Opinion of Advocate General Richard de la Tour delivered on 28 October 2021.

JurisdictionEuropean Union
Date28 October 2021
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 28. Oktober 2021(1)

Rechtssache C275/20

Europäische Kommission

gegen

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage – Beschluss (EU) 2020/470 – Verlängerung der Frist des Leistungsanspruchs für audiovisuelle Koproduktionen gemäß Artikel 5 des Protokolls über kulturelle Zusammenarbeit zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits – Verfahrensrechtliche Grundlage – Art. 218 Abs. 7 AEUV – Anzuwendendes Verfahren und geltende Abstimmungsregel“






I. Einleitung

1. Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission die Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2020/470 des Rates vom 25. März 2020 in Bezug auf die Verlängerung der Frist des Leistungsanspruchs für audiovisuelle Koproduktionen gemäß Artikel 5 des Protokolls über kulturelle Zusammenarbeit zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits(2).

2. Mit diesem Protokoll wurde ein Rahmen geschaffen, in dem die Vertragsparteien zusammenarbeiten, um den Austausch kultureller Aktivitäten, Güter und Dienstleistungen, u. a. im audiovisuellen Sektor, zu erleichtern und die Bedingungen für diesen Austausch zu verbessern. Die Vertragsparteien erklärten sich darin bereit, audiovisuellen Koproduktionen von Produzenten aus der Union und der Republik Korea Anspruch auf Leistungen aus ihren jeweiligen Regelungen für die Förderung von lokalen/regionalen kulturellen Inhalten zu gewähren. Alle drei Jahre wird entschieden, ob dieser Anspruch verlängert wird.

3. Auf Unionsebene wurde die Kommission vom Rat der Europäischen Union ermächtigt, dem in Rede stehenden Anspruch vor dem jeweiligen Auslaufdatum ein Ende zu setzen oder im Gegenteil dessen Verlängerung vorzuschlagen. In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof zu klären haben, ob diese Ermächtigung in den Anwendungsbereich von Art. 218 Abs. 7 AEUV fällt und, wenn ja, ob die Bedingungen, unter denen von ihr Gebrauch zu machen ist, mit dieser Bestimmung im Einklang stehen.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Protokoll über kulturelle Zusammenarbeit

4. Das Protokoll über kulturelle Zusammenarbeit(3), das dem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits(4) beigefügt ist, sieht in Art. 5 („Audiovisuelle Koproduktionen“) vor, dass für audiovisuelle Koproduktionen ein Anspruch auf Leistungen aus den jeweiligen Regelungen für die Förderung von lokalen/regionalen kulturellen Inhalten besteht (im Folgenden: fraglicher Anspruch). In diesem Art. 5 heißt es:

„…

(3) Im Einklang mit ihren jeweiligen Rechtsvorschriften erleichtern die Vertragsparteien Koproduktionen zwischen Produzenten aus der EU-Vertragspartei und Korea auch dadurch, dass für Koproduktionen Anspruch auf Leistungen aus den jeweiligen Regelungen für die Förderung von lokalen/regionalen kulturellen Inhalten besteht.

(8) a) Der Anspruch von Koproduktionen auf Leistungen aus den jeweiligen Regelungen für die Förderung lokaler/regionaler kultureller Inhalte nach den Absätzen 4 und 5 gilt für drei Jahre nach Beginn der Anwendung dieses Protokolls. Auf Anraten der Beratergruppen stimmt sich der Ausschuss für kulturelle Zusammenarbeit sechs Monate vor Ablauf der Frist ab, um zu bewerten, ob die durch die Ansprüche begründeten Leistungen zu einer größeren kulturellen Vielfalt und zu einer für beide Seiten bereichernden Kooperation bei koproduzierten Werken geführt haben.

b) Der Anspruch wird um drei Jahre verlängert und danach automatisch jeweils um weitere drei Jahre, es sei denn[,] eine Vertragspartei setzt dem Anspruch schriftlich wenigstens drei Monate vor Ablauf des ursprünglichen oder eines nachfolgenden Zeitraums ein Ende. Sechs Monate vo[r] Ablauf jeder Verlängerung erstellt der Ausschuss für kulturelle Zusammenarbeit eine Bewertung, die unter ähnlichen Bedingungen wie unter Buchstabe a erfolgt.

…“

B. Beschluss 2011/265/EU

5. Im sechsten Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/265/EU des Rates vom 16. September 2010 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – und vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits(5) heißt es:

„(6) Es ist zweckmäßig, wenn der Rat die Kommission auf der Grundlage von Artikel 218 Absatz 7 des Vertrags ermächtigt, bestimmte begrenzte Änderungen des Abkommens [mit der Republik Korea] zu billigen. Die Kommission sollte ermächtigt werden, den nach Artikel 5 des Protokolls über kulturelle Zusammenarbeit begründeten Leistungsanspruch bei Koproduktionen zu widerrufen, es sei denn, der Anspruch sollte nach dem Dafürhalten der Kommission aufrechterhalten werden und der Rat genehmigt dies in einem Sonderverfahren, da zum einen dieser Punkt in dem Abkommen besonders sensibel ist und zum anderen das Abkommen von der Union und ihren Mitgliedstaaten abgeschlossen werden muss. …“

6. Art. 4 Abs. 1 dieses Beschlusses sieht vor:

„Die Kommission setzt Korea von der Absicht der Union in Kenntnis, die Frist für den Leistungsanspruch bei Koproduktionen nach Artikel 5 des Protokolls über die kulturelle Zusammenarbeit nur dann nach dem Verfahren von dessen Artikel 5 Absatz 8 zu verlängern, wenn der Rat vier Monate vor Ablauf dieser Frist auf Vorschlag der Kommission der Verlängerung dieses Anspruchs zustimmt. Stimmt der Rat der Verlängerung dieses Anspruchs zu, so kommt diese Bestimmung zum Ende des Verlängerungszeitraums erneut zur Anwendung. Bei Verlängerung der Anspruchsfrist beschließt der Rat einstimmig.“

C. Durchführungsbeschluss 2014/226/EU

7. Mit dem Durchführungsbeschluss 2014/226/EU des Rates vom 14. April 2014 über die Verlängerung der Frist für den Leistungsanspruch für audiovisuelle Koproduktionen gemäß Artikel 5 des Protokolls über kulturelle Zusammenarbeit zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits(6) wurde die Frist des Anspruchs für audiovisuelle Koproduktionen auf Leistungen aus den jeweiligen Regelungen der Vertragsparteien für die Förderung lokaler und regionaler kultureller Inhalte gemäß Art. 5 Abs. 4 bis 7 dieses Protokolls um drei Jahre, nämlich vom 1. Juli 2014 bis zum 30. Juni 2017, verlängert.

D. Beschluss (EU) 2015/2169

8. Mit dem Beschluss (EU) 2015/2169 des Rates vom 1. Oktober 2015 über den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits(7) wurde dieses Abkommen im Namen der Union genehmigt. Der sechste Erwägungsgrund dieses Beschlusses hat denselben Wortlaut wie der sechste Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/265. Desgleichen hat Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses 2015/2169 einen ganz ähnlichen Inhalt wie Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2011/265.

E. Beschluss (EU) 2017/1107

9. Mit dem Beschluss (EU) 2017/1107 des Rates vom 8. Juni 2017 in Bezug auf die Verlängerung der Frist des Leistungsanspruchs für audiovisuelle Koproduktionen gemäß Artikel 5 des Protokolls über kulturelle Zusammenarbeit zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits(8) wurde die Frist des Anspruchs für audiovisuelle Koproduktionen auf Leistungen aus den jeweiligen Regelungen der Vertragsparteien für die Förderung lokaler und regionaler kultureller Inhalte gemäß Art. 5 Abs. 4 bis 7 dieses Protokolls um drei Jahre, nämlich vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2020, verlängert.

F. Angefochtener Beschluss

10. Der angefochtene Beschluss, der auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses 2015/2169 erlassen wurde, sieht vor, dass die Frist des Anspruchs für audiovisuelle Koproduktionen auf Leistungen aus den jeweiligen Regelungen der Vertragsparteien für die Förderung lokaler oder regionaler kultureller Inhalte gemäß Art. 5 Abs. 4 bis 7 des Protokolls über kulturelle Zusammenarbeit um drei Jahre, nämlich vom 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2023, verlängert wird.

III. Anträge der Parteien

11. Die Kommission beantragt, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

12. Der Rat beantragt, die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Für den Fall, dass der angefochtene Beschluss für nichtig erklärt werden sollte, beantragt er hilfsweise, dessen Wirkungen aufrechtzuerhalten, bis die Nichtigkeitsgründe behoben sind.

13. Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 7. Dezember 2020 sind die Französische Republik und das Königreich der Niederlande als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.

IV. Zusammenfassung der Klagegründe und der Argumente der Parteien

14. Die Kommission stützt ihre Nichtigkeitsklage auf einen einzigen Klagegrund, mit dem sie geltend macht, dass die Heranziehung von Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses 2015/2169 als Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses gegen den Vertrag und die Rechtsprechung des Gerichtshofs verstoße und daher rechtswidrig sei.

15. Diese Bestimmung des Beschlusses 2015/2169 sei zwar entsprechend in dem von ihr am 9. April 2010 vorgelegten Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und der Republik Korea(9) enthalten gewesen, aber angesichts der Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sei davon auszugehen, dass dieser Vorschlag – zu dessen Vorlage sie sich verpflichtet gesehen habe, um die für den Abschluss dieses Abkommens erforderliche Genehmigung des Rates zu erlangen – nicht mit den Verträgen vereinbar sei, was auch der Grund dafür sei, dass sie es seit 2015 systematisch ablehne, sich auf diese Bestimmung zu stützen. Trotz ihres ausdrücklichen Widerspruchs sei...

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