Urteile nº T-162/10 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, May 13, 2015

Resolution DateMay 13, 2015
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-162/10

„Wettbewerb - Zusammenschlüsse - Luftverkehr - Entscheidung, mit der der Zusammenschluss für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird - Beurteilung der Auswirkungen des Vorgangs auf den Wettbewerb - Verpflichtungszusagen“

In der Rechtssache T-162/10

Niki Luftfahrt GmbH mit Sitz in Wien (Österreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. Asenbauer und A. Habeler,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten zunächst durch S. Noë, R. Sauer und N. von Lingen, dann durch S. Noë, R. Sauer und H. Leupold als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Republik Österreich, vertreten zunächst durch C. Pesendorfer, E. Riedl und A. Posch, dann durch C. Pesendorfer und M. Klamert als Bevollmächtigte,

durch

Deutsche Lufthansa AG mit Sitz in Köln (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte S. Völcker und A. Israel, dann Rechtsanwälte S. Völcker und J. Orologas,

und durch

Österreichische Industrieholding AG mit Sitz in Wien, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. Kristoferitsch, P. Lewisch und B. Kofler-Senoner,

Streithelferinnen,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K(2009) 6690 endg. der Kommission vom 28. August 2009 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt und dem EWR-Abkommen (Sache COMP/M.5440 - Lufthansa/Austrian Airlines)

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten D. Gratsias, der Richterin M. Kancheva (Berichterstatterin) und des Richters C. Wetter,

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2014

folgendes

Urteil

Sachverhalt

  1. Betroffene Unternehmen

    1 Die Deutsche Lufthansa AG (im Folgenden: Lufthansa) ist die gröf‌lte deutsche Fluggesellschaft. Sie bietet Linienflüge im Passagier- und im Frachtverkehr an und erbringt entsprechende Dienstleistungen. 2008 verfügte Lufthansa über 272 Flugzeuge, mit denen sie 45 000 000 Passagiere zu mehr als 200 Flugzielen in 85 Ländern beförderte. Lufthansa nutzt den internationalen Flughafen Frankfurt am Main (Deutschland) und den Flughafen München (Deutschland) als Drehkreuze und hat auch eine Flughafenbasis in Düsseldorf (Deutschland). Lufthansa kontrolliert des Weiteren die Swiss International Air Lines Ltd (im Folgenden: Swiss) mit einer Basis auf dem Flughafen Zürich (Schweiz) sowie Air Dolomiti, Eurowings und die Eurowings-Tochter und Billigfluggesellschaft Germanwings. Auf‌lerdem hat sie kürzlich British Midland (im Folgenden: BMI) und Brussels Airlines (im Folgenden: SN Brussels) übernommen. Darüber hinaus hält Lufthansa 19 % der Anteile von Jet Blue, einer in den Vereinigten Staaten tätigen Billigfluggesellschaft. Lufthansa und Swiss sind Mitglieder der Star Alliance.

    2 Austrian Airlines (im Folgenden: Austrian) ist die gröf‌lte österreichische Fluggesellschaft und nutzt als Drehkreuz hauptsächlich den internationalen Flughafen Wien (Österreich). Sie bietet Linienflüge im Passagier- und im Frachtverkehr an und erbringt entsprechende Dienstleistungen. Austrian bedient 121 Flugziele in 63 Ländern, u. a. mittels Code-Sharing-Vereinbarungen mit anderen Fluggesellschaften. Zu ihren Tochtergesellschaften zählen insbesondere Lauda Air und Tyrolean Airways. Auf‌lerdem ist sie zu 22,5 % an Ukraine International Airlines beteiligt. Austrian ist Mitglied der Star Alliance.

    3 Die Niki Luftfahrt GmbH ist eine Gesellschaft österreichischen Rechts mit Sitz in Wien, die ein unter dem Namen „FlyNiki“ oder „Niki“ bekanntes Luftfahrtunternehmen betreibt. Sie operiert von Wien, Linz (Österreich), Salzburg (Österreich), Graz (Österreich) und Innsbruck (Österreich) aus und fliegt von dort insbesondere Ziele in ganz Europa und in Nordafrika an. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung wurden ihre Anteile zu 76 % von der Privatstiftung Lauda und zu 24 % von der zweitgröf‌lten deutschen Fluggesellschaft, Air Berlin, gehalten.

  2. Verwaltungsverfahren

    4 2008 verzeichnete Austrian Verluste in Höhe von 430 000 000 Euro, und zum Halbjahr 2009 belief sich das Nettoergebnis für den Zeitraum Januar bis Juni 2009 auf einen Verlust von 166 600 000 Euro. Im Juli 2008 gelangte der Aufsichtsrat von Austrian zu der Überzeugung, dass es schwierig wäre, sie weiter als eigenständiges Unternehmen zu führen. Er beantragte daher bei der Republik Österreich als Mehrheitsaktionärin von Austrian, diese zu privatisieren. Daraufhin erteilte die österreichische Regierung einen Privatisierungsauftrag, mit dem die staatliche Holdinggesellschaft Österreichische Industrieholding Aktiengesellschaft (im Folgenden: ÖIAG) zur Veräuf‌lerung ihrer gesamten Beteiligung an Austrian ermächtigt wurde.

    5 Am 5. Dezember 2008 erklärte sich Lufthansa im Rahmen der Privatisierung von Austrian damit einverstanden, von der ÖIAG indirekt eine Beteiligung von 41,56 % an Austrian zu erwerben.

    6 Auf‌lerdem gab Lufthansa am 27. Februar 2009 ein öffentliches Übernahmeangebot für alle verbleibenden Aktien von Austrian aus dem Streubesitz ab, bei dem die Mindestannahmequote erreicht wurde. Mit der von der ÖIAG erworbenen Beteiligung war Lufthansa so in der Lage, 85 % der Anteile an Austrian zu erwerben.

    7 Der sich aus der Beteiligung von Lufthansa an Austrian ergebende Zusammenschluss wurde bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 8. Mai 2009 angemeldet.

    8 Parallel zur Bewertung der Vereinbarkeit dieses Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt untersuchte die Kommission die Bedingungen der beabsichtigten Übernahme der Beteiligung der Republik Österreich an Austrian durch Lufthansa, einschlief‌llich der Zahlung von 500 000 000 Euro durch die Republik Österreich zwecks einer Kapitalerhöhung von Austrian, im Licht der Art. 87 EG und 88 EG.

    9 Mit Entscheidung vom 1. Juli 2009 äuf‌lerte die Kommission ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt und dem EWR-Abkommen. Sie traf deshalb die Entscheidung, das Verfahren der eingehenden Prüfung gemäf‌l Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 24, S. 1, im Folgenden: Fusionskontrollverordnung) einzuleiten.

    10 Am 10. Juli 2009 bot Lufthansa Verpflichtungszusagen gemäf‌l Art. 8 Abs. 2 der Fusionskontrollverordnung an. Am 17. und 27. Juli 2009 übermittelte sie überarbeitete Fassungen dieser Zusagen. Nach Erhalt der überarbeiteten Fassung führte die Kommission einen Markttest durch, um bei Wettbewerbern, Kunden und anderen Marktteilnehmern Einschätzungen dazu einzuholen. Die Ergebnisse dieses Markttests wurden Lufthansa mitgeteilt, die daraufhin am 31. Juli 2009 eine endgültige Fassung ihrer Verpflichtungszusagen (im Folgenden: Verpflichtungszusagen) vorlegte.

    11 Da die Kommission die von Lufthansa vorgelegten Verpflichtungszusagen für ausreichend hielt, um die ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt auszuräumen, teilte sie Lufthansa keine Beschwerdepunkte mit und erlief‌l die Entscheidung K(2009) 6690 endg. vom 28. August 2009 (Sache COMP/M.5440 - Lufthansa/Austrian Airlines) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Mit dieser Entscheidung, von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2010, C 16, S. 11) veröffentlicht wurde, stellte die Kommission fest, dass der Zusammenschluss, durch den Lufthansa die Kontrolle über Austrian im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Fusionskontrollverordnung erwerbe, mit dem Gemeinsamen Markt und dem EWR-Abkommen vereinbar sei.

    12 Parallel zum Fusionskontrollverfahren erlief‌l die Kommission zwei Beihilfeentscheidungen. Als Erstes billigte sie mit der Entscheidung vom 19. Januar 2009 über die staatliche Beihilfe NN 72/08, Austrian Airlines - Rettungsbeihilfe, eine Rettungsbeihilfe in Form einer 100%igen Garantie der Republik Österreich für einen Kredit in Höhe von 200 000 000 Euro zugunsten von Austrian, mit dem vorrangig deren Schulden getilgt werden sollten. Als Zweites erlief‌l sie am 28. August 2009 die Entscheidung 2010/137/EG (ex N 663/08) - Österreich Austrian Airlines - Umstrukturierungsplan (ABl. 2010, L 59, S. 1) (im Folgenden: Entscheidung über den Umstrukturierungsplan), mit der die Austrian im Rahmen ihrer Übernahme durch die Lufthansa-Gruppe von der Republik Österreich gewährte Umstrukturierungsbeihilfe in Höhe von 500 000 000 Euro vorbehaltlich der Einhaltung bestimmter Bedingungen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wurde. Diese Entscheidung ist Gegenstand einer Nichtigkeitsklage, die beim Gericht unter der Rechtssachennr. T-511/09 im Register der Kanzlei eingetragen ist.

  3. Inhalt der angefochtenen Entscheidung

    Relevante Märkte

    13 Hinsichtlich der Definition der relevanten Märkte identifizierte die Kommission mehrere von Lufthansa und von Austrian erbrachte Dienstleistungen. Dabei handelt es sich um Flüge im Passagierverkehr, Flüge im Frachtverkehr, den Verkauf von Sitzkontingenten an Reiseveranstalter, Wartungs-, Reparatur- und Überholungsarbeiten, die Bordverpflegung und die Bodenabfertigung. Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits sind jedoch allein der Passagierluftverkehr und der Verkauf von Sitzkontingenten an Reiseveranstalter erheblich.

    14 Was als Erstes den Passagierluftverkehr betrifft, prüfte die Kommission entsprechend ihrer Praxis im Wesentlichen die Frage der Substituierbarkeit auf der Nachfrageseite. Bei der Definition der relevanten Märkte wählte sie den „Ausgangsort-Zielort“-Ansatz (im Folgenden nach den englischen Begriffen „point of origin“ und „point of destination“ „O&D-Ansatz“ genannt), wonach jede Verbindung zwischen einem Ausgangsort und einem Zielort als getrennter Markt betrachtet wird. Für die Feststellung, ob eine bestimmte Verbindung zwischen einem Ausgangs- und einem Zielort einen zu berücksichtigenden Markt bildete, untersuchte die Kommission die verschiedenen Möglichkeiten der Verbraucher, zwischen diesen beiden Orten zu reisen.

    15 Was genauer die...

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