Opinion of Advocate General Rantos delivered on 20 September 2022.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:704
Date20 September 2022
Celex Number62021CC0252
CourtCourt of Justice (European Union)

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 20. September 2022(1)

Rechtssache C252/21

Meta Platforms Inc., vormals Facebook Inc.,

Meta Platforms Ireland Limited, vormals Facebook Ireland Ltd.,

Facebook Deutschland GmbH

gegen

Bundeskartellamt,

Beteiligter:

Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.

(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf, Deutschland)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) 2016/679 – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten – Soziale Netzwerke – Art. 4 Nr. 11 – Begriff ‚Einwilligung‘ der betroffenen Person – Einwilligung, die einem für die Verarbeitung verantwortlichen Unternehmen in beherrschender Stellung erteilt wurde – Art. 6 Abs. 1 Buchst. b bis f – Rechtmäßigkeit der Verarbeitung – Verarbeitung, die für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist – Verarbeitung, die zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, der der Verantwortliche unterliegt, zum Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person oder für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde – Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 Buchst. e – Besondere Kategorien personenbezogener Daten – Personenbezogene Daten, die die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht hat – Art. 51 bis 66 – Zuständigkeiten der nationalen Wettbewerbsbehörde – Verhältnis zu den Zuständigkeiten der Kontrollstellen für den Schutz personenbezogener Daten – Wettbewerbsrechtliche Maßnahmen, die von einer Behörde mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem der federführenden Datenschutzaufsichtsbehörde ergriffen werden“






Einleitung

1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Deutschland) ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Unternehmen des Konzerns Meta Platforms(2) und dem Bundeskartellamt (Deutschland) über den Beschluss, mit dem das Bundeskartellamt der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens die in den Nutzungsbedingungen ihres sozialen Netzwerks Facebook vorgesehene Datenverarbeitung und die Durchführung dieser Nutzungsbedingungen untersagt sowie Maßnahmen zur Abstellung dieses Verhaltens angeordnet hat(3).

2. Die Vorlagefragen betreffen im Wesentlichen zum einen die Befugnis einer nationalen Wettbewerbsbehörde wie des Bundeskartellamts, Verhaltensweisen eines Unternehmens unmittelbar oder inzident im Licht bestimmter Vorschriften der Verordnung (EU) 2016/679 zu prüfen(4), und zum anderen die Auslegung dieser Vorschriften insbesondere in Bezug auf die Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten, die relevanten Bedingungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten und die Erteilung einer freiwilligen Einwilligung gegenüber einem Unternehmen in marktbeherrschender Stellung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3. Art. 4 DSGVO sieht vor:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

11. ‚Einwilligung‘ der betroffenen Person jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist;

…“

4. Art. 6 Abs. 1 („Rechtmäßigkeit der Verarbeitung“) dieser Verordnung lautet:

„Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:

a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben;

b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen;

c) die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt;

d) die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen;

e) die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

[Absatz] 1 Buchstabe f gilt nicht für die von Behörden in Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommene Verarbeitung.“

5. Art. 9 („Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten“) Abs. 1 und 2 dieser Verordnung bestimmt:

„(1) Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.

(2) Absatz 1 gilt nicht in folgenden Fällen:

a) Die betroffene Person hat in die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten für einen oder mehrere festgelegte Zwecke ausdrücklich eingewilligt, es sei denn, nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten kann das Verbot nach Absatz 1 durch die Einwilligung der betroffenen Person nicht aufgehoben werden,

e) die Verarbeitung bezieht sich auf personenbezogene Daten, die die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht hat,

…“

6. In Art. 51 („Aufsichtsbehörde“) in Kapitel VI („Unabhängige Aufsichtsbehörden“) dieser Verordnung heißt es:

„(1) Jeder Mitgliedstaat sieht vor, dass eine oder mehrere unabhängige Behörden für die Überwachung der Anwendung dieser Verordnung zuständig sind, damit die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Verarbeitung geschützt werden und der freie Verkehr personenbezogener Daten in der Union erleichtert wird …

(2) Jede Aufsichtsbehörde leistet einen Beitrag zur einheitlichen Anwendung dieser Verordnung in der gesamten Union. Zu diesem Zweck arbeiten die Aufsichtsbehörden untereinander sowie mit der Kommission gemäß Kapitel VII zusammen.

…“

Deutsches Recht

7. § 19 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (im Folgenden: GWB) bestimmt:

„Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten.“(5)

8. § 50f GWB sieht vor:

„(1) Die Kartellbehörden, Regulierungsbehörden, die oder der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und die Landesbeauftragten für Datenschutz sowie die zuständigen Behörden im Sinne des § 2 des EU-Verbraucherschutzdurchführungsgesetzes können unabhängig von der jeweils gewählten Verfahrensart untereinander Informationen einschließlich personenbezogener Daten und Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse austauschen, soweit dies zur Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben erforderlich ist, sowie diese in ihren Verfahren verwerten. …“

Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

9. Meta Platforms betreibt das Angebot des sozialen Online-Netzwerks „Facebook“ in der Europäischen Union (unter www.facebook.com) sowie weitere Online-Dienste, darunter Instagram und WhatsApp. Das Geschäftsmodell der von Meta Platforms betriebenen sozialen Netzwerke besteht im Wesentlichen darin, einerseits unentgeltliche Dienste eines sozialen Netzwerks für private Nutzer anzubieten und andererseits Online-Werbung zu verkaufen, die auf den individuellen Nutzer des sozialen Netzwerks zugeschnitten ist und darauf abzielt, ihm diejenigen Produkte und Dienstleistungen zu zeigen, die ihn u. a. aufgrund seines persönlichen Konsumverhaltens, seiner Interessen, seiner Kaufkraft und seiner persönlichen Situation interessieren könnten. Technische Grundlage dieser Art von Werbung ist die automatisierte Erstellung von sehr detaillierten Profilen der Nutzer des Netzwerks und der auf Konzernebene angebotenen Online-Dienste(6).

10. Hinsichtlich der Erhebung und Verarbeitung der Nutzerdaten stützt sich Meta Platforms auf den Nutzungsvertrag, den die Nutzer mit ihr schließen, indem sie die Schaltfläche „Registrieren“ betätigen und damit den Nutzungsbedingungen von Facebook zustimmen. Die Zustimmung zu diesen Nutzungsbedingungen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Nutzung des sozialen Netzwerks Facebook(7). Im Mittelpunkt der vorliegenden Rechtssache steht die Praxis, die darin besteht, erstens Daten aus anderen konzerneigenen Diensten sowie aus Websites und Apps Dritter über in diese eingebundene Schnittstellen oder über auf dem Computer oder mobilen Endgerät des Nutzers gespeicherte Cookies zu erfassen, zweitens diese Daten mit dem Facebook-Konto des betroffenen Nutzers zu verknüpfen und drittens diese Daten zu verwerten (im Folgenden: streitige Praxis).

11. Das Bundeskartellamt leitete gegen Meta Platforms ein Verfahren ein, in dessen Folge es diesem Konzern mit dem streitigen Beschluss die in den Nutzungsbedingungen von Facebook vorgesehene Datenverarbeitung sowie die Durchführung dieser Nutzungsbedingungen untersagte und ihm Maßnahmen zur Abstellung dieses Verhaltens auferlegte. Das Bundeskartellamt begründete seinen Beschluss u. a. damit, dass die in Rede stehende Verarbeitung eine missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung dieses Unternehmens auf dem Markt für soziale...

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