Conclusiones del Abogado General Sr. M. Szpunar, presentadas el 13 de enero de 2022.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:28
Date13 January 2022
Celex Number62020CC0147
CourtCourt of Justice (European Union)

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 13. Januar 2022(1)

Rechtssachen C147/20, C204/20 und C224/20

Novartis Pharma GmbH

gegen

Abacus Medicine A/S (C147/20)

und

Bayer Intellectual Property GmbH

gegen

kohlpharma GmbH (C204/20)

(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Hamburg, Deutschland])

sowie

Merck Sharp & Dohme BV,

Merck Sharp & Dohme Corp.,

MSD DANMARK ApS,

MSD Sharp & Dohme GmbH,

Novartis AG,

FERRING LÆGEMIDLER A/S,

H. Lundbeck A/S

gegen

Abacus Medicine A/S,

Paranova Danmark A/S,

2CARE4 ApS (C224/20)

(Vorabentscheidungsersuchen des Sø- og Handelsret [See- und Handelsgericht, Dänemark])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 34 und 36 AEUV – Freier Warenverkehr – Geistiges Eigentum – Marken – Verordnung (EU) 2017/1001Art. 15Richtlinie (EU) 2015/2436 – Art. 15 – Erschöpfung des Rechts aus der Marke – Parallelimport von Arzneimitteln – Umpacken der mit der Marke versehenen Ware – Neue äußere Umhüllung – Widerspruch des Markeninhabers – Künstliche Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Art. 47a – Sicherheitsmerkmale – Ersetzung – Gleichwertige Sicherheitsmerkmale – Delegierte Verordnung (EU) 2016/161 – Art. 3 Abs. 2 – Vorrichtung gegen Manipulation – Individuelles Erkennungsmerkmal“






Inhaltsverzeichnis


Einleitung

Rechtlicher Rahmen

Markenrecht

Arzneimittelrecht

Sachverhalte, Verfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C 147/20

Rechtssache C 204/20

Rechtssache C 224/20

Rechtliche Würdigung

Auslegung von Art. 47a der Richtlinie 2001/83 in Verbindung mit der Delegierten Verordnung 2016/161

Streitgegenstand der Ausgangsverfahren

Vorbringen der Parteien

Meine Überlegungen

Schlussbemerkungen

Beantwortung der Vorlagefragen

Recht der Markeninhaber, sich dem Umpacken von Arzneimitteln im Rahmen des Parallelhandels zu widersetzen

Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs

Vorbringen der Parteien

Die Voraussetzung der Erforderlichkeit, eine Verpackung zu verwenden, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

Das Vorbringen zum Schutz vor gefälschten Arzneimitteln

Der Einfluss der Vorschriften gegen Arzneimittelfälschungen auf den Interessenausgleich zwischen Markeninhabern und Parallelhändlern

Beantwortung der Vorlagefragen

Befugnis der nationalen Behörden, Parallelhändlern das Umpacken von Arzneimitteln in neue Verpackungen vorzuschreiben

Zur vierten Vorlagefrage in der Rechtssache C 224/20

Zur fünften Vorlagefrage in der Rechtssache C 224/20

Anbringung des individuellen Erkennungsmerkmals auf der Arzneimittelverpackung

Keine Wiedergabe der Originalmarken auf den Verpackungen parallelimportierter Arzneimittel

Vorbemerkungen

Prüfung und Beantwortung der Vorlagefragen

Ergebnis


Einleitung

1. Es erübrigt sich im Januar 2022, erneut darauf hinzuweisen, welche Bedeutung Arzneimittel nicht nur für die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch für das Wohlergehen der Gesellschaft insgesamt und das Funktionieren der Weltwirtschaft haben. Der Kampf gegen die Covid-19-Pandemie hat die Notwendigkeit, aber auch die Schwierigkeit deutlich gemacht, drei – potenziell gegenläufige – Ziele staatlichen Handelns im Bereich der Arzneimittelregulierung miteinander in Einklang zu bringen: die Wahrung der wirtschaftlichen Rentabilität von Entwicklung und Vermarktung innovativer Arzneimittel, die Gewährleistung ihrer Sicherheit und Wirksamkeit für die Patienten und die Begrenzung ihrer Kosten für die Patienten und die öffentlichen Haushalte(2).

2. Denn Arzneimittel sind zwar Waren, unterscheiden sich aber in vielerlei Hinsicht von den meisten anderen handelsüblichen Gütern.

3. Einerseits erfordern die Forschung und die Entwicklung, deren es bedarf, um neue Medikamente auf den Markt zu bringen, wegen des hochentwickelten technologischen Charakters moderner Therapien einen erheblichen finanziellen Aufwand. Außerdem sind diese Bemühungen besonders riskant, und es dauert mehrere Jahre, bis sie Ergebnisse zeitigen(3). Daher können sich die Arzneimittelhersteller bei der Finanzierung ihrer Entwicklungsvorhaben häufig nicht auf die Finanzmärkte verlassen, sondern sind auf ihre eigenen Mittel angewiesen(4). Diese Mittel können aber nur aus den Einnahmen stammen, die durch den Verkauf der bereits auf dem Markt befindlichen Arzneimittel erzielt werden.

4. Andererseits greifen die staatlichen Stellen auf unterschiedliche Mechanismen zurück, um die Arzneimittelpreise für ihre Bevölkerung zu kontrollieren, unabhängig davon, ob diese Arzneimittel von den Patienten selbst oder aus öffentlichen Mitteln, insbesondere über die Krankenversicherung, finanziert werden. Daher werden die Arzneimittelpreise selten allein durch Marktmechanismen bestimmt.

5. Die notwendige Erzielung einer Investitionsrendite einerseits und die regulatorischen Auflagen für die Preise andererseits führen dazu, dass die Arzneimittelhersteller sogar auf eng miteinander verflochtenen Märkten wie den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ganz unterschiedliche Preise für ein und dasselbe Produkt verlangen(5). Dadurch wird es aber wirtschaftlich rentabel, Arzneimittel auf Märkten mit niedrigen Preisen einzukaufen und auf Märkten mit höheren Preisen weiterzuverkaufen. Aus diesem Grund wird dieses als „Parallelhandel“ bezeichnete Verfahren von Akteuren praktiziert, die von den Arzneimittelherstellern unabhängig sind. Letztere sehen das nicht gern, da es ihre Preispolitik zu untergraben droht.

6. Markenrechte bieten den Herstellern die Möglichkeit, sich gegen Parallelhandel zu schützen. Jeder Inhaber einer Marke für ein Produkt kann der Verwendung dieser Marke und damit der Vermarktung dieses Produkts durch einen Dritten widersprechen.

7. Ein solcher Widerspruch ist jedoch mit dem Grundprinzip des Binnenmarkts in der Union unvereinbar. Er läuft nämlich darauf hinaus, den von der Union geschaffenen Binnenmarkt in einzelne nationale Märkte aufzuteilen.

8. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung daher den Grundsatz der Erschöpfung der Rechte aus der Marke für solche Waren entwickelt, die mit Zustimmung des Markeninhabers in der Union in den Verkehr gebracht wurden(6). Dieser Grundsatz wurde später in das Markenrecht der Union übernommen(7). Diese Rechtsprechung und das einschlägige Markenrecht bilden die Rechtsgrundlage für den Parallelhandel mit Arzneimitteln in der Union.

9. Die Freiheit des Parallelhandels scheint aus der Sicht des Binnenmarktgedankens selbstverständlich zu sein: Der Handel zwischen den Mitgliedstaaten darf selbst in einem so regulierten Bereich wie dem Arzneimittelsektor nicht allein deshalb behindert werden, weil es Preisunterschiede zwischen diesen Staaten gibt. Unter dem Aspekt des Schutzes der öffentlichen Gesundheit sind die Vorteile des Parallelhandels mit Arzneimitteln jedoch alles andere als eindeutig. In der Literatur wird vielmehr darauf hingewiesen, dass diese Vorteile vor allem den Parallelhändlern selbst zugutekommen und nur zu einem wesentlich geringeren Teil den Patienten oder den Krankenversicherungssystemen. Wegen der Starrheit nicht nur der Nachfrage nach Arzneimitteln, sondern auch des Preisniveaus bei Arzneimitteln trägt der Parallelhandel nämlich nur wenig zur Senkung dieser Preise bei. Dagegen sind negative Auswirkungen des Parallelhandels sowohl auf die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Arzneimittelhersteller wegen der Verringerung ihrer Einnahmen als auch auf die Versorgung von Niedrigpreismärkten zu beobachten, entweder weil auf diesen Märkten massive Aufkäufe für den Export in höherpreisige Märkte stattfinden oder weil sich die Hersteller weigern, diese Märkte aus Angst vor dem Parallelhandel zu beliefern(8).

10. Ein weiteres Risiko, das mit dem Parallelhandel zusammenhängt, auch wenn es ihm nicht immanent ist, besteht darin, dass gefälschte Arzneimittel auf den Markt gebracht werden, was vor allem bei ihrem Umpacken geschehen kann, das oft notwendig ist, wenn sie in anderen Mitgliedstaaten als dem ihrer ursprünglichen Vermarktung in den Verkehr gebracht werden sollen(9).

11. Um diesem Risiko zu begegnen, hat der Unionsgesetzgeber die Rechtsvorschriften geändert und Vorkehrungen zur Überprüfung der Echtheit von Arzneimitteln getroffen(10). Mit dieser Änderung werden neue Anforderungen an die Verpackung von Arzneimitteln gestellt, die insbesondere Parallelhändlern neue Beschränkungen auferlegen. Die vorliegenden Rechtssachen werfen hauptsächlich die Rechtsfrage auf, ob diese neuen Anforderungen den Status quo in Bezug auf die jeweiligen Rechte ändern, die den Parallelhändlern von Arzneimitteln und deren Herstellern als den Inhabern der Marken, unter denen diese Arzneimittel vermarktet werden, zustehen.

12. Da dieses Hauptproblem den vorliegenden drei Rechtssachen gemeinsam ist, werde ich, obwohl sie nicht förmlich verbunden wurden, für sie gemeinsame Schlussanträge stellen.

Rechtlicher Rahmen

Markenrecht

13. Art. 9 Abs. 1 bis 3 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke(11) bestimmt:

„(1) Mit der Eintragung einer Unionsmarke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2) Der Inhaber dieser Unionsmarke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn

a) das Zeichen mit der Unionsmarke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist;

b) das Zeichen mit der Unionsmarke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

(3) Sind die...

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