Conclusiones del Abogado General Sr. G. Pitruzzella, presentadas el 9 de diciembre de 2021.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:995
Date09 December 2021
Celex Number62020CC0426
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GIOVANNI PITRUZZELLA

vom 9. Dezember 2021(1)

Rechtssache C426/20

GD,

ES

gegen

Luso Temp – Empresa de Trabalho Temporário SA

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Judicial da Comarca de Braga – Juízo do Trabalho de Barcelos [Portugal])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Leiharbeit – Anspruch auf bezahlten Urlaub – Ausgleichszahlung aufgrund der Beendigung des Vertragsverhältnisses – Grundsatz der Gleichbehandlung – Wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern“






1. Steht der in der Richtlinie 2008/104(2) verbürgte Grundsatz der Gleichbehandlung einer nationalen Vorschrift entgegen, die es zulässt, dass ein Unternehmen, das einen Leiharbeitnehmer beschäftigt, bei Beendigung des Vertragsverhältnisses einen geringeren Ausgleich für nicht genommenen Urlaub zahlt, als er den Arbeitnehmern zustünde, die von demselben entleihenden Unternehmen unmittelbar eingestellt sind?

2. Das ist im Wesentlichen der Inhalt des Vorabentscheidungsersuchens, das das nationale portugiesische Gericht an den Gerichtshof im Rahmen einer nationalen Rechtsordnung richtet, die die Rechte von Leiharbeitnehmern bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einer Sondervorschrift regelt.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

3. In den Erwägungsgründen 1, 10 bis 12 und 15 der Richtlinie 2008/104 heißt es:

„(1) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und befolgt die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Prinzipien … Sie soll insbesondere die uneingeschränkte Einhaltung von Artikel 31 der Charta gewährleisten, wonach jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sowie auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub hat.

(10) In Bezug auf die Inanspruchnahme der Leiharbeit sowie die rechtliche Stellung, den Status und die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer lassen sich innerhalb der Union große Unterschiede feststellen.

(11) Die Leiharbeit entspricht nicht nur dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen, sondern auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu vereinbaren. Sie trägt somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bei.

(12) Die vorliegende Richtlinie legt einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer fest und wahrt gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen.

(15) Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Im Falle von Arbeitnehmern, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen geschlossen haben, sollte angesichts des hierdurch gegebenen besonderen Schutzes die Möglichkeit vorgesehen werden, von den im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln abzuweichen.“

4. Art. 1 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 sieht vor:

„Diese Richtlinie gilt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.“

5. Art. 2 („Ziel“) der Richtlinie 2008/104 sieht vor:

„Ziel dieser Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gemäß Artikel 5 gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.“

6. Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 lautet:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

„f) ‚wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen‘ die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art, die im entleihenden Unternehmen gelten, festgelegt sind und sich auf folgende Punkte beziehen:

i) Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage,

ii) Arbeitsentgelt.“

7. In dem in Kapitel II über Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen enthaltenen Art. 5 („Grundsatz der Gleichbehandlung“) der Richtlinie 2008/104 heißt es:

„(1) Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer entsprechen während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.

(2) In Bezug auf das Arbeitsentgelt können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner die Möglichkeit vorsehen, dass vom Grundsatz des Absatzes 1 abgewichen wird, wenn Leiharbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen haben, auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden.

(3) Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern, welche von den in Absatz 1 aufgeführten Regelungen abweichen können, enthalten können.

(4) Sofern Leiharbeitnehmern ein angemessenes Schutzniveau gewährt wird, können Mitgliedstaaten, in denen es entweder kein gesetzliches System, durch das Tarifverträge allgemeine Gültigkeit erlangen, oder kein gesetzliches System bzw. keine Gepflogenheiten zur Ausweitung von deren Bestimmungen auf alle vergleichbaren Unternehmen in einem bestimmten Sektor oder bestimmten geografischen Gebiet gibt, – nach Anhörung der Sozialpartner auf nationaler Ebene und auf der Grundlage einer von ihnen geschlossenen Vereinbarung – Regelungen in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern festlegen, die vom Grundsatz des Absatzes 1 abweichen. Zu diesen Regelungen kann auch eine Wartezeit für Gleichbehandlung zählen.

…“

B. Nationales portugiesisches Recht

8. In Art. 185 („Arbeitsbedingungen des Leiharbeitnehmers“) des durch das Gesetz 7/2009 vom 12. Februar 2009 genehmigten Código do Trabalho (im Folgenden: Arbeitsgesetzbuch) heißt es:

„…

(6) Der Arbeitnehmer hat anteilig im Verhältnis zur Vertragslaufzeit Anspruch auf Urlaub, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie auf andere regelmäßige, periodische Leistungen, auf die die Arbeitnehmer des Entleihers bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit Anspruch haben.

…“

9. In Art. 237 („Urlaubsanspruch“) des Arbeitsgesetzbuchs heißt es:

„(1) Der Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Urlaub, der zum 1. Januar erworben wird.

(2) Der Urlaubsanspruch bezieht sich in der Regel auf die im vorangegangenen Kalenderjahr geleistete Arbeit, ist jedoch nicht von einer regelmäßigen Anwesenheit oder der tatsächlichen Erbringung der Dienste abhängig.

…“

10. Art. 238 („Urlaubsdauer“) Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs bestimmt:

„(1) Der Jahresurlaub beträgt mindestens 22 Werktage.

…“

11. Art. 239 („Sonderfälle der Urlaubsdauer“) des Arbeitsgesetzbuchs lautet:

„(1) Im Jahr des Stellenantritts hat der Arbeitnehmer Anspruch auf zwei Werktage Urlaub für jeden Monat der Vertragslaufzeit bis zur Höhe von 20 Werktagen, die nach sechs Monaten der Vertragsdurchführung in Anspruch genommen werden können.

(2) Endet das Kalenderjahr vor Ablauf der im vorstehenden Absatz genannten Frist, so ist der Urlaub bis zum 30. Juni des Folgejahres in Anspruch zu nehmen.

(3) Unbeschadet der Bestimmungen einer kollektiven arbeitsrechtlichen Regelung dürfen die Bestimmungen der vorstehenden Absätze nicht dazu führen, dass im selben Kalenderjahr mehr als 30 Werktage Urlaub in Anspruch genommen werden.“

12. Art. 245 („Auswirkungen der Beendigung des Arbeitsvertrags auf den Urlaubsanspruch“) des Arbeitsgesetzbuchs sieht vor:

„(1) Bei Beendigung des Arbeitsvertrags hat der Arbeitnehmer Anspruch auf das Urlaubsentgelt und das entsprechende Urlaubsgeld:

a) entsprechend dem erworbenen und nicht in Anspruch genommenen Urlaub;

b) anteilig im Verhältnis zur Dauer der im Jahr der Beendigung geleisteten Dienste.

(2) Im Fall von Buchst. a des vorstehenden Absatzes wird der Urlaubszeitraum für die Zwecke des Dienstalters berücksichtigt.

(3) Im Fall der Vertragsbeendigung im auf das Jahr des Stellenantritts folgenden Kalenderjahr oder einer Vertragsdauer von nicht mehr als 12 Monaten darf der Gesamtbetrag des Urlaubs bzw. des entsprechenden Entgelts, auf das der Arbeitnehmer Anspruch hat, im Verhältnis den Jahresurlaub unter Berücksichtigung der Vertragsdauer nicht übersteigen.“

II. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

13. GD und ES schlossen am 29. Oktober 2017 bzw. 9. Oktober 2017 mit der Agentur Luso Temp – Empresa de Trabalho Temporário SA einen Leiharbeitsvertrag. In diesem Rahmen wurden die Kläger der Gesellschaft Inoveplástika – Inovação e Tecnologia em Plásticos, S.A. zur Verfügung gestellt, und ihre Überlassung endete am 28. Oktober 2019 (im Fall der Klägerin GD) bzw. am 8. Oktober 2019 (im Fall des Klägers ES).

14. Nach Auflösung ihrer Arbeitsverträge erhoben die Kläger beim Tribunal Judicial da Comarca de Braga, Juízo do Trabalho de Barcelos (Bezirksgericht Braga, Arbeitsgericht Barcelos, Portugal), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Zahlung der Beträge, die ihnen zufolge als Urlaubsgeld und als Ausgleich für Jahresurlaub für den Zeitraum geschuldet wurden, während...

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