DS v Porsche Inter Auto GmbH & Co KG and Volkswagen AG.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:572
Date14 July 2022
Docket NumberC-145/20
Celex Number62020CJ0145
CourtCourt of Justice (European Union)

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. Juli 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Verordnung (EG) Nr. 715/2007 – Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen – Art. 5 Abs. 2 – Abschalteinrichtung – Kraftfahrzeuge – Dieselmotor – Emissionskontrollsystem – In das Motorsteuergerät integrierte Software – Abgasrückführventil (AGR-Ventil) – Durch ein ‚Thermofenster‘ begrenzte Reduzierung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen – Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung der Emissionskontrollsysteme verringern – Art. 5 Abs. 2 Buchst. a – Ausnahme von diesem Verbot – Verbraucherschutz – Richtlinie 1999/44/EG – Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter – Art. 2 Abs. 2 Buchst. d – Begriff ‚[Güter, die] eine Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn die Beschaffenheit des Gutes … in Betracht gezogen [wird]‘ – Fahrzeug mit EG‑Typgenehmigung – Art. 3 Abs. 6 – Begriff der ‚geringfügigen Vertragswidrigkeit‘“

In der Rechtssache C‑145/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 17. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 24. März 2020, in dem Verfahren

DS

gegen

Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG,

Volkswagen AG

erlässt


DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Kammerpräsidentin I. Ziemele sowie der Richter M. Ilešič, J.‑C. Bonichot, F. Biltgen, P. G. Xuereb (Berichterstatter), N. Piçarra und N. Wahl,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von DS, vertreten durch Rechtsanwalt M. Poduschka,

– der Porsche Inter Auto GmbH & Co KG sowie der Volkswagen AG, vertreten durch die Rechtsanwälte H. Gärtner, F. Gebert, F. Gonsior, C. Harms, N. Hellermann, F. Kroll, M. Lerbinger, S. Lutz-Bachmann, L.‑K. Mannefeld, K.‑U. Opper, H. Posser, J. Quecke, K. Schramm, P. Schroeder, W. F. Spieth, J. von Nordheim, K. Vorbeck, B. Wolfers und B. Wollenschläger,

– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Huttunen, M. Noll-Ehlers und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. September 2021

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1) sowie von Art. 2 Abs. 2 Buchst. d und Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. 1999, L 171, S. 12).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DS auf der einen Seite und der Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG und der Volkswagen AG auf der anderen Seite wegen einer Klage auf Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug, das mit einer Software ausgerüstet ist, durch die die Abgasrückführung dieses Fahrzeugs insbesondere nach Maßgabe der ermittelten Temperatur verringert wird.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 1999/44

3 Die Richtlinie 1999/44 wurde durch die Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG (ABl. 2019, L 136, S. 28) mit Wirkung vom 1. Januar 2022 aufgehoben. In Anbetracht des für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkts bleibt jedoch die Richtlinie 1999/44 auf diesen anwendbar.

4 In den Erwägungsgründen 1 und 10 bis 12 der Richtlinie 1999/44 hieß es:

„(1) Nach Artikel 153 Absätze 1 und 3 [EG] leistet die Gemeinschaft durch die Maßnahmen, die sie nach Artikel 95 [EG] erlässt, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus.

(10) Bei Vertragswidrigkeit eines Gutes muss der Verbraucher das Recht haben, die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Gutes zu verlangen, wobei er zwischen einer Nachbesserung und einer Ersatzlieferung wählen kann; andernfalls muss er Anspruch auf Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung haben.

(11) Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die Nachbesserung des Gutes oder eine Ersatzlieferung verlangen, es sei denn, dass diese Abhilfen unmöglich oder unverhältnismäßig wären. Ob eine Abhilfe unverhältnismäßig ist, müsste objektiv festgestellt werden. Unverhältnismäßig sind Abhilfen, die im Vergleich zu anderen unzumutbare Kosten verursachen; bei der Beantwortung der Frage, ob es sich um unzumutbare Kosten handelt, sollte entscheidend sein, ob die Kosten der Abhilfe deutlich höher sind als die Kosten einer anderen Abhilfe.


(12) In Fällen von Vertragswidrigkeit kann der Verkäufer dem Verbraucher zur Erzielung einer gütlichen Einigung stets jede zur Verfügung stehende Abhilfemöglichkeit anbieten. Die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des betreffenden Vorschlags bleibt dem Verbraucher anheimgestellt.“

5 Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 1999/44 sah vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

f) ‚Nachbesserung‘ bei Vertragswidrigkeit die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes.“

6 Art. 2 („Vertragsmäßigkeit“) Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 1999/44 bestimmte:

„(1) Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Verbraucher dem Kaufvertrag gemäße Güter zu liefern.

(2) Es wird vermutet, dass Verbrauchsgüter vertragsgemäß sind, wenn sie

a) mit der vom Verkäufer gegebenen Beschreibung übereinstimmen und die Eigenschaften des Gutes besitzen, das der Verkäufer dem Verbraucher als Probe oder Muster vorgelegt hat;

b) sich für einen bestimmten vom Verbraucher angestrebten Zweck eignen, den der Verbraucher dem Verkäufer bei Vertragsschluss zur Kenntnis gebracht hat und dem der Verkäufer zugestimmt hat;

c) sich für die Zwecke eignen, für die Güter der gleichen Art gewöhnlich gebraucht werden;

d) eine Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn die Beschaffenheit des Gutes und gegebenenfalls die insbesondere in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder dessen Vertreters über die konkreten Eigenschaften des Gutes in Betracht gezogen werden.

(3) Es liegt keine Vertragswidrigkeit im Sinne dieses Artikels vor, wenn der Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von der Vertragswidrigkeit hatte oder vernünftigerweise nicht in Unkenntnis darüber sein konnte oder wenn die Vertragswidrigkeit auf den vom Verbraucher gelieferten Stoff zurückzuführen ist.“


7 Art. 3 („Rechte des Verbrauchers“) der Richtlinie 1999/44 lautete:

„(1) Der Verkäufer haftet dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsgutes besteht.

(2) Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe des Absatzes 3 oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung in Bezug auf das betreffende Verbrauchsgut nach Maßgabe der Absätze 5 und 6.

(3) Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist.

Eine Abhilfe gilt als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die

– angesichts des Werts, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit hätte,

– unter Berücksichtigung der Bedeutung der Vertragswidrigkeit und

– nach Erwägung der Frage, ob auf die alternative Abhilfemöglichkeit ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zurückgegriffen werden könnte, verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären.

Die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung muss innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen sind.

(4) Der Begriff ‚unentgeltlich‘ in den Absätzen 2 und 3 umfasst die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten.

(5) Der Verbraucher kann eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder eine Vertragsauflösung verlangen,

– wenn der Verbraucher weder Anspruch auf Nachbesserung noch auf Ersatzlieferung hat oder

– wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat oder

– wenn der Verkäufer nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher Abhilfe geschaffen hat.


(6) Bei einer geringfügigen Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher keinen Anspruch auf Vertragsauflösung.“

Verordnung Nr. 715/2007

8 In den Erwägungsgründen 1 und 4 bis 7 der Verordnung Nr. 715/2007 heißt es:

„(1) … Die technischen Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen sollten … harmonisiert werden, um zu vermeiden, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorschriften erlassen, und um ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen.

(4) … [Zur] Erreichung der Luftqualitätsziele der EU...

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