Urteile nº T-191/18 of Tribunal General de la Unión Europea, June 06, 2019

Resolution DateJune 06, 2019
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-191/18

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster - Nichtigkeitsverfahren - Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das das Fahrzeug VW Caddy Maxi darstellt - Älteres Gemeinschaftsgeschmacksmuster - Nichtigkeitsgrund - Eigenart - Informierter Benutzer - Anderer Gesamteindruck - Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 - Dem Antragsteller, der die Nichtigerklärung beantragt, obliegende Beweislast - Anforderungen an die Wiedergabe des älteren Geschmacksmusters“

In der Rechtssache T-191/18

Rietze GmbH & Co. KG mit Sitz in Altdorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Krogmann,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUlPO), vertreten durch S. Hanne als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Volkswagen AG mit Sitz in Wolfsburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Klawitter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 11. Januar 2018 (Sache R 1203/2016-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Rietze und Volkswagen

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Kancheva und des Richters G. De Baere,

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 16. März 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 31. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 29. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2019

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Die Streithelferin, die Volkswagen AG, ist Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr. 762851-0001, das beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) am 23. Juli 2007 angemeldet und eingetragen sowie am 28. September 2007 im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 2007/131 veröffentlicht wurde (im Folgenden: angegriffenes Geschmacksmuster).

2 Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Verwendung für die Erzeugnisse „Kraftfahrzeuge“ in Klasse 12-08 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt. Das angegriffene Geschmacksmuster wird wie folgt wiedergegeben:

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Ansicht 1

Ansicht 2

Ansicht 3

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Ansicht 4

Ansicht 5

Ansicht 6

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Ansicht 7

3 Am 29. Dezember 2014 stellte die Klägerin, die Rietze GmbH & Co. KG, die Fahrzeugmodelle vertreibt, beim EUIPO nach Art. 52 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) einen Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters, der auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der genannten Verordnung beruhte. Zur Begründung brachte die Klägerin vor, das angegriffene Geschmacksmuster sei nicht neu im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 und habe keine Eigenart im Sinne von Art. 6 der genannten Verordnung.

4 Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung machte die Klägerin geltend, das angegriffene Geschmacksmuster sei ein Geschmacksmuster, das das Fahrzeug VW Caddy Maxi darstelle, das von der Streithelferin im Jahre 2007 auf den Markt gebracht worden sei. Um zu belegen, dass ein älteres Geschmacksmuster offenbart worden war, verwies die Klägerin auf das Vorgängermodell dieses Fahrzeugs, den VW Caddy (2K) Life, den die Streithelferin im Jahre 2004 auf den Markt gebracht habe. Sie stützte ihren Antrag insbesondere auf das Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 49895-0002, dessen von der Streithelferin am 7. Juli 2003 beantragte Eintragung am 9. Dezember 2003 veröffentlicht wurde (im Folgenden: älteres Geschmacksmuster).

5 Mit Entscheidung vom 6. Juni 2016 erklärte die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO das angegriffene Geschmacksmuster wegen fehlender Eigenart im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig.

6 Am 30. Juni 2016 legte die Streithelferin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 ein.

7 Mit Entscheidung vom 11. Januar 2018 (Sache R 1203/2016-3) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde unter Aufhebung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung statt und wies den Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters zurück. Die Beschwerdekammer entschied, das angegriffene Geschmacksmuster sei neu im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 und habe Eigenart im Sinne von Art. 6 derselben Verordnung.

Anträge der Parteien

8 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

- das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären;

- dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

9 Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

10 Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstofl gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 geltend. Sie rügt im Wesentlichen, dass die Beschwerdekammer davon ausgegangen sei, dass das angegriffene Geschmacksmuster Eigenart habe, da sich sein Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorrufe, von dem Gesamteindruck unterscheide, den das ältere Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorrufe.

11 Der Klagegrund besteht aus vier Teilen. Erstens habe sich die Beschwerdekammer fälschlicherweise auf eine blofle Aufzählung angeblicher Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern beschränkt, ohne diese zu gewichten und ohne zwischen ästhetischen und technischen Merkmalen zu differenzieren. Zweitens habe sie einen unzulässig hohen Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers zugrunde gelegt und infolgedessen den Unterschieden zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern zu grofle Bedeutung beigemessen. Drittens habe die Beschwerdekammer bei der Beurteilung der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers Fehler begangen. Viertens schliefllich habe sie bestimmte Beweismittel nicht berücksichtigt.

12 Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

13 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass gemäfl Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für nichtig erklärt werden muss, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfüllt.

14 Nach Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 wird ein Geschmacksmuster durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

15 Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 ist die Eigenart eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Hinblick auf den von ihm beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck zu beurteilen, der sich von dem Gesamteindruck unterscheiden muss, den ein anderes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist, hervorruft. Durch Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 wird klargestellt, dass bei dieser Beurteilung der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters zu berücksichtigen ist.

16 So ergibt sich die Eigenart eines Geschmacksmusters aus einem Gesamteindruck der Unähnlichkeit oder des Fehlens eines „déjà vu“ aus der Sicht des informierten Benutzers im Vergleich zum vorbestehenden Formschatz älterer Geschmacksmuster, ungeachtet der Unterschiede, die - auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen - nicht markant genug sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinträchtigen, aber unter Berücksichtigung von Unterschieden, die hinreichend ausgeprägt sind, um einen unähnlichen Gesamteindruck hervorzurufen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Budziewska/HABM - Puma [Springende Raubkatze], T-666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17 Bei der Beurteilung, ob ein Geschmacksmuster Eigenart in Bezug auf den vorbestehenden Formschatz aufweist, sind die Art des Erzeugnisses, bei dem das Geschmacksmuster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere der jeweilige Industriezweig und der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters, eine mögliche Sättigung des Stands der Technik, durch die der informierte Benutzer für Unterschiede zwischen den verglichenen Geschmacksmustern aufmerksamer wird, sowie die Art der Benutzung des fraglichen Erzeugnisses, insbesondere im Hinblick auf die dafür übliche Bedienungsweise, zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Springende Raubkatze, T-666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18 Schliefllich ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäfligkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammern ausschliefllich anhand der Verordnung Nr. 6/2002 in ihrer Auslegung durch den Unionsrichter zu prüfen ist, und nicht auf der Grundlage einer nationalen Rechtsprechung, selbst wenn diese auf Vorschriften beruht, die denen der Verordnung entsprechen (vgl. Urteil vom 4. Juli 2017, Murphy/EUIPO - Nike Innovate [Elektronisches Uhrenarmband], T-90/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:464, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19 Im Licht dieser Erwägungen ist das Vorbringen der Klägerin zu prüfen.

20 Zunächst ist auf den zweiten Teil des einzigen Klagegrundes einzugehen, der den Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers betrifft, bevor dessen erster Teil untersucht wird, der die Beurteilung des von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern aus der Sicht dieses Benutzers hervorgerufenen Gesamteindrucks betrifft, und schliefllich der dritte und vierte Teil des einzigen Klagegrundes zu prüfen ist.

Zum zweiten Teil...

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