Urteile nº T-301/04 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, September 09, 2009

Resolution DateSeptember 09, 2009
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-301/04

In der Rechtssache T-301/04

Clearstream Banking AG mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland),

Clearstream International SA mit Sitz in Luxemburg (Luxemburg),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. Satzky und B. Maassen,

Klägerinnen,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten zunächst durch T. Christoforou, A. Nijenhuis und M. Schneider, dann durch A. Nijenhuis und R. Sauer als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C(2004) 1958 endg. der Kommission vom 2. Juni 2004 in einem Verfahren nach Art. 82 [EG] (Sache COMP/38.096 - Clearstream [Clearing und Abrechnung])

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras sowie der Richter M. Prek (Berichterstatter) und V. M. Ciuc-,

Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Oktober 2008

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Die zweitgenannte Klägerin, die Clearstream International SA (im Folgenden: CI) mit Sitz in Luxemburg, ist eine Holdinggesellschaft, zu der die erstgenannte Klägerin, die Clearstream Banking AG (im Folgenden: CBF) mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland), und die Clearstream Banking Luxembourg SA (im Folgenden: CBL) gehören. Die Clearstream-Gruppe erbringt Dienstleistungen in den Bereichen Clearing, Abrechnung und Verwahrung von Wertpapieren. CBL und die Euroclear Bank SA (im Folgenden: EB) mit Sitz in Brüssel (Belgien) sind die beiden einzigen internationalen Zentralverwahrer, die derzeit in der Europäischen Union tätig sind. CBF ist der deutsche Zentralverwahrer und derzeit die einzige Bank mit dem Status einer Wertpapiersammelbank.

2 Am 22. März 2001 leitete die Kommission von Amts wegen eine Prüfung für den Bereich Clearing- und Abrechnungsleistungen ein und richtete an eine bestimmte Anzahl von Instituten erste Auskunftsverlangen, anschließend versandte sie weitere auf das etwaige missbräuchliche Verhalten von CI und CBF gerichtete Auskunftsverlangen.

3 Am 28. März 2003 übermittelte die Kommission den Klägerinnen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, die von diesen am 30. Mai 2003 beantwortet wurde. Die Anhörung fand am 24. Juli 2003 statt. EB erläuterte als dritte interessierte Partei am Verfahren ihre Ansichten bezüglich Marktdefinition in der Anhörung und in der Antwort auf ein Auskunftsersuchen der Kommission.

4 Am 14. April 2003 und 3. November 2003 erhielten die Klägerinnen Einsicht in die Akte der Kommission. Mit Schreiben vom 17. November 2003 informierte die Kommission die Klägerinnen darüber, wie sie beabsichtigte, bestimmte, nach der Akteneinsicht vom 14. April 2003 zur Akte gereichte Informationen sowie die von den Klägerinnen nach der Anhörung vom Juli zur Verfügung gestellte Kosteninformationen zu verwenden, und forderte sie auf, sich hierzu zu äußern. Die Klägerinnen antworteten mit Schreiben vom 1. Dezember 2003.

Angefochtene Entscheidung

5 Am 2. Juni 2004 erließ die Kommission die Entscheidung C(2004) 1958 endg. in einem Verfahren nach Art. 82 [EG] (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Darin wirft sie den Klägerinnen vor, gegen Art. 82 EG verstoßen zu haben, indem sie sich zum einen geweigert hätten, primäre Clearing- und Abrechnungsleistungen für EB zu erbringen und diese insoweit diskriminiert hätten, und zum anderen EB preislich diskriminiert hätten.

6 Die angefochtene Entscheidung enthält allgemeine Informationen über das Clearing und die Abrechnung von Wertpapiergeschäften, von denen die Wesentlichen im Folgenden wiedergegeben werden.

7 Die Abwicklung von Wertpapieran- und -verkäufen erfordert eine ständige Überprüfung des Eigentums an den betreffenden Wertpapieren, um für die Eigentumsübertragung bei Kauf oder Verkauf und die fortlaufende Bedienung des Instruments eine eindeutige Rechtslage zu gewährleisten. Aus diesem Grund müssen auf den Abschluss eines Wertpapiergeschäfts eine Reihe weiterer Schritte folgen.

8 Das Clearing ist der Vorgang zwischen Geschäftsabschluss und Abrechnung. Damit wird sichergestellt, dass sich Verkäufer und Käufer auf dasselbe Geschäft geeinigt haben und der Verkäufer zum Verkauf der fraglichen Wertpapiere berechtigt ist. Die Abrechnung (settlement) umfasst die finale Übertragung von Wertpapieren und Mitteln zwischen Käufer und Verkäufer sowie die Vornahme der entsprechenden Vermerke in den Wertpapierkonten.

9 Es gibt drei Arten von Anbietern von Clearing- und Abrechnungsdienstleistungen:

- bei einem Zentralverwahrer (Central Securities Depository, im Folgenden: CSD) handelt es sich um eine Stelle, die Wertpapiere verwahrt und verwaltet und die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen (wie die Übertragung von Wertpapieren von einer Partei auf eine andere) in Form von Bucheinträgen ermöglicht; in seinem Herkunftsland bietet der CSD für Geschäfte mit den bei ihm hinterlegten (von ihm endverwahrten) Wertpapieren Clearing- und Abrechnungsdienste an; darüber hinaus kann er auch Dienstleistungen als Zwischenverwahrer bei Clearing und Abrechnung grenzübergreifender Geschäfte, bei denen die Hinterlegung der Wertpapiere in einem anderen Land erfolgt ist, anbieten;

- ein internationaler Zentralverwahrer (International Central Securities Depository, im Folgenden: ICSD) ist eine Einrichtung, deren Kerngeschäft in Clearing und Abrechnung internationaler Wertpapiergeschäfte besteht; er erledigt Clearing und Abrechnung bei internationalen Wertpapiergeschäften oder grenzübergreifenden Geschäften mit inländischen Wertpapieren;

- die Banken bieten ihren Kunden als Zwischenverwahrer Dienstleistungen für ihre Wertpapiergeschäfte an, wobei diese Geschäfte in der Europäischen Union in der Regel inländische Geschäfte sind.

10 Alle Wertpapiere müssen als effektive Stücke oder in Form von Bucheinträgen bei einer Einrichtung hinterlegt und von dieser verwahrt werden.

11 Das deutsche Depotgesetz unterscheidet zwischen zwei Arten der Endverwahrung: Sammelverwahrung und Sonderverwahrung. Bei der Sammelverwahrung werden vertretbare und zur Sammelverwahrung zugelassene, von verschiedenen Hinterlegern und/oder Inhabern eingelieferte Wertpapiere derselben Art in einen einzigen Sammelbestand genommen.

12 Für die Zwecke der angefochtenen Entscheidung und insbesondere die Definition des Marktes führte die Kommission eine Unterscheidung zwischen -primären- und -sekundären- Clearing- und Abrechnungsdienstleistungen ein.

13 Primärclearing und -abrechnung werden der angefochtenen Entscheidung zufolge von derselben Einrichtung ausgeführt, die die Wertpapiere auch endverwahre, und zwar immer dann, wenn auf den von ihr geführten Wertpapierkonten eine Bestandsveränderung eintrete.

14 Sekundärclearing und -abrechnung werden der angefochtenen Entscheidung zufolge von Zwischenverwahrern, d. h. von anderen Marktteilnehmern als dem Endverwahrer erbracht (im vorliegenden Fall Banken, ICSDs und ausländische [nicht deutsche] CSDs).

15 Sekundärclearing und -abrechnung erfolgen entweder bei der internen Abwicklung von Kundenaufträgen, d. h. bei Transaktionen zwischen zwei Kunden desselben Zwischenverwahrers, wobei es möglich ist, die Transaktionen in den Büchern dieses Zwischenverwahrers ohne entsprechende Einträge auf der Ebene des CSD abzuwickeln, oder bei Buchungen, die die Zwischenverwahrer auf den Konten ihrer Kunden vornehmen, um die Ergebnisse der von den CSDs ausgeführten Clearing- und Abrechnungsleistungen widerzuspiegeln. Im zweiten Fall können die Zwischenverwahrer Clearing- und Abrechnungsleistungen an ihre Kunden nur erbringen, wenn eine Verbindung zum System des CSD besteht.

16 Entsprechend ihren Bedürfnissen kann der Zugang der Zwischenverwahrer zum Zentralverwahrer direkt (als Mitglied oder Kunde) oder indirekt (über einen Zwischenverwahrer) sein. Im vorliegenden Fall wird die Verbindung zwischen CBF und ihren Kunden durch das Abrechnungssystem von CBF sichergestellt, das aus Cascade und Cascade RS besteht. Cascade ist ein Computersystem, mit dem Abrechnungsanweisungen eingegeben und abgeglichen werden können und über das auch die Abrechnung selbst erfolgt. Cascade RS (Registered Shares, d. h. Namensaktien) ist ein Teilsystem von Cascade, das den Kunden von CBF die Eingabe der für die Ein- und Austragung der Namensaktien erforderlichen Angaben ermöglicht. Es gibt zwei Arten des Zugangs zu Cascade und Cascade RS: der manuelle Zugang (auch Online-Zugang genannt) und der vollautomatisierte Zugang durch File-Transfer.

17 In der angefochtenen Entscheidung (Randnrn. 196 bis 198) wird ausgeführt, dass es sich bei dem räumlich relevanten Markt um Deutschland handele, da die nach deutschem Recht emittierten Wertpapiere in Deutschland endverwahrt würden.

18 Die Kommission stellt fest, dass nach § 5 Depotgesetz die Sammelverwahrung in Deutschland durch eine anerkannte Wertpapiersammelbank erfolgen müsse und dass CBF derzeit die einzige anerkannte Wertpapiersammelbank in Deutschland sei. Die Girosammelverwahrung sei die in Deutschland am weitesten verbreitete Form der Verwahrung von Wertpapieren, und nach eigenen Angaben der Klägerinnen würden 90 % der deutschen Wertpapiere von CBF verwahrt (Randnrn. 23 bis 25 der angefochtenen Entscheidung).

19 In Bezug auf die Abgrenzung des Marktes für die in Rede stehenden Dienstleistungen stellt die Kommission fest (Randnrn. 199 und 200 der angefochtenen Entscheidung), dass für Zwischenverwahrer, die einen direkten Zugang zu CBF benötigten, der indirekte Zugang zu CBF keine Alternativlösung darstelle, dass die Erbringung von primären Clearing- und Abrechnungsleistungen durch CBF für AGB-Kunden einen anderen Markt als die Erbringung derselben Dienste für CSDs und ICSDs betreffe, dass für Zwischenverwahrer, die primäre Clearing- und Abrechnungsleistungen benötigten, um effizient sekundäre Clearing- und Abrechnungsleistungen anbieten zu können, Sekundärclearing- und -abrechnung keine wirtschaftlichen Alternativen darstellten und dass für diese Zwischenverwahrer primäre...

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