Opinion of Advocate General Pitruzzella delivered on 17 June 2021.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:495
Date17 June 2021
Celex Number62020CC0180
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GIOVANNI PITRUZZELLA

vom 17. Juni 2021(1)

Rechtssache C180/20

Europäische Kommission

gegen

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage – Beschlüsse (EU) 2020/245 und 2020/246 – Im Namen der Europäischen Union in dem mit dem Abkommen über eine umfassende und verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Armenien andererseits eingesetzten Partnerschaftsrat zu vertretender Standpunkt zur Annahme der Geschäftsordnungen des Partnerschaftsrates, des Partnerschaftsausschusses und der durch den Partnerschaftsrat eingesetzten Unterausschüsse und sonstigen Gremien sowie zur Erstellung der Liste der Unterausschüsse – Beschlüsse zur Festlegung der Standpunkte, die im Namen der Union in einem durch eine internationale Übereinkunft eingesetzten Gremium zu vertreten sind – Wahl der Rechtsgrundlage – Abkommen, dessen Regelungen teilweise der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zugeordnet werden können – Annahme von zwei getrennten Beschlüssen“






I. Einleitung

1. Im Rahmen der interinstitutionellen Rechtsstreitigkeiten über die Rechtsgrundlage der Rechtsakte der Union, der verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt(2), nehmen nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Rechtssachen, in denen es um die Abgrenzung zwischen dem auswärtigen Handeln der Europäischen Union in den unter den AEU-Vertrag fallenden Bereichen und der im EU-Vertrag verankerten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) geht(3), einen immer bedeutenderen Platz ein. Die Klage, die Gegenstand der vorliegenden Schlussanträge ist, reiht sich in diese Rechtssachen ein und stellt rund drei Jahre nach der Verkündung des Urteils vom 4. September 2018, Kommission/Rat (Abkommen mit Kasachstan)(4) (im Folgenden: Urteil Kasachstan), eine neue Etappe der Auseinandersetzung zwischen der Europäischen Kommission und dem Rat der Europäischen Union über die einschlägigen Rechtsgrundlagen für den Abschluss und die Durchführung von Partnerschaftsabkommen der sogenannten „neuen Generation“ dar. Im Urteil Kasachstan hatte der Gerichtshof erstmals darüber zu entscheiden, wie im Rahmen der Durchführung eines dieser Abkommen und insbesondere im Hinblick auf den Erlass eines Beschlusses nach Art. 218 Abs. 9 AEUV, mit dem der Rat den Standpunkt der Union in einem durch dieses Abkommen eingesetzten Gremium festlegt, Zuständigkeiten, die sich aus der GASP ergeben, und solche, die sich aus dem AEU-Vertrag ergeben, voneinander abzugrenzen sind(5).

2. In der vorliegenden Rechtssache beantragt die Kommission die Nichtigerklärung der Beschlüsse (EU) 2020/245(6) und 2020/246(7) des Rates (im Folgenden zusammen: angefochtene Beschlüsse) zur Festlegung des Standpunkts, der im Namen der Europäischen Union in dem mit dem Abkommen über eine umfassende und verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Armenien andererseits(8) (im Folgenden: CEPA) eingesetzten Partnerschaftsrat zu vertreten ist.

II. Rechtsrahmen

A. Die einschlägigen Bestimmungen des EU-Vertrags

3. Titel V Kapitel 1 des EU-Vertrags enthält „allgemeine Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union“. In diesem Kapitel legt Art. 21 Abs. 1 EUV die Grundsätze fest, von denen sich die Union bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene leiten lässt, und präzisiert, dass die Union anstrebt, die Beziehungen insbesondere zu Ländern, die diese Grundsätze teilen, auszubauen und Partnerschaften mit ihnen aufzubauen. Abs. 2 dieses Artikels zählt die Ziele des auswärtigen Handelns der Union auf, und Abs. 3 Unterabs. 1 dieses Artikels bestimmt, dass „[d]ie Union … bei der Ausarbeitung und Umsetzung ihres auswärtigen Handelns in den verschiedenen unter diesen Titel und den Fünften Teil des [AEU-Vertrags] fallenden Bereichen sowie der externen Aspekte der übrigen Politikbereiche die in den Absätzen 1 und 2 genannten Grundsätze und Ziele [wahrt]“.

4. Titel V Kapitel 2 des EU-Vertrags enthält die besonderen Bestimmungen über die GASP. Nach Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV „[gelten f]ür die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik … besondere Bestimmungen und Verfahren. Sie wird vom Europäischen Rat und vom Rat einstimmig festgelegt und durchgeführt, sofern in den Verträgen nichts anderes vorgesehen ist.“ Nach Art. 37 EUV, der ebenfalls zu diesem Kapitel gehört, „[kann d]ie Union … in den unter dieses Kapitel fallenden Bereichen Übereinkünfte mit einem oder mehreren Staaten oder internationalen Organisationen schließen“.

B. Die einschlägigen Bestimmungen des AEU-Vertrags

5. Im Fünften Teil des AEU-Vertrags, der das auswärtige Handeln der Union betrifft, ist der Titel V den internationalen Übereinkünften der Union gewidmet. Dieser Titel umfasst unter anderem Art. 218 AEUV, der das Verfahren für die Aushandlung und den Abschluss von Übereinkünften zwischen der Union und Drittländern oder internationalen Organisationen festlegt. In den Abs. 8 und 9 dieses Artikels heißt es:

„(8) Der Rat beschließt während des gesamten Verfahrens mit qualifizierter Mehrheit.

Er beschließt jedoch einstimmig, wenn die Vereinbarung einen Bereich betrifft, in dem für die Annahme eines Rechtsakts der Union Einstimmigkeit erforderlich ist …

(9) Der Rat erlässt auf Vorschlag der Kommission oder des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik einen Beschluss über die Aussetzung der Anwendung einer Übereinkunft und zur Festlegung der Standpunkte, die im Namen der Union in einem durch eine Übereinkunft eingesetzten Gremium zu vertreten sind, sofern dieses Gremium rechtswirksame Akte … zu erlassen hat.“

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits

A. Das CEPA

6. Am 29. September 2015 ermächtigte der Rat die Europäische Kommission und die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (im Folgenden: Hohe Vertreterin) zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der Republik Armenien(9). Diese Verhandlungen wurden mit der Paraphierung des Abkommens am 21. März 2017 erfolgreich abgeschlossen.

7. Am 20. November 2017 nahm der Rat einen Beschluss an, mit dem er die Unterzeichnung des CEPA im Namen der Union genehmigte und über die vorläufige Anwendung bestimmter Teile dieses Abkommens entschied(10) (im Folgenden: Unterzeichnungsbeschluss). Dieser Beschluss wurde auf Art. 37 EUV sowie auf die Art. 91 und 100 Abs. 2 AEUV und Art. 207 und 209 AEUV in Verbindung mit Art. 218 Abs. 5 und 7 AEUV und Art. 218 Abs. 8 Unterabs. 2 AEUV gestützt. Das CEPA wurde am 24. November 2017 unterzeichnet und wird seit dem 1. Juni 2018 vorläufig angewandt.

8. Art. 362 dieses Abkommens sieht die Einsetzung eines Partnerschaftsrats vor, der die Aufgabe hat, die Durchführung dieses Abkommens regelmäßig zu überwachen und zu überprüfen, und befugt ist, die Vertragsparteien bindende Beschlüsse zu fassen sowie Empfehlungen auszusprechen(11) (im Folgenden: Partnerschaftsrat). Der Partnerschaftsrat besteht aus Vertretern der Vertragsparteien auf Ministerebene und tritt in regelmäßigen Abständen, mindestens jedoch einmal jährlich, sowie immer dann, wenn die Umstände es erfordern, zusammen. Art. 362 Abs. 4 des CEPA sieht vor, dass der Partnerschaftsrat sich eine Geschäftsordnung gibt. Der Partnerschaftsrat wird bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben von einem nach Art. 363 des CEPA eingesetzten Partnerschaftsausschuss unterstützt, der sich aus Vertretern der Vertragsparteien auf der Ebene hoher Beamter zusammensetzt (im Folgenden: Partnerschaftsausschuss). Nach Abs. 4 dieses Artikels legt der Partnerschaftsrat in seiner Geschäftsordnung Aufgaben und Arbeitsweise dieses Ausschusses fest. Nach Art. 364 des CEPA kann der Partnerschaftsrat beschließen, Unterausschüsse und sonstige Gremien für bestimmte Bereiche einzusetzen, die ihn in diesen Bereichen unterstützen, und legt deren Zusammensetzung, Aufgaben und Arbeitsweise fest.

B. Die angefochtenen Beschlüsse

9. Die angefochtenen Beschlüsse betreffen die Annahme der Geschäftsordnungen des Partnerschaftsrats, des Partnerschaftsausschusses, der Unterausschüsse und anderer vom Partnerschaftsrat eingesetzter Gremien sowie die Aufstellung der Liste der Unterausschüsse (im Folgenden zusammen: die Geschäftsordnungen).

10. Am 29. November 2018 nahmen die Hohe Vertreterin und die Kommission einen Gemeinsamen Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den im Namen der Union im Partnerschaftsrat zu vertretenden Standpunkt im Hinblick auf die Annahme von Beschlüssen über die Geschäftsordnungen (im Folgenden: gemeinsamer Vorschlag)(12) an. Dieser Vorschlag stützte sich u. a. auf Art. 37 EUV als materielle Rechtsgrundlage.

11. Am 19. Juli 2019 legte die Kommission einen geänderten Vorschlag für einen Beschluss des Rates vor, in dem die Verweise auf die Hohe Vertreterin und auf Art. 37 EUV als materielle Rechtsgrundlage gestrichen worden waren(13) (im Folgenden: geänderter Vorschlag). Dieser Vorschlag stützte sich auf Art. 218 Abs. 9 AEUV als verfahrensrechtliche Rechtsgrundlage und auf die Art. 91 und 100 Abs. 2 AEUV sowie die Art. 207 und 209 AEUV als materielle Rechtsgrundlagen. In der Begründung dieser Entscheidung wurde ausgeführt, die Streichung von Art. 37 EUV als materielle Rechtsgrundlage sei insbesondere im Licht des Urteils Kasachstan gerechtfertigt.

12. Am 4. Dezember 2019 beschloss der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV), den anzunehmenden Rechtsakt in zwei Beschlüsse des Rates aufzuspalten, von denen sich der eine auf Art. 37 EUV stützte und nur Titel II des CEPA betraf, der sich auf die Zusammenarbeit im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik bezieht, während der andere auf andere Rechtsgrundlagen als die GASP gestützt war und das gesamte CEPA mit Ausnahme seines Titels II betraf.

13. Am 17. Februar 2020 nahm der Rat die beiden angefochtenen Beschlüsse an. Der Beschluss 2020/245 wurde auf der Grundlage von Art...

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