Opinion of Advocate General Medina delivered on 12 May 2022.

JurisdictionEuropean Union
Date12 May 2022
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 12. Mai 2022(1)

Rechtssache C250/21

Szef Krajowej Administracji Skarbowej

gegen

O. Fundusz lnwestycyjny Zamknięty reprezentowany przez O S.A.

(Vorabentscheidungsersuchen des Naczelny Sąd Administracyjny [Oberstes Veraltungsgericht, Polen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 Buchst. c – Besteuerung gegen Entgelt erbrachter Dienstleistungen – Unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenwert – Art. 135 Abs. 1 Buchst. b – Steuerbefreiung für die ‚Gewährung … von Krediten‘ – Synthetische Verbriefung – Unterbeteiligungsvertrag“






1. In der vorliegenden Rechtssache hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) den Gerichtshof zu der mehrwertsteuerlichen Behandlung eines Umsatzes befragt, der im Rahmen eines Unterbeteiligungsvertrags zu bewirken ist.

2. Schematisch dargestellt, zahlt im Rahmen des vom Steuerpflichtigen vorgesehenen, im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Unterbeteiligungsvertrags der Investmentfonds A der Bank B beim Abschluss dieses Vertrags im Voraus einen Betrag. Im Gegenzug für diese Zahlung verpflichtet sich die Bank B (im Folgenden: Originator), die C (im Folgenden: Hauptschuldner) Geld geliehen hat, dem Investmentfonds A (im Folgenden: Unterbeteiligter) die vom Originator im Rahmen des ursprünglichen Darlehensvertrags mit dem Hauptschuldner erzielten Einnahmen zu zahlen. Während der Cashflow und das Risiko aus der Bilanz des Originators entfernt und auf den in der vorliegenden Rechtssache betroffenen Investmentfonds übertragen werden, behält der Originator das rechtliche Eigentum an den Vermögenswerten.

3. Genauer gesagt wird der Gerichtshof gefragt, ob die von einem Investmentfonds im Rahmen des in Rede stehenden Unterbeteiligungsvertrags erbrachten Dienstleistungen „die Gewährung und Vermittlung von Krediten und die Verwaltung von Krediten durch die Kreditgeber“ im Sinne des Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG(2) darstellen. Wäre dies der Fall, fielen diese Dienstleistungen unter die in dieser Bestimmung festgelegte Befreiung von der Mehrwertsteuer. Meiner Auffassung nach hat diese Frage bedeutende praktische Auswirkungen auf das Wertpapiere betreffende Recht, da die Antwort des Gerichtshofs die Performance und Attraktivität solcher Finanzumsätze berühren könnte, was dieser Rechtssache einen sensiblen Charakter verleiht.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

4. Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 unterliegen „Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt“, und „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“, der Mehrwertsteuer.

5. Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie definiert den Begriff „Steuerpflichtiger“.

6. Art. 135 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

b) die Gewährung und Vermittlung von Krediten und die Verwaltung von Krediten durch die Kreditgeber;

d) Umsätze – einschließlich der Vermittlung – im Einlagengeschäft, und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der Einziehung von Forderungen;

f) Umsätze – einschließlich der Vermittlung, jedoch nicht der Verwahrung und der Verwaltung –, die sich auf Aktien, Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen, Schuldverschreibungen oder sonstige Wertpapiere beziehen, mit Ausnahme von Warenpapieren und der in Artikel 15 Absatz 2 genannten Rechte und Wertpapiere;

…“

B. Polnisches Recht

1. Das Mehrwertsteuergesetz

7. Art. 43 Abs. 1 Nr. 38 der Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen)(3) (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) sieht vor, dass die Dienstleistungen der Gewährung von Krediten oder Gelddarlehen, Vermittlungsdienstleistungen bei der Gewährung von Krediten oder Gelddarlehen sowie die Verwaltung von Krediten oder Gelddarlehen durch den Kredit- oder Gelddarlehensgeber von der Mehrwertsteuer befreit sind. Art. 43 Abs. 1 Nr. 39 desselben Gesetzes befreit im Wesentlichen die Vermittlung von Sicherheiten, Bürgschaften und anderer Sicherheiten für Finanz- und Versicherungsgeschäfte sowie die Verwaltung von Bürgschaften durch den Bürgschaftsgeber.

2. Das Investmentfondsgesetz

8. Art. 183 Abs. 4 der Ustawa o funduszach inwestycyjnych i zarządzaniu alternatywnymi funduszami inwestycyjnymi(4) (im Folgenden: Investmentfondsgesetz) betrifft Unterbeteiligungsverträge. In dieser Bestimmung heißt es:

„Ein Vertrag über die Übertragung aller Vorteile, die der Originator der Verbriefung oder der Berechtigte an verbrieften Forderungen aus einem bestimmten Forderungspool oder aus bestimmten Forderungen erhält (Unterbeteiligungsvertrag), muss die Verpflichtung dieser Wirtschaftsteilnehmer enthalten, dem Fonds die folgenden Leistungen zu überweisen:

(1) die gesamten Einnahmen aus den verbrieften Forderungen;

(2) die Hauptbeträge der verbrieften Forderungen;

(3) die Beträge, die bei der Verwertung der Sicherheiten erzielt werden, die die verbrieften Forderungen betreffen, sofern die Erfüllung der Ansprüche des Originators der Verbriefung oder des Begünstigten der verbrieften Forderungen durch die Verwertung der Sicherheiten erfolgte.“

II. Der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens und die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage

9. Bei dem in der vorliegenden Rechtssache betroffenen Investmentfonds handelt es sich um einen nicht standardisierten Fonds im Sinne von Art. 183 des Investmentfondsgesetzes. Er plant den Abschluss von Unterbeteiligungsverträgen mit Banken oder anderen Fonds über den Erwerb der Einnahmen aus Darlehensforderungen in seiner Eigenschaft als Unterbeteiligter. Zur Klärung der Frage, ob die von diesen Verträgen umfassten Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer befreit sind, hat der Investmentfonds beim Minister Finansów (im Folgenden: Finanzminister) die Erteilung eines Steuervorbescheids über die Auslegung des Art. 43 Abs. 1 Nrn. 38 und 39 Mehrwertsteuergesetz beantragt.

10. In seinem Antrag hat der Investmentfonds ausgeführt, dass die Unterbeteiligung die folgenden wesentlichen Merkmale aufweise:

– Der Originator verpflichte sich, dem Unterbeteiligten alle Einnahmen aus den Darlehen zu überweisen, die im Unterbeteiligungsvertrag festgelegt seien;

– als Gegenleistung für diese Überweisung zahle der Unterbeteiligte dem Originator einen vertraglich vereinbarten Betrag;

– die Darlehensforderungen, die die Grundlage der Unterbeteiligung darstellten, verblieben im Vermögen des Originators;

– die Unterbeteiligung diene dem doppelten Zweck, dem Originator Liquidität zur Verfügung zu stellen und das Kreditrisiko des Originators abzudecken, indem das mit bestimmten Vermögenswerten verbundene Risiko auf den Investmentfonds übertragen werde;

– der Unterschied zwischen dem Betrag, der dem Originator gezahlt werde, und dem Betrag, den der Unterbeteiligte während der Vertragslaufzeit erhalte, stelle die Vergütung des Unterbeteiligten dar.

11. Der Investmentfonds brachte vor, unter Berücksichtigung des Umstands, dass die im Rahmen des Unterbeteiligungsvertrags vorgesehenen Dienstleistungen Liquidität sicherstellten, seien sie als Kredit oder Gelddarlehen zu behandeln, die unter die Steuerbefreiung nach Art. 43 Abs. 1 Nr. 38 Mehrwertsteuergesetz fielen. Hilfsweise bestehe die Hauptfunktion in der Absicherung des Kreditrisikos, so dass diese Dienstleistungen unter die Steuerbefreiung nach Art. 43 Abs. 1 Nr. 39 Mehrwertsteuergesetz fallen müssten.

12. Mit Steuervorbescheid vom 30. Dezember 2015 wies der Finanzminister das Vorbringen des Investmentfonds zurück. Er war der Auffassung, die vom Antragsteller in seinem Antrag auf einen Steuervorbescheid beschriebenen Umsätze fielen nicht unter eine der Mehrwertsteuerbefreiungen nach Art. 43 Abs. 1 Nrn. 38 und 39 Mehrwertsteuergesetz. Somit müssten die vom Investmentfonds im Rahmen des Unterbeteiligungsvertrags erbrachten Dienstleistungen dem allgemeinen Mehrwertsteuersatz von 23 % unterliegen.

13. Der Investmentfonds erhob gegen diesen Steuervorbescheid vom 30. Dezember 2015 Klage vor dem Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau, Polen), der den Steuervorbescheid mit Urteil vom 25. Mai 2017 aufhob. Er war der Auffassung, das Ziel eines Unterbeteiligungsvertrags sei, sicherzustellen, dass der Originator Zugang zu Finanzmitteln habe, der Originator aber frei bleibe, diese Finanzmittel nach seinen Vorstellungen zu verwenden. Als Gegenleistung für die Bereitstellung der Geldmittel an die Bank empfange der Investmentfonds die Einnahmen aus den Forderungen, die Gegenstand des Unterbeteiligungsvertrags seien. Diese Einnahmen seien dem Zins vergleichbar, der im Rahmen eines Darlehensvertrags gezahlt werde. Dementsprechend entschied dieses Gericht, der Unterbeteiligungsvertrag stelle ein einem Darlehensvertrag vergleichbares Finanzinstrument dar, das in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung nach Art. 43 Abs. 1 Nr. 38 Mehrwertsteuergesetz falle.

14. Der Szef Krajowej Administracji Skarbowej (Leiter der nationalen Finanzverwaltung, Polen) (im Folgenden: Finanzbehörde) legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel vor dem vorlegenden Gericht, dem Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht), ein.

15. Dem vorlegenden Gericht zufolge besteht aus einem wirtschaftlichen Blickwinkel kein Zweifel daran, dass die im Rahmen des in Rede stehenden Unterbeteiligungsvertrags vorgesehenen Dienstleistungen ein Finanzierungsinstrument darstellen, da ihr Hauptziel sei, dem Originator die Verwendung der Geldmittel zu ermöglichen, die ihm bereitgestellt würden. Im Gegenzug habe der Originator dem Unterbeteiligten die Einnahmen aus den Forderungen zu...

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