Opinion of Advocate General Tanchev delivered on 17 December 2020.

JurisdictionEuropean Union
Date17 December 2020
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE VON GENERALANWALT

EVGENI TANCHEV

vom 17. Dezember 2020(1)

Rechtssache C128/19

Azienda Sanitaria Provinciale di Catania

gegen

Assessorato della Salute della Regione Siciliana,

Beteiligter:

AU

(Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione [Kassationsgerichtshof, Italien])

„Staatliche Beihilfe – Begriffe ‚bestehende Beihilfe‘ und ‚neue Beihilfe‘ – Verordnung (EU) Nr. 702/2014 – Beihilfen zu den Kosten für die Verhütung, Bekämpfung und Tilgung von Tierseuchen und Beihilfen zur Beseitigung der durch diese Seuchen entstandenen Schäden – Verordnung (EU) Nr. 1408/2013 – De-minimis-Beihilfe“






1. Der Rechtsstreit im vorliegenden Fall geht auf eine 1989 von der Region Sizilien getroffene Gesetzgebungsmaßnahme zurück, die die Zahlung einer Entschädigung an die Eigentümer von Tieren vorsah, die wegen der Erkrankung an bestimmten Krankheiten geschlachtet wurden. Im Laufe der Jahre wurde diese Entschädigung mehrmals durch Rechtsvorschriften finanziert, die von der Region Sizilien erlassen wurden. AU, ein sizilianischer Viehzüchter, beantragte vor den nationalen Gerichten die Zahlung dieser Entschädigung auf der Grundlage des Regionalgesetzes von 2005, mit dem die Entschädigung zuletzt finanziert wurde. Vor dem Gerichtshof geht es um die Frage, ob diese Entschädigung eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt und, sollte dies der Fall sein, ob sie unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV durchgeführt wurde.

2. Die Schwierigkeit liegt in der Tatsache begründet, dass zwar die ursprünglichen Rechtsvorschriften von 1989 und mehrere Finanzierungsgesetze Gegenstand einer Genehmigungsentscheidung der Kommission waren, dass dies beim Gesetz von 2005 aber nicht der Fall war. Es stellt sich daher die Frage, ob das letztgenannte Gesetz durch die von der Kommission erteilte Genehmigung zu früheren Finanzierungsgesetzen gedeckt ist.

3. Die vorliegende Rechtssache bietet dem Gerichtshof somit Gelegenheit zur Klärung des Begriffs „neue Beihilfe“, die als solche vor ihrer Durchführung bei der Kommission angemeldet werden muss, und des Begriffs „bestehende Beihilfe“, die dieser Anforderung nicht unterliegt, weil sie entweder bereits genehmigt wurde oder (u. a.) weil sie in begrenztem Umfang eine Abänderung von bereits genehmigten Beihilfen darstellt.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

4. Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. [108 AEUV](2) bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

b) ,bestehende Beihilfen‘:

(ii) genehmigte Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder vom Rat genehmigt wurden;

(c) „neue Beihilfen“ alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen;

…“

B. Italienische Recht

5. Art 1 der Legge della regione Sicilia n. 12/1989 (Regionalgesetz von Sizilien, Nr. 12/1989)(3) bestimmt:

„1. Für die Sanierung von Rinderzuchtbetrieben, die von Tuberkulose, Brucellose und Leukose betroffen sind, sowie von Schaf- und Ziegenzuchtbetrieben, die von Brucellose betroffen sind, wird gemäß den Gesetzen Nr. 615 vom 9. Juni 1964, Nr. 33 vom 23. Januar 1968, und Nr. 34 vom 23. Januar 1968, mit späteren Änderungen und Ergänzungen, den Eigentümern von Rindern, die infolge von Tuberkulose, Brucellose und Leukose geschlachtet und/oder gekeult wurden, sowie von Schafen und Ziegen, die infolge von Brucellose geschlachtet und/oder gekeult wurden, zusätzlich zu den Entschädigungen, die in den geltenden nationalen Bestimmungen vorgesehen sind, eine Entschädigung in dem in der diesem Gesetz beigefügten Tabelle angegebenen Umfang gewährt.

4. Zu den gleichen Zwecken wie den in den vorstehenden Absätzen genannten und zur Erleichterung der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen in den Tierzuchtbetrieben wird zusätzlich zu den in den geltenden nationalen Bestimmungen vorgesehenen Zahlungen ein Betrag von 2 000 ITL an die Tierärzte gezahlt, die zur Durchführung der in den Ministerialerlassen vom 1. Juni 1968 und vom 3. Juni 1968 genannten Maßnahmen berechtigt sind, und zwar für jedes kontrollierte Rind. Die Gesamtentschädigung darf 3 000 ITL jedenfalls nicht überschreiten.

5. Für die Zwecke dieses Artikels werden Ausgaben in Höhe von 7 000 Millionen ITL für das laufende Haushaltsjahr und in Höhe von 6 000 Millionen ITL für jedes der Haushaltsjahre 1990 und 1991 genehmigt.“

6. Art. 25 Abs. 16 der Legge della regione Sicilia Nr. 19/2005(4) lautet:

„In Verfolgung der in Art. 1 der [Legge della regione Sicilia Nr. 12/1989] festgelegten Ziele werden gemäß und in Übereinstimmung mit den Bestimmungen von Art. 134 der Legge regionale siciliana Nr. 32 vom 23. Dezember 2000 Ausgaben in Höhe von 20 000 000 Euro für die Zahlung von Beträgen genehmigt, die von den lokalen Gesundheitsbehörden Siziliens den Eigentümern von Tieren geschuldet werden, die im Zeitraum von 2000 bis 2006 aufgrund von Infektionskrankheiten geschlachtet wurden, sowie für die Zahlungen an die freiberuflich tätigen Tierärzte, die in diesem Zeitraum für die Sanierungstätigkeiten eingesetzt wurden. Für die Zwecke dieses Absatzes werden für das Haushaltsjahr 2005 Ausgaben in Höhe von 10 000 000 Euro (Ausgabenansatz 10.3.1.3.2, Kapitel 417702) genehmigt. Für die folgenden Haushaltsjahre werden Vorkehrungen gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. i der Legge regionale Nr. 10 vom 27. April 1999 mit späteren Änderungen und Ergänzungen getroffen.“

II. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

7. AU, ein Viehzüchter, beantragte die Zahlung der ursprünglich in Art. 1 der Legge regionale siciliana Nr. 12/1989 und später in Art. 25 Abs. 16 der Legge regionale siciliana Nr. 19/2005 vorgesehenen Entschädigung für Wirtschaftsbeteiligte des Nutztiersektors, die gezwungen waren, von Brucellose betroffene Tierbestände zu schlachten.

8. AU beantragte beim Giudice unico del Tribunale di Catania (Bezirksgericht [Einzelrichter], Catania, Italien) einen Mahnbescheid gegen die Azienda Sanitaria Provinciale di Catania (lokale Gesundheitsbehörde von Catania; im Folgenden: ASPC) auf Zahlung eines Betrags von 11 930,08 Euro als Entschädigung für die Schlachtung von Tieren, die von Infektionskrankheiten betroffen waren. Mit Beschluss Nr. 81/08 gab der Giudice unico del Tribunale di Catania (Bezirksgericht [Einzelrichter] Catania) diesem Antrag statt.

9. Die ASPC beantragte am 21. April 2008 die Aufhebung des Mahnbescheids Nr. 81/08 beim Giudice unico del Tribunale di Catania (Bezirksgericht [Einzelrichter] Catania). Mit Urteil Nr. 2141/2011 vom 3./8. Juni 2011 gab dieser dem Antrag statt und hob den Mahnbescheid Nr. 81/08 auf.

10. Am 23. Juli 2012 legte AU bei der Corte d'appello di Catania (Berufungsgericht Catania, Italien) Berufung ein mit dem Antrag, das Urteil Nr. 2141/2011 aufzuheben. Mit Urteil Nr. 1469/2013 vom 24. Juli 2013 gab diese der Berufung statt und wies unter Abänderung des Urteils Nr. 2141/2011 den Antrag der ASPC auf Aufhebung des Mahnbescheids Nr. 81/08 ab.

11. Vor der Corte d'appello di Catania (Berufungsgericht Catania) machte die ASPC insbesondere geltend, dass die in Art. 25 Abs. 16 der Legge regionale siciliana Nr. 19/2005 vorgesehene Entschädigung eine staatliche Beihilfe darstelle, die erst dann durchgeführt werden könne, wenn die Kommission sie für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt habe, was nicht geschehen sei. Die Corte d'appello di Catania (Berufungsgericht Catania) wies dieses Vorbringen mit folgender Begründung zurück: Erstens habe die Kommission mit Entscheidung vom 11. Dezember 2002(5) die regionalen Rechtsvorschriften, mit denen im Lauf der Jahre bis 1997 die in der materiellen Regelung des Art. 1 der Legge regionale siciliana Nr. 12/1989 niedergelegten Maßnahmen finanziert worden seien, nämlich Art. 11 der Legge regionale siciliana Nr. 40/1997(6) und Art. 7 der Legge regionale siciliana Nr. 22/1999(7), auf ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt geprüft. Zweitens müsse die in dieser Entscheidung getroffene Feststellung der Kommission, dass diese Regionalgesetze mit dem Binnenmarkt vereinbar seien, auf Art. 25 Abs. 16 der Legge regionale siciliana Nr. 19/2005, mit der ebenfalls die in Art. 1 der Legge regionale siciliana Nr. 12/1989 vorgesehene Maßnahme finanziert worden sei, erstreckt werden.

12. Die ASPC hat am 7. März 2014 gegen das Urteil der Corte d'appello di Catania (Berufungsgericht Catania) Rechtsmittel bei der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) eingelegt.

13. Die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Stellt Art. 25 Abs. 16 der Legge regionale siciliana Nr. 19/2005, in dem „[i]n Verfolgung der Ziele des Art. 1 der [Legge regionale siciliana 12/1989] im Sinne und im Einklang mit Art. 134 der Legge regionale Nr. 32/2000 vom 23. Dezember 2000 Ausgaben in Höhe von 20 000 000 Euro für die Zahlung von Beträgen genehmigt [werden], die von den lokalen Gesundheitsbehörden in Sizilien den Eigentümern der Tiere geschuldet werden, die im Zeitraum von 2000 bis 2006 aufgrund von Infektionskrankheiten geschlachtet wurden, sowie für die Zahlungen an die freiberuflich tätigen Tierärzte, die die in diesem Zeitraum für die Sanierungstätigkeiten eingesetzt wurden. Für Zwecke des vorliegenden Absatzes werden für das Haushaltsjahr 2005 Ausgaben in Höhe von 10 000 000 Euro für die Zahlungen genehmigt (Ausgabenansatz 10.3.1.3.2, Kapitel 417702). Für die folgenden Haushaltsjahre werden Vorkehrungen gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. i der Legge regionale siciliana Nr. 10 vom 27. April 1999 mit späteren Änderungen und Ergänzungen getroffen“ im Licht der Art. 107 AEUV und 108 AEUV sowie des „Gemeinschaftsrahmen[s] für staatliche Beihilfen im Agrarsektor“(8) eine staatliche Beihilfe dar, die durch die Begünstigung...

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