Opinion of Advocate General Kokott delivered on 14 July 2022.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:588
Date14 July 2022
Celex Number62021CC0247
CourtCourt of Justice (European Union)

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 14. Juli 2022(1)

Rechtssache C247/21

Luxury Trust Automobil GmbH,

Beteiligte:

Finanzamt Österreich

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs [Österreich])

„Vorabentscheidungsersuchen – Mehrwertsteuer – Innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft – Sonderregime – Zweck und Rechtsfolgen des Sonderregimes – Hinweis auf die Steuerschuldverlagerung in der Rechnung als Voraussetzung – Berichtigung einer fehlerhaften Rechnung – Rückwirkung der Berichtigung – Berichtigung ohne Zugang“






I. Einführung

1. Diese Rechtssache gibt dem Gerichtshof die Gelegenheit, seine „Substance over form“-Rechtsprechung zu präzisieren und zu nuancieren. Möglicherweise ist dabei der Telos der jeweiligen Regelungen stärker als bisher zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall geht es um einen besonderen Fall des innergemeinschaftlichen Reihengeschäftes, das sogenannte innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft. Dieses war bislang kaum Gegenstand von Entscheidungen des Gerichtshofs.(2)

2. Wird ein Gegenstand von A (NL) an B (AUT) und von B an C (CZ) verkauft, dann direkt von A an C geliefert und die Lieferung von A an B ist die (in den Niederlanden) steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung, dann gilt nach den normalen Regelungen: B muss sich in der Tschechischen Republik (d. h. dem Bestimmungsland) registrieren, um dort den innergemeinschaftlichen Erwerb der Ware zu versteuern und die Mehrwertsteuer aus dem Verkauf der Ware an C dort abzuführen. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland nachgewiesen wird, muss B zusätzlich noch einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Österreich versteuern. Letzterer ist hier Streitgegenstand.

3. Um diese Komplexität zu reduzieren, hat der Gesetzgeber für diesen Fall (drei Unternehmen aus drei Mitgliedstaaten mit drei von dort stammenden Identifikationsnummern handeln mit einem Gegenstand, der unmittelbar vom Ersten zum Letzten transportiert wird) mit Art. 141 in Verbindung mit Art. 42 und Art. 197 der Mehrwertsteuerrichtlinie(3) ein Sonderregime geschaffen (sogenanntes innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft).

4. Es ermöglicht dem Unternehmen in der Mitte (B), eine Registrierung im Bestimmungsland (CZ) und den auflösend bedingten innergemeinschaftlichen Erwerb im Staat, der die verwendete Umsatzsteueridentifikationsnummer erteilt hat (AUT), zu vermeiden, wenn und weil die Steuerschuld für seine Lieferung auf den letzten in der Reihe (damit auch in das Bestimmungsland) übergeht. Damit dieser (C) das aber auch weiß und im Bestimmungsland die entsprechende Steuer aus dem Erwerb des Gegenstandes abführt, ist die Regelung u. a. an die Ausstellung einer Rechnung gekoppelt, die auf diesen Übergang der Steuerschuld hinweist.

5. Wie ist nun aber zu verfahren, wenn dieser Hinweis in der Rechnung fehlt? In einigen Entscheidungen hat der Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass bloß formale Fehler nicht den Vorsteuerabzug in Frage stellen können.(4) Gilt dies auch für die Inanspruchnahme dieses Sonderregimes? Oder ist der Hinweis auf die Steuerschuldverlagerung in der Rechnung hier eine materielle Voraussetzung?

6. Die besondere, auch praktische Bedeutung dieser vom Gerichtshof bislang noch nicht geklärten Rechtsfrage zeigt sich u. a. darin, dass allein in Deutschland mittlerweile genau hierzu drei Finanzgerichtsentscheidungen(5) mit unterschiedlichen Ergebnissen existieren. Interessanterweise berufen sich alle drei gleichermaßen auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs. Dies hat zu zwei Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof geführt, der nun auf die hier zu treffende Entscheidung des Gerichtshofs wartet.(6)

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

7. Den unionsrechtlichen Rahmen bestimmt die Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

8. Art. 40 der Mehrwertsteuerrichtlinie regelt:

„Als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen gilt der Ort, an dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden.“

9. Art. 41 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Unbeschadet des Artikels 40 gilt der Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erteilt hat, sofern der Erwerber nicht nachweist, dass dieser Erwerb im Einklang mit Artikel 40 besteuert worden ist.

Wird der Erwerb gemäß Artikel 40 im Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung der Gegenstände besteuert, nachdem er gemäß Absatz 1 besteuert wurde, wird die Steuerbemessungsgrundlage in dem Mitgliedstaat, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erteilt hat, entsprechend gemindert.“

10. Art. 42 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Artikel 41 Absatz 1 ist nicht anzuwenden und der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen gilt als gemäß Artikel 40 besteuert, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

a) der Erwerber weist nach, dass er diesen Erwerb für die Zwecke einer anschließenden Lieferung getätigt hat, die im Gebiet des gemäß Artikel 40 bestimmten Mitgliedstaats bewirkt wurde und für die der Empfänger der Lieferung gemäß Artikel 197 als Steuerschuldner bestimmt worden ist;

b) der Erwerber ist der Pflicht zur Abgabe der zusammenfassenden Meldung gemäß Artikel 265 nachgekommen.“

11. Art. 141 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Jeder Mitgliedstaat trifft besondere Maßnahmen, damit ein innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen, der nach Artikel 40 als in seinem Gebiet bewirkt gilt, nicht mit der Mehrwertsteuer belastet wird, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

e) der Empfänger der Lieferung im Sinne des Buchstaben d ist gemäß Artikel 197 als Schuldner der Steuer für die Lieferung bestimmt worden, die von dem Steuerpflichtigen bewirkt wird, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Steuer geschuldet wird.“

12. Art. 197 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Die Mehrwertsteuer schuldet der Empfänger einer Lieferung von Gegenständen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a) der steuerpflichtige Umsatz ist eine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Artikel 141;

c) die von dem nicht im Mitgliedstaat des Empfängers der Lieferung ansässigen Steuerpflichtigen ausgestellte Rechnung entspricht Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 5.“

13. Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 5 umfasst die Art. 219a bis 237 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Art. 219a dieser Richtlinie regelt:

„Unbeschadet der Artikel 244 bis 248 gilt Folgendes:

1. Die Rechnungsstellung unterliegt den Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistung nach Maßgabe des Titels V als ausgeführt gilt.

2. Abweichend von Nummer 1 unterliegt die Rechnungsstellung den Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Lieferer oder Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von dem bzw. der aus die Lieferung oder die Dienstleistung ausgeführt wird, oder – in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung – des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, wenn

a) der Lieferer oder Dienstleistungserbringer nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Lieferung oder die Dienstleistung im Einklang mit Titel V als ausgeführt gilt, oder seine Niederlassung in dem betreffenden Mitgliedstaat im Sinne des Artikels 192a nicht an der Lieferung oder Dienstleistung beteiligt ist, und wenn die Mehrwertsteuer vom Erwerber oder vom Dienstleistungsempfänger geschuldet wird.

…“

14. Art. 226 Nrn. 11 und 11a der Mehrwertsteuerrichtlinie lauten:

„Unbeschadet der in dieser Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß den Artikeln 220 und 221 ausgestellte Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke … die folgenden Angaben enthalten:

11. Verweis auf die einschlägige Bestimmung dieser Richtlinie oder die entsprechende nationale Bestimmung oder Hinweis darauf, dass für die Lieferung von Gegenständen beziehungsweise die Dienstleistung eine Steuerbefreiung gilt;

11a. bei Steuerschuldnerschaft des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers: die Angabe ‚Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers‘“.

B. Österreichisches Recht

15. Art. 25 Abs. 1 bis 5 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG) in der im Jahr 2014 anwendbaren Fassung (BGBI. I Nr. 112/2012) lautet:

„(1) Ein Dreiecksgeschäft liegt vor, wenn drei Unternehmer in drei verschiedenen Mitgliedstaaten über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen, dieser Gegenstand unmittelbar vom ersten Lieferer an den letzten Abnehmer gelangt und die in Abs. 3 genannten Voraussetzungen erfüllt werden. Das gilt auch, wenn der letzte Abnehmer eine juristische Person ist, die nicht Unternehmer ist oder den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt.

(2) Der innergemeinschaftliche Erwerb im Sinne des Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz gilt als besteuert, wenn der Unternehmer (Erwerber) nachweist, daß ein Dreiecksgeschäft vorliegt und daß er seiner Erklärungspflicht gemäß Abs. 6 nachgekommen ist. Kommt der Unternehmer seiner Erklärungspflicht nicht nach, fallt die Steuerfreiheit rückwirkend weg.

(3) Der innergemeinschaftliche Erwerb ist unter folgenden Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit:

e) die Steuer wird gemäß Abs. 5 vom Empfänger geschuldet.

(4) Die Rechnungsausstellung richtet sich nach den Vorschriften des Mitgliedstaates, von dem aus der Erwerber sein Unternehmen betreibt. Wird die Lieferung von der Betriebsstatte des Erwerbers ausgeführt, ist das Recht des Mitgliedstaates maßgebend, in dem sich die Betriebsstatte befindet. Rechnet der Leistungsempfänger, auf den die Steuerschuld übergeht, mittels Gutschrift ab, richtet sich die Rechnungsausstellung nach den Vorschriften des...

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