Conclusiones del Abogado General Sr. H. Saugmandsgaard Øe, presentadas el 29 de octubre de 2020.

JurisdictionEuropean Union
Celex Number62019CC0804
ECLIECLI:EU:C:2020:875
Date29 October 2020
CourtCourt of Justice (European Union)

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE

vom 29. Oktober 2020(1)

Rechtssache C804/19

BU

gegen

Markt24 GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Salzburg [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Kapitel II Abschnitt 5 (Art. 20 bis 23) – Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge – Arbeitsvertrag, der in einem Mitgliedstaat A zwischen einem Arbeitnehmer mit Wohnsitz in diesem Staat und einem Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat B geschlossen wurde und im letzteren Staat zu erbringende Arbeitsleistungen zum Gegenstand hat – Nicht vollzogener Arbeitsvertrag – Klage des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung des vereinbarten Arbeitsentgelts – Ausschluss der im nationalen Recht des angerufenen Gerichts vorgesehenen Zuständigkeitsregeln – Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i – Begriff ‚Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet‘ – Ort, an dem der Arbeitnehmer vertragsgemäß seine Arbeit verrichten sollte“






I. Einleitung

1. BU, eine natürliche Person mit Wohnsitz in Österreich, schloss einen Arbeitsvertrag mit der Markt24 GmbH, einer Gesellschaft deutschen Rechts. Nach diesem Vertrag sollte BU Reinigungsarbeiten für Markt24 nach deren Weisung in Deutschland erbringen. Faktisch stand dieser Vertrag jedoch nur auf dem Papier, und zwar mehrere Monate lang, bis Markt24 ihn durch die Entlassung von BU beendete. Während dieses Zeitraums wies Markt24 der Arbeitnehmerin keine Arbeit zu, obwohl diese sich an ihrem Wohnort arbeitsbereit hielt. Markt24 zahlte ihr auch nicht den vereinbarten Arbeitslohn.

2. Daraufhin verklagte BU Markt24 vor dem Landesgericht Salzburg (Österreich), in dessen Gerichtsbezirk ihr Wohnsitz liegt, auf Zahlung des Arbeitslohns. Das Landesgericht wandte sich seinerseits mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(2) (im Folgenden: Brüssel‑Ia-Verordnung) an den Gerichtshof.

3. Mit seinen verschiedenen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob es für die Klage von BU zuständig ist oder ob diese vor einem deutschen Gericht hätte erhoben werden müssen. Das hängt zunächst davon ab, ob die Zuständigkeitsvorschriften in der Brüssel‑Ia-Verordnung – insbesondere deren Art. 21, der Klagen von Arbeitnehmern gegen ihre Arbeitgeber betrifft – auf eine solche Klage anwendbar sind. Sodann ist zu prüfen, ob dieser Artikel dem Arbeitnehmer gegebenenfalls erlaubt, unter Umständen wie jenen des vorliegenden Falles sein Wohnsitzgericht anzurufen. Bei Verneinung dieser Frage kommt es schließlich darauf an, ob das Wohnsitzgericht durch diese Verordnung daran gehindert wird, sich nach nationalen Vorschriften, die dem Arbeitnehmer diese Wahl ermöglichen, für zuständig zu erklären.

4. In diesen Schlussanträgen werde ich darlegen, dass eine Klage, wie sie von BU erhoben wurde, unter die Brüssel‑Ia-Verordnung fällt, so dass die für diese Klage zuständigen Gerichte anhand der Vorschriften dieser Verordnung, nicht aber nach nationalen Zuständigkeitsregeln zu bestimmen sind. Ich werde auch ausführen, dass der Arbeitnehmer in einer Situation, in der ein Arbeitsvertrag aus welchem Grund auch immer nicht vollzogen wurde, seinen Arbeitgeber nach dem genannten Art. 21 entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich dessen Wohnsitz befindet, oder vor dem Gericht des Ortes, an dem er seine Arbeit vertragsgemäß verrichten sollte, verklagen kann.

II. Rechtlicher Rahmen

A. BrüsselIa-Verordnung

5. Im 18. Erwägungsgrund der Brüssel‑Ia-Verordnung heißt es: „Bei Versicherungs‑, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.“

6. Abschnitt 5 („Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge“) in Kapitel II dieser Verordnung umfasst deren Art. 20 bis 23. Art. 20 Abs. 1 dieser Verordnung lautet:

„Bilden ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6, des Artikels 7 Nummer 5 und, wenn die Klage gegen den Arbeitgeber erhoben wurde, des Artikels 8 Nummer 1 nach diesem Abschnitt.“

7. Art. 21 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung bestimmt:

„Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden:

a) vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, oder

b) in einem anderen Mitgliedstaat

i) vor dem Gericht des Ortes, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, oder

ii) wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet oder verrichtet hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet oder befand.“

B. Österreichisches Recht

8. § 4 Abs. 1 Buchst. a und d des Bundesgesetzes vom 7. März 1985 über die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit (Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, im Folgenden: ASGG) bestimmt:

„Für die im § 50 Abs. 1 genannten Rechtsstreitigkeiten ist nach Wahl des Klägers örtlich zuständig:

1. in den Fällen der Z 1 bis 3 auch das Gericht, in dessen Sprengel

a) der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt während des Arbeitsverhältnisses hat oder wo er ihn im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte,

d) das Entgelt zu zahlen ist oder, sofern das Arbeitsverhältnis beendet ist, zuletzt zu zahlen war …“

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

9. BU ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in Salzburg (Österreich). Markt24 ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, deren Sitz sich in Unterschleißheim (Deutschland) befindet.

10. BU wurde eines Tages von einem Mann angesprochen, nach dessen Bekunden Markt24 Mitarbeiter suchte, woraufhin BU in einer Bäckerei in Salzburg mit diesem Mann einen Arbeitsvertrag unterschrieb, auf dem sich der Stempelaufdruck von Markt24 mit einer österreichischen Telefonnummer und einer deutschen Anschrift befand. Nach diesem Vertrag war BU auf Teilzeitbasis als Reinigungskraft angestellt, um Reinigungsarbeiten in München (Deutschland) für einen Monatslohn durchzuführen.

11. BU sollte ihre Tätigkeit am 6. September 2017 aufnehmen. Sie begann jedoch nie mit ihrer Arbeit. Denn Markt24 wies ihr nie eine Arbeit zu. Während BU an ihrem Wohnort telefonisch erreichbar und arbeitsbereit war, führte sie keine Reinigungstätigkeiten und auch keine sonstigen Arbeiten für Markt24 aus. BU besaß keine Telefonnummer des Mannes, mit dem sie ihren Arbeitsvertrag geschlossen hatte. Während des Arbeitsverhältnisses erhielt BU kein Entgelt. Sie war aber wie drei andere Mitarbeiter von Markt24 beim österreichischen Sozialversicherungsträger als Arbeitnehmerin angemeldet.

12. Am 15. Dezember 2017 wurde BU von Markt24 entlassen.

13. Am 27. April 2018 erhob BU gegen Markt24 vor dem Landesgericht Salzburg Klage auf Zahlung ausstehender Löhne, anteilsmäßiger Sonderzulagen und einer Urlaubsersatzleistung für die Zeit vom 6. September bis zum 15. Dezember 2017. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hält dieses Gericht für zuständig, da Markt24 zu Beginn ihres Arbeitsverhältnisses ein Büro in Salzburg unterhalten habe.

14. Da die Ladung Markt24 nicht zugestellt werden konnte und der Aufenthalt der Vertreter dieser Gesellschaft unbekannt war, bestellte das Landesgericht Salzburg einen Zustellungsbevollmächtigten. Dieser bestritt mit Schriftsatz vom 7. Januar 2019 die internationale und die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts.

15. Unter diesen Umständen hat das Landesgericht Salzburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 21 der Brüssel‑Ia-Verordnung auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden, bei dem zwar ein Arbeitsvertrag in Österreich für Arbeitsleistungen in Deutschland geschlossen wurde, aber von der Arbeitnehmerin, welche sich über mehrere Monate in Österreich arbeitsbereit gehalten hat, keine Arbeitsleistungen erbracht worden sind?

Bei Bejahung der Frage 1

2. Ist Art. 21 der Brüssel‑Ia-Verordnung so auszulegen, dass eine nationale Vorschrift, welche einer Arbeitnehmerin die (erleichterte) Klageerhebung an ihrem Wohnort, den sie während des Arbeitsverhältnisses hat oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte, wie § 4 Abs. 1 lit. a ASGG zur Anwendung kommen kann?

3. Ist Art. 21 der Brüssel‑Ia-Verordnung so auszulegen, dass eine nationale Vorschrift, welche einem Arbeitnehmer die (erleichterte) Klageerhebung an dem Ort ermöglicht, wo das Entgelt zu zahlen ist oder bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zu zahlen war, wie § 4 Abs. 1 lit. d ASGG zur Anwendung kommen kann?

Bei Verneinung der Fragen 2 und 3

4. a) Ist Art. 21 der Brüssel‑Ia-Verordnung so auszulegen, dass bei einem Arbeitsverhältnis, in dem die Arbeitnehmerin keine Arbeitsleistungen erbracht hat, die Klageerhebung in dem Mitgliedstaat zu erfolgen hat, in dem sich die Arbeitnehmerin arbeitsbereit gehalten hat?

b) Ist Art. 21 der Brüssel‑Ia-Verordnung so auszulegen, dass bei einem Arbeitsverhältnis, in dem die Arbeitnehmerin keine Arbeitsleistungen erbracht hat, die Klageerhebung in dem Mitgliedstaat zu erfolgen hat, in dem die Anbahnung und der Abschluss des Arbeitsvertrages erfolgten, auch wenn darin Arbeitsleistungen in einem anderen Mitgliedstaat vereinbart worden bzw. in Aussicht genommen waren?

Bei Verneinung der Frage 1

5. Ist Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden, bei dem zwar ein Arbeitsvertrag in Österreich für Arbeitsleistungen in Deutschland geschlossen wurde...

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