Conclusiones del Abogado General Sr. P. Pikamäe, presentadas el 21 de octubre de 2021.
Jurisdiction | European Union |
Date | 21 October 2021 |
Court | Court of Justice (European Union) |
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PRIIT PIKAMÄE
vom 21. Oktober 2021(1)
Rechtssache C‑432/20
ZK,
Beteiligter:
Landeshauptmann von Wien
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Wien [Österreich])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Einwanderungspolitik – Richtlinie 2003/109/EG – Art. 9 Abs. 1 Buchst. c – Verlust der Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen – Abwesenheit vom Unionsgebiet während eines Zeitraums von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten – Unterbrechung dieses Abwesenheitszeitraums – Unregelmäßige und kurze Aufenthalte im Unionsgebiet“
I. Einleitung
1. In der vorliegenden Rechtssache, die ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV zum Gegenstand hat, legt das Verwaltungsgericht Wien (Österreich) dem Gerichtshof drei Fragen zur Vorabentscheidung vor, die sich auf die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen(2) in der durch die Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011(3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2003/109) beziehen.
2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen ZK, einem kasachischen Staatsangehörigen, und dem Landeshauptmann von Wien (Österreich) wegen dessen Weigerung, die Rechtsstellung von ZK als langfristig aufenthaltsberechtigtem Drittstaatsangehörigen zu verlängern. Die ablehnende Entscheidung wurde damit begründet, dass sich ZK von August 2013 bis August 2018 jedes Jahr nur wenige Tage in der Europäischen Union aufgehalten habe. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die auf den vorliegenden Fall anwendbaren österreichischen Rechtsvorschriften, wonach kurze und unregelmäßige Aufenthalte in der Union nicht ausreichten, um den Verlust dieser Rechtsstellung aufgrund einer länger als zwölf Monate dauernden Abwesenheit vom Unionsgebiet zu verhindern, mit Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/109 unvereinbar seien. Nach dieser Bestimmung verliert ein Drittstaatsangehöriger den Anspruch auf die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten, wenn er sich „während eines Zeitraums von 12 aufeinander folgenden Monaten nicht im Gebiet der [Union] aufgehalten hat“. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts geht die oben genannte österreichische Regelung über das hinaus, was das Unionsrecht verlangt und zulässt.
3. Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof Gelegenheit, sich zu einer neuen Rechtsfrage zu äußern, nämlich zu den Voraussetzungen, die Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/109 für den Entzug der Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen durch die nationalen Behörden aufstellt. Konkret wird der Gerichtshof zu klären haben, welche Anforderungen an die Dauer und die Qualität des Aufenthalts im Unionsgebiet zu stellen sind, die jeder Drittstaatsangehörige erfüllen muss, um die ihm durch die Richtlinie 2003/109 verliehene Rechtsstellung behalten zu können. Die Antwort, die der Gerichtshof auf diese Vorlagefragen geben wird, kann sich auf die Integration von Drittstaatsangehörigen in den durch die Unionsverträge vorgesehenen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auswirken.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
4. In den Erwägungsgründen 2, 4, 6, 10 und 12 der Richtlinie 2003/109 heißt es:
„(2) Der Europäische Rat hat auf seiner Sondertagung in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 erklärt, dass die Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen an diejenige der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten angenähert werden sollte und einer Person, die sich während eines noch zu bestimmenden Zeitraums in einem Mitgliedstaat rechtmäßig aufgehalten hat und einen langfristigen Aufenthaltstitel besitzt, in diesem Mitgliedstaat eine Reihe einheitlicher Rechte gewährt werden sollte, die denjenigen der Unionsbürger so nah wie möglich sind.
…
(4) Die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind, trägt entscheidend zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts bei, der als eines der Hauptziele der Gemeinschaft im Vertrag angegeben ist.
…
(6) Die Dauer des Aufenthalts im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sollte das Hauptkriterium für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sein. Der Aufenthalt sollte rechtmäßig und ununterbrochen sein, um die Verwurzlung der betreffenden Person im Land zu belegen. Eine gewisse Flexibilität sollte vorgesehen werden, damit Umstände berücksichtigt werden können, die eine Person veranlassen können, das Land zeitweilig zu verlassen.
…
(10) Für die Prüfung des Antrags auf Gewährung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sollte ein System von Verfahrensregeln festgelegt werden. Diese Verfahren sollten effizient und angemessen sein, wobei die normale Arbeitsbelastung der mitgliedstaatlichen Verwaltungen zu berücksichtigen sind; sie sollten auch transparent und gerecht sein, um den betreffenden Personen angemessene Rechtssicherheit zu bieten. Sie sollten nicht dazu eingesetzt werden, um die betreffenden Personen in der Ausübung ihres Aufenthaltsrechts zu behindern.
…
(12) Um ein echtes Instrument zur Integration von langfristig Aufenthaltsberechtigten in die Gesellschaft, in der sie leben, darzustellen, sollten langfristig Aufenthaltsberechtigte nach Maßgabe der entsprechenden, in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen, in vielen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen wie die Bürger des Mitgliedstaats behandelt werden.“
5. Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie bestimmt:
„Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung
a) der Bedingungen, unter denen ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig in seinem Hoheitsgebiet aufhält, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erteilen oder entziehen kann, sowie der mit dieser Rechtsstellung verbundenen Rechte und
b) der Bedingungen für den Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, der die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der ihm diese Rechtsstellung zuerkannt hat.“
6. In Art. 4 („Dauer des Aufenthalts“) dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten erteilen Drittstaatsangehörigen, die sich unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten.
…
(3) Zeiten, in denen der Drittstaatsangehörige sich nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufgehalten hat, unterbrechen die Dauer des Zeitraums gemäß Absatz 1 nicht und fließen in die Berechnung dieses Aufenthalts ein, wenn sie sechs aufeinander folgende Monate nicht überschreiten und innerhalb des Zeitraums gemäß Absatz 1 insgesamt zehn Monate nicht überschreiten. …“
7. Art. 8 („Langfristige Aufenthaltsberechtigung – [EU]“) der Richtlinie 2003/109 sieht vor:
„(1) Vorbehaltlich des Artikels 9 ist die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten dauerhaft.
(2) Die Mitgliedstaaten stellen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine ‚langfristige Aufenthaltsberechtigung – [EU]‘ aus. Dieser Aufenthaltstitel ist mindestens fünf Jahre gültig und wird – erforderlichenfalls auf Antrag – ohne weiteres verlängert.
…“
8. Art. 9 („Entzug oder Verlust der Rechtsstellung“) dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Ein Drittstaatsangehöriger ist nicht mehr berechtigt, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu behalten, wenn
…
c) er sich während eines Zeitraums von 12 aufeinander folgenden Monaten nicht im Gebiet der [Union] aufgehalten hat.
(2) Abweichend von Absatz 1 Buchstabe c) können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Abwesenheit von mehr als 12 aufeinander folgenden Monaten oder eine Abwesenheit aus spezifischen Gründen oder in Ausnahmesituationen nicht den Entzug oder den Verlust der Rechtsstellung bewirken.
…
(5) Im Hinblick auf die Fälle des Absatzes 1 Buchstabe c) und des Absatzes 4 führen die Mitgliedstaaten, die die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt haben, ein vereinfachtes Verfahren für die Wiedererlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten ein.
…“
9. Art. 11 („Gleichbehandlung“) der Richtlinie 2003/109 lautet:
„(1) Langfristig Aufenthaltsberechtigte werden auf folgenden Gebieten wie eigene Staatsangehörige behandelt:
…
b) allgemeine und berufliche Bildung, einschließlich Stipendien und Ausbildungsbeihilfen gemäß dem nationalen Recht;
…
d) soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz im Sinn des nationalen Rechts;
e) steuerliche Vergünstigungen;
f) Zugang zu Waren und Dienstleistungen sowie zur Lieferung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen für die Öffentlichkeit und zu Verfahren für den Erhalt von Wohnraum;
g) Vereinigungsfreiheit sowie Mitgliedschaft und Betätigung in einer Gewerkschaft, einem Arbeitgeberverband oder einer sonstigen Organisation, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, sowie Inanspruchnahme der von solchen Organisationen angebotenen Leistungen, unbeschadet der nationalen Bestimmungen über die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit;
…
(2) In Bezug auf Absatz 1 Buchstaben b), d), e), f) und g) kann der betreffende Mitgliedstaat die Gleichbehandlung auf die Fälle beschränken, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des langfristig Aufenthaltsberechtigten oder seiner Familienangehörigen, für die er Leistungen beansprucht, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats liegt.
…“
B. Österreichisches Recht
10. Die einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts finden sich im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz(4) (im Folgenden: NAG).
11. § 2 Abs. 7 NAG lautet:
„Kurzfristige Inlands- und Auslandsaufenthalte, insbesondere zu...
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