Conclusiones del Abogado General Sr. M. Campos Sánchez-Bordona, presentadas el 29 de abril de 2021.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:351
Date29 April 2021
Celex Number62020CC0301
CourtCourt of Justice (European Union)

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 29. April 2021(1)

Rechtssache C301/20

UE,

HC

gegen

Vorarlberger Landes- und Hypotheken-Bank AG,

Beteiligte:

Verlassenschaft des VJ

Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs (Österreich)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Verordnung (EU) Nr. 650/2012 – Europäisches Nachlasszeugnis – Gültigkeit einer beglaubigten Abschrift ohne Ablaufdatum – Wirkungen des Zeugnisses in Bezug auf Personen, die in ihm genannt sind, aber nicht seine Ausstellung beantragt haben – Zeitpunkt der Prüfung der Gültigkeit der Abschrift“






1. Durch die Verordnung (EU) Nr. 650/2012(2) wird für den Binnenmarkt ein Europäisches Nachlasszeugnis eingeführt und werden seine Ausstellung und seine Wirkungen detailliert geregelt. Mit ihm soll erreicht werden, dass die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter in der Lage sind, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat einfach nachzuweisen.

2. Der Gerichtshof hat sich bereits in mehreren Urteilen zum Europäischen Nachlasszeugnis geäußert(3). Der Oberste Gerichtshof (Österreich) legt ihm nun drei Vorabentscheidungsfragen zu Aspekten dieser Urkunde vor, die noch nicht behandelt worden sind: die dritte – auf die sich die vorliegenden Schlussanträge auf Wunsch des Gerichtshofs beschränken – betrifft die zeitliche Gültigkeit(4) einer beglaubigten Abschrift des Zeugnisses und das Verfahrensstadium, in dem sie zu prüfen ist.

3. In der nationalen Rechtspraxis wie im Schrifttum(5) wird die Verordnung zu diesem Punkt unterschiedlich ausgelegt, was die Sachdienlichkeit der Vorlagefrage bestätigt. Mit ihrer Beantwortung wird der Gerichtshof zur Stützung der Rechtssicherheit bei der Verwendung beglaubigter Abschriften des Europäischen Nachlasszeugnisses beitragen und seinen Stellenwert in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten fördern.

I. Rechtlicher Rahmen. Verordnung Nr. 650/2012

4. Der siebte Erwägungsgrund lautet:

„Die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug derzeit noch Schwierigkeiten bereitet, sollten ausgeräumt werden, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. In einem europäischen Rechtsraum muss es den Bürgern möglich sein, ihren Nachlass im Voraus zu regeln. Die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und der Nachlassgläubiger müssen effektiv gewahrt werden.“

5. Der 67. Erwägungsgrund lautet:

„Eine zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Union setzt voraus, dass die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter in der Lage sein sollten, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat, beispielsweise in einem Mitgliedstaat, in dem Nachlassvermögen belegen ist, einfach nachzuweisen. Zu diesem Zweck sollte diese Verordnung die Einführung eines einheitlichen Zeugnisses, des Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden ‚das Zeugnis‘), vorsehen, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird. Das Zeugnis sollte entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip nicht die innerstaatlichen Schriftstücke ersetzen, die gegebenenfalls in den Mitgliedstaaten für ähnliche Zwecke verwendet werden.“

6. Der 71. Erwägungsgrund bestimmt:

„Das Zeugnis sollte in sämtlichen Mitgliedstaaten dieselbe Wirkung entfalten. Es sollte zwar als solches keinen vollstreckbaren Titel darstellen, aber Beweiskraft besitzen, und es sollte die Vermutung gelten, dass es die Sachverhalte zutreffend ausweist, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, wie beispielsweise die materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen. … Einer Person, die Zahlungen an eine Person leistet oder Nachlassvermögen an eine Person übergibt, die in dem Zeugnis als zur Entgegennahme dieser Zahlungen oder dieses Vermögens als Erbe oder Vermächtnisnehmer berechtigt bezeichnet ist, sollte ein angemessener Schutz gewährt werden, wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben gutgläubig gehandelt hat. Der gleiche Schutz sollte einer Person gewährt werden, die im Vertrauen auf die Richtigkeit der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben Nachlassvermögen von einer Person erwirbt oder erhält, die in dem Zeugnis als zur Verfügung über das Vermögen berechtigt bezeichnet ist. Der Schutz sollte gewährleistet werden, wenn noch gültige beglaubigte Abschriften vorgelegt werden. Durch diese Verordnung sollte nicht geregelt werden, ob der Erwerb von Vermögen durch eine dritte Person wirksam ist oder nicht.“

7. Art. 62 („Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses“) Abs. 1 lautet:

„Mit dieser Verordnung wird ein Europäisches Nachlasszeugnis (im Folgenden ‚Zeugnis‘) eingeführt, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen entfaltet.“

8. Art. 63 („Zweck des Zeugnisses“) sieht vor:

„(1) Das Zeugnis ist zur Verwendung durch Erben, durch Vermächtnisnehmer mit unmittelbarer Berechtigung am Nachlass und durch Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte als Erben oder Vermächtnisnehmer oder ihre Befugnisse als Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter ausüben müssen.

(2) Das Zeugnis kann insbesondere als Nachweis für einen oder mehrere der folgenden speziellen Aspekte verwendet werden:

a) die Rechtsstellung und/oder die Rechte jedes Erben oder gegebenenfalls Vermächtnisnehmers, der im Zeugnis genannt wird, und seinen jeweiligen Anteil am Nachlass;

b) die Zuweisung eines bestimmten Vermögenswerts oder bestimmter Vermögenswerte des Nachlasses an die in dem Zeugnis als Erbe(n) oder gegebenenfalls als Vermächtnisnehmer genannte(n) Person(en);

c) die Befugnisse der in dem Zeugnis genannten Person zur Vollstreckung des Testaments oder Verwaltung des Nachlasses.“

9. Art. 65 („Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses“) Abs. 1 lautet:

„Das Zeugnis wird auf Antrag jeder in Artikel 63 Absatz 1 genannten Person (im Folgenden ‚Antragsteller‘) ausgestellt.“

10. Art. 69 („Wirkungen des Zeugnisses“) besagt:

„(1) Das Zeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf.

(2) Es wird vermutet, dass das Zeugnis die Sachverhalte, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, zutreffend ausweist. Es wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat und dass diese Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen.

(3) Wer auf der Grundlage der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben einer Person Zahlungen leistet oder Vermögenswerte übergibt, die in dem Zeugnis als zur Entgegennahme derselben berechtigt bezeichnet wird, gilt als Person, die an einen zur Entgegennahme der Zahlungen oder Vermögenswerte Berechtigten geleistet hat, es sei denn, er wusste, dass das Zeugnis inhaltlich unrichtig ist, oder ihm war dies infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt.

…“

11. Art. 70 („Beglaubigte Abschriften des Zeugnisses“) bestimmt:

„(1) Die Ausstellungsbehörde bewahrt die Urschrift des Zeugnisses auf und stellt dem Antragsteller und jeder anderen Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist, eine oder mehrere beglaubigte Abschriften aus.

(2) Die Ausstellungsbehörde führt für die Zwecke des Artikels 71 Absatz 3 und des Artikels 73 Absatz 2 ein Verzeichnis der Personen, denen beglaubigte Abschriften nach Absatz 1 ausgestellt wurden.

(3) Die beglaubigten Abschriften sind für einen begrenzten Zeitraum von sechs Monaten gültig, der in der beglaubigten Abschrift jeweils durch ein Ablaufdatum angegeben wird. In ordnungsgemäß begründeten Ausnahmefällen kann die Ausstellungsbehörde abweichend davon eine längere Gültigkeitsfrist beschließen. Nach Ablauf dieses Zeitraums muss jede Person, die sich im Besitz einer beglaubigten Abschrift befindet, bei der Ausstellungsbehörde eine Verlängerung der Gültigkeitsfrist der beglaubigten Abschrift oder eine neue beglaubigte Abschrift beantragen, um das Zeugnis zu den in Artikel 63 angegebenen Zwecken verwenden zu können.“

12. Art. 71 („Berichtigung, Änderung oder Widerruf des Zeugnisses“) sieht vor:

„(1) Die Ausstellungsbehörde berichtigt das Zeugnis im Falle eines Schreibfehlers auf Verlangen jedweder Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist, oder von Amts wegen.

(2) Die Ausstellungsbehörde ändert oder widerruft das Zeugnis auf Verlangen jedweder Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist, oder, soweit dies nach innerstaatlichem Recht möglich ist, von Amts wegen, wenn feststeht, dass das Zeugnis oder einzelne Teile des Zeugnisses inhaltlich unrichtig sind.

(3) Die Ausstellungsbehörde unterrichtet unverzüglich alle Personen, denen beglaubigte Abschriften des Zeugnisses gemäß Artikel 70 Absatz 1 ausgestellt wurden, über eine Berichtigung, eine Änderung oder einen Widerruf des Zeugnisses.“

II. Sachverhalt, Rechtsstreit und Vorabentscheidungsfrage

13. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Antrag der Erlagsgegner auf Ausfolgung eines zur gerichtlichen Verwahrung angenommenen Erlags(6).

14. Der Ersterlagsgegner war der Vater von HC und UE, der am 5. Mai 2017 verstorben war. Sein letzter gewöhnlicher Aufenthalt lag in Spanien. Die Abhandlung seines Nachlasses wurde nach...

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