Conclusiones del Abogado General Sr. A. M. Collins, presentadas el 2 de marzo de 2023.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2023:156
Date02 March 2023
Celex Number62022CC0035
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTHONY COLLINS

vom 2. März 2023(1)

Rechtssache C35/22

Cajasur Banco S. A.

gegen

JO,

IM

(Vorabentscheidungsersuchen der Audiencia Provincial de Málaga [Provinzgericht Malaga, Spanien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Von nationalen Gerichten für nichtig erklärte allgemeine Geschäftsbedingungen eines Hypothekendarlehensvertrags – Nationale Regelung, nach der ein Verbraucher eine vorgerichtliche Aufforderung vornehmen muss, um sicherzustellen, dass die Kosten des nachfolgenden Gerichtsverfahrens der Gegenpartei auferlegt werden – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz – Geordnete Rechtspflege“






I. Einleitung

1. Art. 395 („Verurteilung zur Tragung der Kosten nach Anerkenntnis“) der Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil (Gesetz 1/2000 über die Zivilprozessordnung, im Folgenden: Zivilprozessordnung) vom 7. Januar 2000(2) lautet:

„1. Erkennt der Beklagte den Anspruch an, bevor er die Klage beantwortet, sind ihm die Kosten nicht aufzuerlegen, es sei denn, das Gericht stellt mit gebührender Begründung seine Bösgläubigkeit fest.

Der Beklagte gilt als bösgläubig, wenn der Kläger vor der Klageerhebung eine schlüssige und begründete Zahlungsaufforderung an ihn gerichtet hat, wenn ein Mediationsverfahren eingeleitet worden ist oder wenn der Beklagte zur Teilnahme an einem Schlichtungsverfahren aufgefordert worden ist.

2. Erfolgt das Anerkenntnis erst nach der Klagebeantwortung, findet Abs. 1 des vorstehenden Artikels Anwendung“.

2. Muss ein Verbraucher, der sich auf nationale Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen(3) beruft, um ein Gericht zu veranlassen, Klauseln über Hypothekengebühren in einem Darlehensvertrag für nichtig zu erklären, von dem beklagten Kreditinstitut vor Einleitung eines solchen Verfahrens die Rückzahlung dieser Gebühren verlangen, um damit nachweisen zu können, dass der Beklagte bösgläubig im Sinne des genannten Art. 395 der Zivilprozessordnung gehandelt hat?

II. Ausgangsverfahren, Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

3. Zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt schlossen JO und IM, zwei natürliche Personen, mit der Cajasur Banco S. A. (im Folgenden: Cajasur) einen Vertrag über ein Hypothekendarlehen.

4. Im Jahr 2018 erhoben JO und IM beim Juzgado de Primera Instancia n° 18 bis de Málaga (Gericht erster Instanz Nr. 18a Malaga, Spanien) eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit einer Klausel, nach der sie zur Zahlung von in einem Darlehensvertrag vorgesehenen Hypothekengebühren verpflichtet waren, wegen Missbräuchlichkeit. Sie forderten außerdem die Rückzahlung von Beträgen, die sie aufgrund dieser Klausel gezahlt hatten. Vor der Erhebung ihrer Klage hatten JO und IM diese Beträge nicht von Cajasur zurückgefordert.

5. Nach der Zustellung der Klage erkannte Cajasur den geltend gemachten Anspruch hinsichtlich der Missbräuchlichkeit der Klausel über die Hypothekengebühren an. Sie bot an, einen – auf der Grundlage der jüngeren Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) berechneten – Teil des verlangten Betrags zurückzuzahlen.

6. Am 2. März 2020 erklärte der Juzgado de Primera Instancia n° 18 bis de Málaga (Gericht erster Instanz Nr. 18a Malaga) die Klausel über die Zahlung von Hypothekengebühren wegen Missbräuchlichkeit für nichtig. Er gab Cajasur auf, den von JO und IM zu Unrecht gezahlten Betrag, d. h. 488,69 Euro, zurückzuzahlen. Ferner verurteilte er Cajasur zur Tragung der Kosten des Verfahrens.

7. Cajasur legte bei der Audiencia Provincial de Málaga (Provinzgericht Malaga, Spanien), dem vorlegenden Gericht, gegen den Teil des Urteils Berufung ein, mit dem sie zur Tragung der Kosten verurteilt worden war, und zwar mit der Begründung, dass insoweit ein Verstoß gegen Art. 395 der Zivilprozessordnung vorliege.

8. Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) in seiner Rechtsprechung die nachfolgend dargestellten Grundsätze zur Feststellung des Vorliegens von Bösgläubigkeit im Sinne von Art. 395 Abs. 1 der Zivilprozessordnung festgelegt(4). Erstens habe der Beklagte, wenn der Kläger eine vorgerichtliche Aufforderung vornehme und der Beklagte diese unbeantwortet lasse, die Kosten zu tragen, auch wenn er den Klageanspruch vor der Klagebeantwortung anerkenne. Zweitens habe der Beklagte, auch wenn er den geltend gemachten Anspruch vor der Klagebeantwortung anerkannt habe, die Kosten dann nicht zu tragen, wenn der Kläger keine vorgerichtliche Aufforderung vorgenommen oder eine solche zwar vorgenommen habe, aber dem Beklagten nicht genügend Zeit für die Beantwortung eingeräumt habe.

9. Das vorlegende Gericht ist der Meinung, dass diese Rechtsprechung gegen das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 verankerte Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verstoßen könnte, soweit das Recht auf vollständige Entschädigung nach dieser Rechtsprechung davon abhängig sei, dass vor der Einleitung des Gerichtsverfahrens eine Aufforderung vorgenommen werde.

10. Das vorlegende Gericht führt aus, dass Banken, auch wenn der Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) in seiner Rechtsprechung die streitige Klausel wegen Missbräuchlichkeit für nichtig erklärt habe(5), in der Regel den Verbrauchern Beträge, die auf der Grundlage einer solchen Klausel gezahlt worden seien, nicht zurückzahlten, sondern erst einmal abwarteten, ob Klage erhoben werde. Nähmen die Verbraucher keine vorgerichtliche Aufforderung vor, versuchten die Banken, der Verpflichtung zur Tragung der Kosten dadurch zu entgehen, dass sie den geltend gemachten Klageanspruch vor der Klagebeantwortung anerkennen würden.

11. Allerdings könne von einer Bösgläubigkeit des Beklagten ausgegangen werden könne, wenn bestimmte andere Umstände vorlägen. Das könne u. a. dann der Fall sein, wenn sich der Beklagte der Missbräuchlichkeit einer Klausel bewusst sei, aber keine Schritte zur Beseitigung ihrer Folgen für die Verbraucher unternehme, sondern vielmehr abwarte, bis diese Klage erhöben, in dem Wissen, dass er, wenn keine außergerichtliche Aufforderung erfolge, die Kosten dieses Verfahrens nicht zu tragen habe, wenn er den Klageanspruch vor der Klagebeantwortung anerkenne.

12. Im Licht dieser Erwägungen hat die Audiencia Provincial de Málaga (Provinzgericht Malaga) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Verstößt es gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und gegen Art. 47 der Charta, vom Verbraucher zu verlangen, dass er vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens eine außergerichtliche Aufforderung abgegeben hat, damit die Nichtigerklärung einer bestimmten allgemeinen Geschäftsbedingung wegen Missbräuchlichkeit alle Entschädigungswirkungen (einschließlich der Prozesskosten) auslöst, die mit dieser Nichtigkeit gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 verbunden sind?

2. Ist es mit dem Recht auf vollständige Entschädigung, der Wirksamkeit des Unionsrechts und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vereinbar, dass ein Kriterium für die Auferlegung der Kosten (einschließlich der Prozesskosten) festgelegt wird, das davon abhängt, dass der Verbraucher das Finanzinstitut vorab außergerichtlich zur Beseitigung der nichtigen Klausel auffordert?

13. Die spanische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Cajasur, die spanische Regierung und die Kommission haben in der Sitzung vom 11. Januar 2023 mündliche Ausführungen gemacht und Fragen des Gerichtshofs beantwortet.

III. Würdigung

A. Zulässigkeit

14. Die spanische Regierung, die in der mündlichen Verhandlung insoweit von Cajasur unterstützt worden ist, bringt vier Argumente dafür vor, dass das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen fehlerhaft dargestellt habe und die von ihm vorgelegten Fragen daher unzulässig seien.

15. Erstens gebe das vorlegende Gericht nicht an, auf welchen Betrag sich die der Beklagten auferlegten Kosten beliefen.

16. Zweitens werde in der Vorlageentscheidung festgestellt, dass Cajasur den von JO und IM geltend gemachten Anspruch zwar hinsichtlich der Missbräuchlichkeit der Klausel, nicht aber in Bezug auf den von ihnen geltend gemachten Betrag anerkannt habe. Aus dem Umstand, dass JO und IM in der weiteren Folge den von Cajasur angebotenen Betrag angenommen hätten, sei der Schluss zu ziehen, dass der Klageanspruch nur teilweise anerkannt worden sei, so dass Art. 395 der Zivilprozessordnung nicht anzuwenden sei. Der Beklagten seien die Kosten auferlegt worden, weil die Klage begründet gewesen sei. In dem Fall finde Art. 394 der Zivilprozessordnung Anwendung.

17. Drittens gehe das vorlegende Gericht irrtümlich davon aus, dass die Verbraucher für die negativen Folgen missbräuchlicher Klauseln nur dann vollständig entschädigt würden, wenn der Beklagte die Kosten eines auf die Richtlinie 93/13 gestützten gerichtlichen Verfahrens trage. Die Verbraucher könnten aber auch dann vollständig entschädigt werden, wenn sie eine vorgerichtliche Aufforderung vornähmen und der Beklagte somit die Möglichkeit habe, dieser Forderung zu entsprechen, auf die Gefahr hin, dass er die Kosten eines Gerichtsverfahrens zu tragen habe, das der Kläger daraufhin einleiten müsse.

18. Viertens seien die Fragen unzulässig, da Art. 395 der Zivilprozessordnung in seiner Auslegung in der Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) mit Art. 47 der Charta und mit der Richtlinie 93/13 vereinbar sei. Art. 395 der Zivilprozessordnung stelle lediglich eine Vermutung der Bösgläubigkeit für den Fall auf, dass eine vorgerichtliche Aufforderung an den Beklagten gerichtet worden sei und dieser den damit geltend gemachten Anspruch vor der...

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