Urteile nº T-192/18 of Tribunal General de la Unión Europea, June 06, 2019

Resolution DateJune 06, 2019
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-192/18

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster - Nichtigkeitsverfahren - Internationale Registrierung mit Benennung der Europäischen Union - Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das das Fahrzeug VW Caddy darstellt - Älteres Gemeinschaftsgeschmacksmuster - Nichtigkeitsgrund - Eigenart - Informierter Benutzer - Anderer Gesamteindruck - Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 - Dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren obliegende Beweislast - Anforderungen an die Wiedergabe des älteren Geschmacksmusters“

In der Rechtssache T-192/18

Rietze GmbH & Co. KG mit Sitz in Altdorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Krogmann,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUlPO), vertreten durch S. Hanne als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Volkswagen AG mit Sitz in Wolfsburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Klawitter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 11. Januar 2018 (Sache R 1244/2016-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Rietze und Volkswagen

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Kancheva und des Richters G. De Baere,

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 16. März 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 31. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 29. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2019

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Die Streithelferin, die Volkswagen AG, ist Inhaberin der internationalen Registrierung mit Benennung der Europäischen Union Nr. DM/073118-3, die beim Internationalen Büro der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) am 1. Februar 2010 angemeldet und eingetragen sowie am 31. Oktober 2010 im Bulletin des Internationalen Büros des WIPO veröffentlicht wurde (im Folgenden: angegriffenes Geschmacksmuster).

2 Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Verwendung für die Erzeugnisse „Motor vehicles“ („Kraftfahrzeuge“) in Klasse 12-08 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt. Das angegriffene Geschmacksmuster wird wie folgt wiedergegeben:

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Ansicht 1

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Ansicht 8

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Ansicht 10

3 Am 5. Januar 2015 stellte die Klägerin, die Rietze GmbH & Co. KG, die Fahrzeugmodelle vertreibt, beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) einen Antrag auf Nichtigerklärung der Wirkung des angegriffenen Geschmacksmusters in der Europäischen Union, der auf Art. 106f in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) gestützt wurde. Die Klägerin brachte vor, das angegriffene Geschmacksmuster sei nicht neu im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 und habe keine Eigenart im Sinne von Art. 6 der genannten Verordnung.

4 Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung machte die Klägerin geltend, das angegriffene Geschmacksmuster sei ein Geschmacksmuster, das die Groflraumlimousine VW Caddy darstelle, das von der Streithelferin im Jahre 2011 auf den Markt gebracht worden sei. Zum Beweis, dass ein älteres Geschmacksmuster offenbart worden war, verwies die Klägerin auf ein Vorgängermodell dieses Fahrzeugs, den VW Caddy (2 K) Life, den die Streithelferin im Jahre 2004 auf den Markt gebracht habe. Sie stützte ihren Antrag unter anderem auf das Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 49895-0002, das von der Streithelferin am 7. Juli 2003 angemeldet und am 9. Dezember 2003 veröffentlicht wurde (im Folgenden: älteres Geschmacksmuster).

5 Mit Entscheidung vom 20. Juni 2016 erklärte die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO das angegriffene Geschmacksmuster wegen fehlender Eigenart im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig.

6 Am 7. Juli 2016 legte die Streithelferin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 ein.

7 Mit Entscheidung vom 11. Januar 2018 (Sache R 1244/2016-3) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde unter Aufhebung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung statt und wies den Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters zurück. Die Beschwerdekammer entschied, das angegriffene Geschmacksmuster sei neu im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 und habe Eigenart im Sinne von Art. 6 derselben Verordnung.

Anträge der Parteien

8 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

- das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären;

- dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

9 Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

10 Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstofl gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 geltend. Sie rügt im Wesentlichen, dass die Beschwerdekammer davon ausgegangen sei, dass das angegriffene Geschmacksmuster Eigenart habe, da sich sein Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorrufe, von dem Gesamteindruck unterscheide, den das ältere Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorrufe.

11 Der Klagegrund besteht aus vier Teilen. Erstens habe sich die Beschwerdekammer fälschlicherweise auf eine blofle Aufzählung angeblicher Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern beschränkt, ohne diese zu gewichten und ohne zwischen ästhetischen und technischen Merkmalen zu differenzieren. Zweitens habe sie einen unzulässig hohen Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers zugrunde gelegt und infolgedessen den Unterschieden zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern zu grofle Bedeutung beigemessen. Drittens habe die Beschwerdekammer bei der Beurteilung der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers Fehler begangen. Viertens schliefllich habe sie bestimmte Beweismittel nicht berücksichtigt.

12 Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

13 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass durch die Verordnung (EG) Nr. 1891/2006 des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 6/2002 und (EG) Nr. 40/94, mit der dem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle Wirkung verliehen wird (ABl. 2006, L 386, S. 14), in die Verordnung Nr. 6/2002 ein Titel XIa mit den Art. 106a bis 106f eingefügt wurde.

14 Nach Art. 106a der Verordnung Nr. 6/2002 hat jede Registrierung einer internationalen Eintragung, in der die Europäische Union benannt ist, in dem vom Internationalen Büro der WIPO geführten internationalen Register dieselbe Wirkung, als wäre sie im vom EUIPO geführten Register für Gemeinschaftsgeschmacksmuster erfolgt, und hat jede Veröffentlichung einer internationalen Eintragung, in der die Europäische Union benannt ist, im Bulletin des Internationalen Büros der WIPO dieselbe Wirkung wie eine Veröffentlichung im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster.

15 Nach Art. 106f der Verordnung Nr. 6/2002 kann die Wirkung einer internationalen Eintragung in der Union nach dem Verfahren der Titel VI und VII der Verordnung Nr. 6/2002 durch das EUIPO ganz oder teilweise für nichtig erklärt werden.

16 Gemäfl Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 muss ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für nichtig erklärt werden, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfüllt.

17 Nach Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 wird ein Geschmacksmuster durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

18 Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 ist die Eigenart eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Hinblick auf den von ihm beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck zu beurteilen, der sich von dem Gesamteindruck unterscheiden muss, den ein anderes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist, hervorruft. Durch Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 wird klargestellt, dass bei dieser Beurteilung der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters zu berücksichtigen ist.

19 So ergibt sich die Eigenart eines Geschmacksmusters aus einem Gesamteindruck der Unähnlichkeit oder des Fehlens eines „déjà vu“ aus der Sicht des informierten Benutzers im Vergleich zum vorbestehenden Formschatz älterer Geschmacksmuster, ungeachtet der Unterschiede, die - auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen - nicht markant genug sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinträchtigen, aber unter Berücksichtigung von Unterschieden, die hinreichend ausgeprägt sind, um einen unähnlichen Gesamteindruck hervorzurufen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Budziewska/HABM - Puma [Springende Raubkatze], T-666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20 Bei der Beurteilung, ob ein Geschmacksmuster Eigenart in Bezug auf den vorbestehenden Formschatz aufweist, sind die Art des Erzeugnisses, bei dem das Geschmacksmuster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere der jeweilige Industriezweig und der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters, eine mögliche Sättigung des Stands der Technik, durch...

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