Viasat Broadcasting UK Ltd v TV2/Danmark A/S and Kingdom of Denmark.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2020:952
Docket NumberC-445/19
Date24 November 2020
Celex Number62019CJ0445
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

24. November 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Staatliche Beihilfen – Öffentlich-rechtliche Rundfunkgesellschaft – Art. 106 Abs. 2 AEUV – Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse – Mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe – Art. 108 Abs. 3 AEUV – Anmeldung – Fehlen – Verpflichtung des Empfängers, für die Dauer der Rechtswidrigkeit dieser Beihilfe Zinsen zu zahlen – Zinsberechnung – Zu berücksichtigende Beträge“

In der Rechtssache C‑445/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Østre Landsret (Landgericht der Region Ost, Dänemark) mit Entscheidung vom 29. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juni 2019, in dem Verfahren

Viasat Broadcasting UK Ltd

gegen

TV2/Danmark A/S,

Königreich Dänemark

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten E. Regan, M. Ilešič, L. Bay Larsen, N. Piçarra und A. Kumin, des Richters T. von Danwitz, der Richterin C. Toader sowie der Richter I. Jarukaitis und N. Jääskinen,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Viasat Broadcasting UK Ltd, vertreten durch P. Jakobsen und M. Honoré, advokater,

– der TV2/Danmark A/S, vertreten durch O. Koktvedgaard, advokat,

– der dänischen Regierung, vertreten durch S. Wolff und J. Nymann-Lindegren als Bevollmächtigte im Beistand von R. Holdgaard, advokat,

– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,

– der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll und F. Koppensteiner als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Stromsky als Bevollmächtigten im Beistand von M. Niessen, advokat,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. September 2020

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 106 Abs. 2 und Art. 108 Abs. 3 AEUV.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Viasat Broadcasting UK Ltd (im Folgenden: Viasat) auf der einen Seite und der TV2/Danmark A/S (im Folgenden: TV2) sowie dem Königreich Dänemark auf der anderen Seite wegen der Verpflichtung von TV2, für den Zeitraum Zinsen zu zahlen, in dem Beihilfemaßnahmen, die ihr zugutekamen, vor Erlass des endgültigen Beschlusses der Europäischen Kommission, mit dem diese Beihilfen für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wurden, rechtswidrig durchgeführt wurden.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

3 TV2 ist eine dänische Rundfunkgesellschaft mit einem öffentlich-rechtlichen Auftrag, der darin besteht, nationale und regionale Fernsehprogramme zu produzieren und auszustrahlen.

4 Infolge einer Beschwerde überprüfte die Kommission in ihrer Entscheidung 2006/217/EG vom 19. Mai 2004 über die Beihilfen Dänemarks für TV2/Danmark (ABl. 2006, L 85, S. 1, Berichtigung im ABl. 2006, L 368, S. 112) das System zur Finanzierung von TV2/Danmark. In dieser Entscheidung stellte die Kommission fest, dass die Maßnahmen staatliche Beihilfen darstellten, die das Königreich Dänemark TV2 zwischen 1995 und 2002 in Form von Rundfunkgebühren und anderen Maßnahmen gewährt habe, dass diese Beihilfen jedoch gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar seien, ausgenommen ein Betrag in Höhe von 628,2 Mio. dänische Kronen (DKK) (ungefähr 85 Mio. Euro).

5 Nachdem diese Entscheidung durch das Urteil des Gerichts vom 22. Oktober 2008, TV2/Danmark u. a./Kommission (T‑309/04, T‑317/04, T‑329/04 und T‑336/04, EU:T:2008:457), für nichtig erklärt worden war, prüfte die Kommission die betreffenden Maßnahmen erneut.

6 Nach Abschluss der Überprüfung stellte die Kommission mit ihrem Beschluss 2011/839/EU vom 20. April 2011 zu den Maßnahmen Dänemarks (Beihilfe C 2/03) zugunsten von TV2/Danmark (ABl. 2011, L 340, S. 1) fest, dass diese zwischen 1995 und 2002 in Form von Mitteln aus Rundfunkgebühren und anderen Maßnahmen zugunsten von TV2 erlassenen Maßnahmen, auf die sich dieser Beschluss bezog, staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellten, die unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV rechtswidrig durchgeführt worden seien, dass diese Beihilfen jedoch gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar seien.

7 TV2 erhob beim Gericht Klage auf teilweise Nichtigerklärung des Beschlusses.

8 Mit seinem Urteil vom 24. September 2015, TV2/Danmark/Kommission (T‑674/11, EU:T:2015:684), erklärte das Gericht den Beschluss 2011/839 für nichtig, soweit die Kommission die über den Fonds TV2 auf TV2/Danmark übertragenen Werbeeinnahmen der Jahre 1995 und 1996 als staatliche Beihilfen angesehen hatte, und wies die Klage im Übrigen ab.

9 TV2, die Kommission und Viasat legten gegen dieses Urteil Rechtsmittel ein.

10 Mit Urteil vom 9. November 2017, TV2/Danmark/Kommission (C‑649/15 P, EU:C:2017:835), hat der Gerichtshof das Rechtsmittel von TV2 zurückgewiesen.

11 Mit seinen Urteilen vom 9. November 2017, Kommission/TV2/Danmark (C‑656/15 P, EU:C:2017:836), und vom 9. November 2017, Viasat Broadcasting UK/TV2/Danmark (C‑657/15 P, EU:C:2017:837), hat der Gerichtshof das Urteil des Gerichts vom 24. September 2015, TV2/Danmark/Kommission (T‑674/11, EU:T:2015:684), aufgehoben, soweit es den Beschluss 2011/839 in dem in Rn. 8 des vorliegenden Urteils erläuterten Umfang für nichtig erklärt hatte, und endgültig über den Rechtsstreit entschieden, indem er die von TV2 gegen diesen Beschluss erhobene Nichtigkeitsklage abgewiesen hat.

12 In der Folge erhob Viasat beim vorlegenden Gericht, dem Østre Landsret (Landgericht der Region Ost, Dänemark), Klage auf Zahlung von Zinsen durch TV2 für die Dauer der Rechtswidrigkeit der betreffenden Beihilfen, d. h. von 1995 bis 2011, die TV2 auf den fraglichen Betrag der Beihilfen gezahlt hätte, wenn sie diesen Betrag bis zum Erlass des endgültigen Beschlusses der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV auf dem Markt hätte aufnehmen müssen.

13 Vor diesem Hintergrund hat das Østre Landsret (Landgericht der Region Ost) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Gilt die Verpflichtung eines einzelstaatlichen Gerichts, einem Beihilfeempfänger die Zahlung von Rechtswidrigkeitszinsen aufzuerlegen (vgl. Urteil vom 12. Februar 2008, CELF und Ministre de la Culture et de la Communication, C‑199/06, EU:C:2008:79), auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die rechtswidrige staatliche Beihilfe eine Ausgleichsleistung für die Erfüllung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse darstellte, die gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV nachträglich für mit dem Binnenmarkt vereinbar befunden wurde, und die Genehmigung auf der Grundlage der Beurteilung der wirtschaftlichen Gesamtsituation des öffentlich-rechtlichen Unternehmens, einschließlich seiner Kapitalisierung, erteilt wurde?

2. Gilt die Verpflichtung eines einzelstaatlichen Gerichts, einem Beihilfeempfänger die Zahlung von Rechtswidrigkeitszinsen aufzuerlegen (vgl. Urteil vom 12. Februar 2008, CELF und Ministre de la Culture et de la Communication, C‑199/06, EU:C:2008:79), auch für Beträge, die in einem Fall wie dem vorliegenden vom Beihilfeempfänger an mit ihm verbundene Unternehmen aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung übertragen wurden, die aber durch einen endgültigen Beschluss der Kommission als Vorteil des Beihilfeempfängers im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft wurden?

3. Gilt die Verpflichtung eines einzelstaatlichen Gerichts, einem Beihilfeempfänger die Zahlung von Rechtswidrigkeitszinsen aufzuerlegen (vgl. Urteil vom 12. Februar 2008, CELF und Ministre de la Culture et de la Communication, C‑199/06, EU:C:2008:79), auch für staatliche Beihilfen, die der Beihilfeempfänger in einem Fall wie dem vorliegenden von einem öffentlich kontrollierten Unternehmen erhalten hat, wobei dessen Mittel zum Teil aus der Veräußerung der Dienstleistungen des Beihilfeempfängers stammen?

Verfahren vor dem Gerichtshof

14 Die mündliche Verhandlung, die zunächst auf den 20. April 2020 anberaumt und dann auf den 8. Juni 2020 verschoben worden war, ist wegen der Gesundheitskrise aufgehoben worden, und die Fragen, die zur mündlichen Beantwortung gestellt worden waren, sind in Fragen zur schriftlichen Beantwortung geändert...

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