Urteile nº T-752/14 of Tribunal General de la Unión Europea, July 19, 2017

Resolution DateJuly 19, 2017
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-752/14

In der Rechtssache T-752/14

Combaro SA mit Sitz in Lausanne (Schweiz), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt D. Ehle,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Caeiros und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage gemäf‌l Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2014) 4908 final der Kommission vom 16. Juli 2014, mit dem ein Antrag der Klägerin auf Erlass von Einfuhrabgaben in Höhe von 461 415,12 Euro abgelehnt wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek, des Richters F. Schalin (Berichterstatter) und der Richterin M. J. Costeira,

Kanzler: S. Bukšek Tomac, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2016

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Einfuhrbestimmungen für Textilien und Assoziierungsabkommen: Einfuhren der Klägerin

1 Der Beschluss C(2014) 4908 final der Kommission vom 16. Juli 2014 zur Feststellung, dass in einem bestimmten Fall der Erlass der Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt ist (REM 05/2013) (im Folgenden: angefochtener Beschluss), betrifft Einfuhrabgaben auf Leinengewebe, das zwischen dem 10. Dezember 1999 und dem 10. Juni 2002 (im Folgenden: maf‌lgeblicher Zeitraum) über Deutschland in die Europäische Union eingeführt wurde und dessen präferenzieller Ursprung in Lettland nicht nachgewiesen ist.

2 Leinengewebe unterliegt als Textilware Einfuhrbeschränkungen. So bestanden im maf‌lgeblichen Zeitraum insbesondere für die Einfuhr aus China und Russland beschränkende Maf‌lnahmen nach der Verordnung (EWG) Nr. 3030/93 des Rates vom 12. Oktober 1993 über die gemeinsame Einfuhrregelung für bestimmte Textilwaren mit Ursprung in Drittländern (ABl. 1993, L 275, S. 1).

3 Textilien mit präferenziellem Ursprung in Lettland waren von den oben in Rn. 2 genannten Einfuhrbeschränkungen befreit. Diese Befreiung ergab sich aus dem Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Lettland andererseits (ABl. 1998, L 26, S. 3, im Folgenden: Assoziierungsabkommen).

4 Wie andere Waren mit präferenziellem Ursprung in Lettland kamen Textilien nur dann in den Genuss der Zollbefreiung, wenn der Einführer den Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats die Ursprungseigenschaft dieser Textilien durch eine von den lettischen Zollbehörden bei der Ausfuhr ausgestellte Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 nachwies.

5 Die Klägerin, die Combaro SA, ist ein seit 1978 in der Schweiz ansässiges Unternehmen, das u. a. mit Textilien handelt.

6 Die Klägerin kaufte Leinengewebe von zwei lettischen Unternehmen. Die Lieferungen dieser beiden Unternehmen an die Klägerin waren mit Warenverkehrsbescheinigungen versehen, die als Präferenzursprung des gelieferten Leinengewebes Lettland auswiesen.

7 Die Warenverkehrsbescheinigungen wiesen als Ausführer jeweils eines der beiden lettischen Unternehmen und als Einführer die Klägerin aus, gaben als Bestimmungsland jedoch Österreich an. Als Ausstellungsort war auf den Warenverkehrsbescheinigungen jeweils Jelgava (Lettland) bzw. Bauska (Lettland) angegeben.

8 Im maf‌lgeblichen Zeitraum führte die Klägerin dieses Leinengewebe dann in die Union ein. Sie lief‌l es zum freien Verkehr in Deutschland abfertigen und beantragte unter Vorlage der Warenverkehrsbescheinigungen, darunter die 51 Warenverkehrsbescheinigungen, die Gegenstand der vorliegenden Rechtssache sind (im Folgenden: streitige Bescheinigungen), eine Befreiung von den Einfuhrabgaben gemäf‌l dem Assoziierungsabkommen. Die deutschen Zollbehörden fertigten die Waren entsprechend dem Antrag der Klägerin ab.

Kontrolle und Nacherhebungsverfahren

9 Am 18. Juli 2002 erstellte das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) einen Bericht über einen Kontrollbesuch, den es in Lettland unternommen hatte (im Folgenden: OLAF-Bericht). Dem OLAF-Bericht zufolge hatte die dänische Zollverwaltung im Februar 2002 gegenüber dem OLAF den Verdacht geäuf‌lert, dass aus Lettland eingeführtes Leinengewebe ungeachtet der Vorlage von Warenverkehrsbescheinigungen, die seine Herkunft auswiesen, dort nicht seinen präferenziellen Ursprung habe. Aus dem OLAF-Bericht geht hervor, dass das OLAF und die lettischen Zollbehörden am Ende des Kontrollbesuchs feststellten, dass die in Dänemark für die Einfuhr vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen nicht in die Register der lettischen Zollbehörden eingetragen waren. Ferner wurde in dem Bericht festgehalten, dass der Beamte, dessen Unterschrift sich auf diesen Bescheinigungen befand, eine schriftliche Erklärung abgegeben hatte, dass es sich bei der Unterschrift auf den Bescheinigungen nicht um seine Unterschrift handele. Schlief‌llich ist dem OLAF-Bericht zu entnehmen, dass die Untersuchungen der Stempelabdrücke auf den fraglichen Dokumenten noch nicht abgeschlossen waren.

10 Im Anschluss an den OLAF-Bericht versandte die Europäische Kommission am 11. September 2002 eine Amtshilfemitteilung an die Mitgliedstaaten mit der Bitte, eine Nachprüfung aller Einfuhren von Leinengewebe aus Lettland vorzunehmen.

11 Daraufhin ersuchten die deutschen Zollbehörden die lettischen Zollbehörden um eine nachträgliche Überprüfung der streitigen Bescheinigungen (im Folgenden: Nachprüfung). Auf die Ersuchen der deutschen Zollbehörden antworteten die lettischen Zollbehörden am 7. April, am 2. Mai und 7. Mai 2003 jeweils wie folgt:

„[D]ie [streitigen] Bescheinigungen sind nicht im Zollregister eingetragen. Sie wurden nicht von den lettischen Zollbehörden ausgestellt und sind daher als ungültig anzusehen.“

12 Diese Antwortschreiben waren von Herrn R. als stellvertretendem Direktor der lettischen Zollbehörden unterzeichnet, der später wegen Nichteintreibung von Steuerschulden eines lettischen Unternehmens strafrechtlich verurteilt und einem Disziplinarverfahren unterzogen wurde.

13 Nachdem die lettischen Zollbehörden die streitigen Bescheinigungen für ungültig erklärt hatten, gingen die deutschen Zollbehörden davon aus, dass dem von der Klägerin aus Lettland eingeführten Leinengewebe keine Präferenzbehandlung mehr zustand. Mit Bescheid vom 3. Juli 2003 eröffneten sie ein Verfahren zur Nacherhebung der entsprechenden Einfuhrabgaben (im Folgenden: Nacherhebungsverfahren). Sie leiteten auf‌lerdem ein Strafverfahren gegen zwei Geschäftsführer der Klägerin wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einfuhrabgaben ein. Das Verfahren gegen einen der beiden wurde eingestellt, gegen den anderen wurde beim Landgericht München (Deutschland) Anklage erhoben.

14 In der Zwischenzeit wurden auf Betreiben des OLAF vergleichende Unterschrifts- und Stempelgutachten zu den für die Einfuhren nach Dänemark vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen erstellt. Zur Erstellung der Gutachten musste das OLAF Vergleichsmaterial aus Lettland beschaffen. Diese Gutachten ergaben, dass einige Stempelabdrücke dieselben waren wie die der echten Stempel der lettischen Zollbehörden, während bei anderen Stempelabdrücken mangels Vergleichsmaterials nur eine allgemeine Auswertung möglich war, aus der hervorging, dass sie wahrscheinlich echt waren.

15 Was das Unterschriftsgutachten betrifft, wurde im entsprechenden Gutachterbericht festgehalten, dass sich die Bewertung der Echtheit der Unterschrift auf den untersuchten Warenverkehrsbescheinigungen als schwierig erwiesen habe, da der Vergleich mit Hilfe von Kopien dieser Unterschrift habe vorgenommen werden müssen, da aus dem Zeitraum, aus dem die betreffenden Unterschriften stammten, keine echte Unterschrift des betreffenden Beamten, Herrn O., vorgelegen habe und es im Hinblick auf die Zuverlässigkeit des Gutachtens für bedenklich erachtet worden sei, die Unterschriften im Nachhinein zu erbitten. Das Gutachten ergab somit, dass die Unterschrift auf den untersuchten Bescheinigungen mit leicht überwiegender Wahrscheinlichkeit die von Herrn O. sei.

16 Zur Verfolgung ihrer Interessen in den bei den deutschen Straf- und Zollbehörden anhängigen Verfahren wandte sich die Klägerin an die lettischen Zollbehörden und an das OLAF. Auf die Anfragen der Klägerin bestätigten die lettischen Zollbehörden in einem Schreiben vom 26. Juni 2007 ihre Antwort vom 7. Mai 2003 an die deutschen Zollbehörden, wonach die streitigen Bescheinigungen „als ungültig anzusehen“ seien, und das OLAF teilte der Klägerin den Stand seiner Untersuchungen mit.

17 Schlief‌llich stellte die Klägerin auch einen Antrag an die Kommission auf Zugang zum Schriftverkehr zwischen der Kommission und den lettischen Zollbehörden. Dieser Antrag wurde teilweise abgelehnt. Die Klägerin focht diese teilweise Versagung des Zugangs zu dem fraglichen Schriftverkehr nicht an.

18 Am 30. April 2009 stellte das Landgericht München das Strafverfahren gegen den Geschäftsführer der Klägerin durch Beschluss ein. Diesem Beschluss zufolge konnte dem Geschäftsführer der Klägerin nicht zweifelsfrei vorgeworfen werden, bewusst Einfuhrabgaben hinterzogen zu haben. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass es in der lettischen Zollverwaltung möglicherweise zu Unregelmäf‌ligkeiten gekommen sei. Das Landgericht München äuf‌lerte ferner Zweifel daran, dass der betreffende Geschäftsführer für die von ihm vertretene Gesellschaft, d. h. die Klägerin, bewusst Einfuhrabgaben hinterzogen habe - unbeschadet der Frage, ob die objektiven Merkmale der Verpflichtung zur Erbringung von Einfuhrabgaben festgestellt werden konnten.

19 Mit dem Nacherhebungsverfahren wurde das Finanzgericht München (Deutschland) befasst. In diesem Verfahren machte die Klägerin u. a. geltend, dass ihre Abgabenschuld nach Art. 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) zu erlassen sei.

20 Mit Beschluss vom 28. November 2012 stellte das Finanzgericht München im Wesentlichen fest, dass ein Erlass der von der Klägerin geschuldeten Einfuhrabgaben „ernsthaft“ in...

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