerkmale untersucht hatte (Erwägungsgründe 69 bis 95 der angefochtenen Entscheidung), auf die engstmöglichen Marktsegmente, in denen die größte Überschneidung der Dienste von Microsoft und von Skype bestehe, nämlich das Segment der Sofortübermittlung von Nachrichten, die von PCs mit Windows-Betriebssystem (im Folgenden: Windows) ausgingen, das der von Windows-PCs ausgehenden Sprachanrufe und das Segment der von diesen PCs ausgehenden Videokommunikation. Das Rechtsgeschäft werfe selbst in diesen engen Segmenten keine ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt auf (Erwägungsgründe 96 bis 132 der angefochtenen Entscheidung). Insbesondere unterliege Microsoft im Segment der Videokommunikation auf unter Windows funktionierenden PCs (im Folgenden: enger Markt), in dem die neue Einheit mit den von Skype und von Microsoft unter der Marke „Windows Live Messenger“ (im Folgenden: WLM) angebotenen Diensten einen Marktanteil von 80 % bis 90 % hätte, nach Auffassung der Kommission einem Wettbewerbsdruck.

10 In der angefochtenen Entscheidung wurde auch die Frage geprüft, ob der Zusammenschluss auf dem Markt der privaten Kommunikationen Konglomeratwirkungen entfalte, insbesondere im Hinblick auf die bedeutende Stellung einiger Produkte von Microsoft, wie Windows, der Webbrowser Windows Internet Explorer und Microsoft Office, auf anderen Softwaremärkten. Die Kommission war dazu der Auffassung, dass die neue Einheit in der Lage sei, aber keinen Anreiz habe, diese Stellung zur Verfälschung des Wettbewerbs zugunsten der Produkte von Skype und von Microsoft zu nutzen, indem sie die Interoperabilität dieser Produkte mit Konkurrenzprodukten verschlechtere oder auf Praktiken wie Kopplungsgeschäfte zurückgreife. Selbst wenn die neue Einheit eine solche Abschottungsstrategie verfolgen sollte, wären die wettbewerbsschädigenden Auswirkungen laut der Kommission begrenzt oder nicht gegeben (Erwägungsgründe 133 bis 170 der angefochtenen Entscheidung).

11 Zu den horizontalen Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Markt der gewerblichen Kommunikationen kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass das Rechtsgeschäft keine ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt aufwerfe. Das Auftreten von Skype auf diesem Markt habe begrenzten Umfang, und die neue Einheit werde selbst auf den engstmöglichen Marktsegmenten, auf denen Skype gleichwohl tätig sei, nicht Marktführer (Erwägungsgründe 177 bis 202 der angefochtenen Entscheidung).

12 Die angefochtene Entscheidung ging auch auf bestimmte Befürchtungen ein, die Betreiber herkömmlicher Telefonnetze und andere Anbieter gewerblicher Kommunikationsdienste im Rahmen der Untersuchung der möglichen Konglomeratwirkungen auf dem Markt der gewerblichen Kommunikationen geäußert hatten, und sah diese Befürchtungen als unbegründet an (Erwägungsgründe 203 bis 221 der angefochtenen Entscheidung). Eine dieser Befürchtungen betraf die Möglichkeit, dass die neue Einheit eine begünstigte Zusammenführung der Kunden von Skype mit denen von Lync, einer von Microsoft entwickelten, an Unternehmen gerichteten Kommunikationssoftware, bewirken könnte, was der neuen Einheit einen großen Vorteil bei Unternehmen, die Callcenter nutzten, brächte. Laut der angefochtenen Entscheidung ist jedoch die neue Einheit nicht in der Lage und hat keinen Anreiz, eine Ausschließungsstrategie zu verfolgen, deren wettbewerbsschädigende Auswirkungen jedenfalls unwahrscheinlich seien (Erwägungsgründe 213 bis 221 der angefochtenen Entscheidung).

Verfahren und Anträge der Parteien

13 Mit Klageschrift, die am 15. Februar 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Klägerinnen die vorliegende Klage erhoben.

14 Mit an demselben Tag eingegangenem besonderen Schriftsatz haben die Klägerinnen außerdem einen Antrag auf beschleunigtes Verfahren nach Art. 76a der Verfahrensordnung des Gerichts und, hilfsweise, auf vorrangige Behandlung nach Art. 55 Abs. 2 der Verfahrensordnung gestellt.

15 Am 22. März 2012 hat das Gericht den Antrag auf beschleunigtes Verfahren zurückgewiesen. Auch dem Antrag, die Rechtssache vorrangig zu entscheiden, hat das Gericht nicht stattgegeben.

16 Mit Beschluss vom 23. Mai 2012 hat der Präsident der Vierten Kammer des Gerichts dem am 2. März 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Streithilfeantrag von Microsoft stattgegeben.

17 Am 29. Mai 2012 ist den Parteien mitgeteilt worden, dass nach Art. 47 § 1 der Verfahrensordnung kein zweiter Schriftsatzwechsel erforderlich ist.

18 Am 11. Juli 2012 hat Microsoft einen Streithilfeschriftsatz eingereicht. Am 24. Oktober 2012 haben die Klägerinnen und die Kommission ihre Erklärungen zu diesem Schriftsatz eingereicht.

19 Am 12. September 2012 stellte das Gericht den Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen schriftliche Fragen. Die Parteien haben diese...

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