Opinion of Advocate General Medina delivered on 18 January 2024.
Jurisdiction | European Union |
Date | 18 January 2024 |
Court | Court of Justice (European Union) |
Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
LAILA MEDINA
vom 18. Januar 2024(1)
Rechtssache C‑240/22 P
Europäische Kommission
gegen
Intel Corporation Inc.
„Rechtsmittel – Wettbewerb – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Markt für Mikroprozessoren – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV und Art. 54 EWR-Abkommen festgestellt wird – Treuerabatte – Einstufung als Missbrauch – As-Efficient-Competitor-Test – Gesamtstrategie – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Komplexe wirtschaftliche Beurteilung – Extrapolation von Wirtschaftsdaten – In Form von nicht in Geldleistungen bestehenden Vorteilen gewährte Rabatte“
I. Einleitung
1. Die vorliegenden Schlussanträge betreffen ein von der Europäischen Kommission eingelegtes Rechtsmittel auf Aufhebung des Urteils vom 26. Januar 2022, Intel Corporation/Kommission (T‑286/09 RENV)(2). Dieses Urteil folgte auf das Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2017, Intel/Kommission (C‑413/14 P)(3), mit dem der Gerichtshof sowohl das Urteil vom 12. Juni 2014, Intel/Kommission (T‑286/09)(4), aufhob als auch die Sache an das Gericht zurückverwies.
2. Mit dem angefochtenen Urteil kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung K(2009) 3726 endg. in einem Verfahren nach Art. [102 AEUV] und Art. 54 EWR-Abkommen(5) teilweise für nichtig zu erklären sei.
3. Konkret hat das Gericht entschieden, dass die Kommission nicht den Nachweis erbracht habe, dass die Ausschließlichkeitsrabatte und die Zahlungen, die Intel Computerherstellern (Original Equipment Manufacturers [OEM], im Folgenden: Computerhersteller) und einem im Bereich Bürocomputer tätigen europäischen Einzelhandelsunternehmen gewährt habe, geeignet gewesen seien, möglicherweise oder wahrscheinlich Wettbewerber auf wettbewerbswidrige Weise vom Markt zu verdrängen und damit eine Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV darstellen würden(6). Dies beruhe auf den Fehlern, unter denen die angefochtene Entscheidung leide, und die erstens den von der Kommission durchgeführten As-Efficient-Competitor-Test (Kriterium des ebenso effizienten Wettbewerbers, im Folgenden: AEC‑Test) und zweitens die Beurteilung des Umfangs der Markterfassung durch die Verhaltensweise von Intel sowie der Dauer dieser Verhaltensweise beträfen(7).
4. Die Kommission tritt der Herangehensweise des Gerichts entgegen und stützt ihr Rechtsmittel auf sechs Gründe. Mit diesen Rechtsmittelgründen macht die Kommission im Wesentlichen geltend, das Gericht habe keine Gesamtbeurteilung der Frage vorgenommen, ob die Verhaltensweisen von Intel unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände geeignet gewesen seien, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, Beweismittel verfälscht und eine Reihe von Rechtsfehlern in Bezug auf den Prüfungsmaßstab begangen, den AEC‑Test, wie er in der angefochtenen Entscheidung durchgeführt worden sei, falsch gedeutet sowie die Verteidigungsrechte der Kommission verletzt.
5. Der Gerichtshof hat um die Prüfung zweier konkreter rechtlicher Fragen gebeten, die den vierten und den fünften Rechtsmittelgrund betreffen. Mit beiden Rechtsmittelgründen wird die Durchführung des AEC‑Tests in Bezug auf zwei der Computerhersteller beanstandet, denen die Verhaltensweise von Intel zugutekam. Daher werden die vorliegenden Schlussanträge sich auf diese Rechtsmittelgründe konzentrieren, insbesondere auf die dort aufgeworfenen Fragen, die zum einen den Beurteilungsspielraum der Kommission bei der Anwendung des AEC‑Tests auf ein konkretes Verhalten und zum anderen die Beurteilung von Rabatten, die in Form von nicht in Geldleistungen bestehenden Vorteilen gewährt werden, betreffen.
II. Sachverhalt und Verfahren
6. Der Sachverhalt und das Verfahren lassen sich für die vorliegenden Schlussanträge wie folgt zusammenfassen(8).
A. Hintergrund des Rechtsstreits und Verwaltungsverfahren
7. Intel Corporation (im Folgenden: Intel) ist eine in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässige Gesellschaft, die CPU (Central Processing Units, im Folgenden: Prozessoren), Chipsätze und andere Halbleiterbauteile sowie Plattformlösungen für die Datenverarbeitung und für Kommunikationsgeräte konzipiert, entwickelt, herstellt und vertreibt.
8. Aufgrund einer förmlichen Beschwerde, die von Advanced Micro Devices Inc. (im Folgenden: AMD) am 18. Oktober 2000 eingereicht und am 26. November 2003 ergänzt wurde, leitete die Kommission Ermittlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates(9) ein.
9. Die Kommission stellte Intel am 26. Juli 2007 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte über ihr Verhalten gegenüber fünf bedeutenden Computerherstellern, nämlich Dell, Hewlett-Packard Company (im Folgenden: HP), Acer Inc. (im Folgenden: Acer), NEC Corp. (im Folgenden: NEC) und International Business Machines Corp. (im Folgenden: IBM), zu.
10. Am 17. Juli 2008 übermittelte die Kommission Intel eine ergänzende Mitteilung der Beschwerdepunkte über ihr Verhalten gegenüber MSH, einem auf Mikroelektronikgeräte spezialisierten europäischen Einzelhandelsunternehmen, das in Europa im Bereich Bürocomputer führend ist. Diese Mitteilung der Beschwerdepunkte befasste sich auch mit dem Verhalten von Intel gegenüber der Lenovo Group Ltd (im Folgenden: Lenovo) und enthielt neue Beweismittel über das Verhalten von Intel gegenüber einigen der vorstehend erwähnten Computerherstellern.
11. Nach verschiedenen Verfahrensschritten nahm die Kommission am 13. Mai 2009 die angefochtene Entscheidung an, von der im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2009, C 227, S. 13) eine Zusammenfassung veröffentlicht ist.
B. Angefochtene Entscheidung
12. Der angefochtenen Entscheidung zufolge hat Intel von Oktober 2002 bis Dezember 2007 dadurch eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV und Art. 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) begangen, dass sie eine Strategie mit dem Ziel umgesetzt hat, einen Wettbewerber – AMD – vom Markt der Prozessoren mit x86-Architektur (im Folgenden: x86-Prozessoren) zu verdrängen.
1. Relevanter Markt
13. Relevantes Produkt der angefochtenen Entscheidung sind Prozessoren, nämlich x86-Prozessoren. Der Prozessor ist ein wesentlicher Bestandteil eines jeden Computers, der sowohl die Gesamtleistung des Systems als auch die Gesamtkosten maßgeblich bestimmt. Er wird oft als „Gehirn“ des Computers angesehen, und für seine Herstellung werden kostspielige Anlagen der Spitzentechnologie benötigt. Vor 2000 gab es auf dem Markt mehrere Hersteller von x86-Prozessoren. Die meisten sind inzwischen jedoch aus dem Markt ausgeschieden. Der angefochtenen Entscheidung zufolge sind Intel und AMD praktisch die beiden einzigen Unternehmen, die noch x86-Prozessoren herstellen.
14. Als räumlicher Markt wurde der Weltmarkt definiert.
2. Beherrschende Stellung
15. Die Kommission gelangte zum einen wegen eines von Intel zwischen 1997 und 2007 gehaltenen Marktanteils von etwa 70 % oder mehr und zum anderen wegen der auf dem relevanten Markt bestehenden erheblichen Eintrittsschranken und Expansionshemmnisse – die mit den verlorenen Investitionen in Forschung und Entwicklung, dem geistigen Eigentum und den erforderlichen Produktionsanlagen zusammenhingen – zu dem Schluss, dass Intel auf diesem Markt zumindest in dem Zeitraum, auf den sich die angefochtene Entscheidung beziehe (Oktober 2002 bis Dezember 2007), eine beherrschende Stellung innegehabt habe.
3. Arten von Verhaltensweisen
16. In der angefochtenen Entscheidung werden zwei Arten von Verhaltensweisen von Intel gegenüber ihren Geschäftspartnern beschrieben: bedingte Rabatte und reine Beschränkungen.
17. Erstens habe Intel vier Computerherstellern (Dell, Lenovo, HP und NEC) Rabatte unter der Bedingung gewährt, dass sie alle oder nahezu alle x86-Prozessoren bei ihr bezögen. Ebenso habe sie Zahlungen an MSH unter der Bedingung geleistet, dass MSH ausschließlich Computer mit x86-Prozessoren von ihr verkaufe.
18. Die Kommission gelangte in der angefochtenen Entscheidung zu dem Schluss, dass es sich bei den bedingten Rabatten, die Intel den Computerherstellern gewährt habe, um Treuerabatte gehandelt habe. Hinsichtlich MSH wurde in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass der wirtschaftliche Mechanismus der bedingten Zahlungen von Intel dem der bedingten Rabatte entspreche, die den Computerherstellern gewährt worden seien.
19. Zudem wurde in der angefochtenen Entscheidung eine wirtschaftliche Analyse der Frage vorgenommen, ob die Rabatte einen ebenso effizienten Wettbewerber wie Intel, der jedoch keine beherrschende Stellung innehabe, vom Markt hätten verdrängen können, und zwar indem der Preis ermittelt wurde, zu dem ein solcher Wettbewerber seine Prozessoren hätte anbieten müssen, um einen Computerhersteller für den Verlust der Rabatte, die ihm Intel gewährt hätte, zu entschädigen. Ein solcher Test wurde auch bei den Zahlungen, die Intel an MSH geleistet hat, durchgeführt.
20. Auf der Grundlage der zusammengetragenen Beweismittel gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass die von Intel gewährten bedingten Rabatte und Zahlungen eine Treuebindung der strategisch wichtigen Computerhersteller und von MSH erzeugt hätten. Die genannten Verhaltensweisen hätten insoweit sich gegenseitig ergänzende Auswirkungen gehabt, als sie die Fähigkeit der Wettbewerber, einen auf der Leistung ihrer x86-Prozessoren beruhenden Wettbewerb auszutragen, erheblich geschwächt hätten. Das wettbewerbswidrige Verhalten von Intel habe somit dazu beigetragen, die Auswahl der Verbraucher und die Anreize für Innovation zu verringern.
21. Zweitens stellt die Kommission zu den reinen Beschränkungen fest, dass Intel an drei Computerhersteller, nämlich HP, Acer und Lenovo, unter der Bedingung Zahlungen geleistet habe, dass sie das Auf-den-Markt-Bringen von Produkten mit Prozessoren von AMD aufschöben oder aufgäben und/oder Beschränkungen für den Vertrieb solcher Produkte auferlegten. Auch dieses Verhalten von Intel habe den Wettbewerb unmittelbar geschädigt und...
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