VodafoneZiggo Group BV v European Commission.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:142
Docket NumberC-689/19
Date25 February 2021
Celex Number62019CJ0689
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

25. Februar 2021(*)

„Rechtsmittel – Elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste – Richtlinie 2002/21/EG in der Fassung der Richtlinie 2009/140/EG – Konsolidierung des Binnenmarkts für die elektronische Kommunikation – Art. 7 Abs. 3 und 7 – Von der nationalen Regulierungsbehörde zur Verfügung gestellter Maßnahmenentwurf – Niederländischer Markt für die Bereitstellung des Festnetzzugangs auf der Vorleistungsebene – Gemeinsame beträchtliche Marktmacht – Der nationalen Regulierungsbehörde übermittelte Stellungnahme der Europäischen Kommission – Verpflichtung der nationalen Regulierungsbehörde, dieser weitestgehend Rechnung zu tragen – Umfang – Art. 263 AEUV – Nichtigkeitsklage – Zulässigkeit – Anfechtbare Handlung – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union“

In der Rechtssache C‑689/19 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 18. September 2019,

VodafoneZiggo Group BV mit Sitz in Utrecht (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: W. Knibbeler, A. Pliego Selie und B. Verheijen, advocaten,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch L. Nicolae und G. Braun als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters E. Juhász in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter C. Lycourgos und I. Jarukaitis (Berichterstatter),

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die VodafoneZiggo Group BV (im Folgenden: VodafoneZiggo) die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 9. Juli 2019, VodafoneZiggo Group/Kommission (T‑660/18, EU:T:2019:546, im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung als unzulässig abgewiesen hat, die in dem Schreiben vom 30. August 2018 enthalten sein soll, das die Europäische Kommission an die Autoriteit Consument en Markt (Behörde für Verbraucher- und Marktangelegenheiten, Niederlande, im Folgenden: ACM), gerichtet hatte und das die Stellungnahme der Kommission zu einem ihr von der ACM zur Verfügung gestellten Entwurf zweier Maßnahmen betreffend den niederländischen Vorleistungsmarkt für Zugänge an einem festen Standort (Sachen NL/2018/2099 und NL/2018/2100) (C[2018] 5848 final, im Folgenden: streitige Handlung) enthält.

Rechtlicher Rahmen

2 Im 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2002, L 108, S. 33) in der durch die Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 37, Berichtigung ABl. 2013, L 241, S. 8) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenrichtlinie) heißt es:

„Es ist wichtig, dass die nationalen Regulierungsbehörden alle interessierten Parteien zu vorgeschlagenen Beschlüssen konsultieren und ihre Stellungnahmen berücksichtigen, ehe sie einen endgültigen Beschluss fassen. Damit sich Beschlüsse, die auf nationaler Ebene gefasst werden, nicht nachteilig auf den Binnenmarkt oder andere Ziele des [AEU‑]Vertrags auswirken, sollten die nationalen Regulierungsbehörden bestimmte Beschlussentwürfe auch der Kommission und anderen nationalen Regulierungsbehörden notifizieren, damit sie hierzu Stellung nehmen können. … In der vorliegenden Richtlinie … ist festgelegt, in welchen Fällen die in den Artikeln 6 und 7 genannten Verfahren zur Anwendung gelangen. … Die Kommission sollte … die Möglichkeit haben, eine nationale Regulierungsbehörde aufzufordern, einen Maßnahmenentwurf zurückzuziehen, wenn er die Feststellung relevanter Märkte oder die Feststellung beträchtlicher Marktmacht bei Unternehmen betrifft und die Beschlüsse ein Hemmnis für den Binnenmarkt schaffen würden oder mit gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften … nicht vereinbar wären. …“

3 Der 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/140, die insbesondere die Art. 6 und 7 der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 2002/21 geändert hat, lautet:

4 „Das Gemeinschaftsverfahren, das es der Kommission ermöglicht, nationale Regulierungsbehörden anzuweisen, geplante Maßnahmen bezüglich der Marktdefinition und der Feststellung der beträchtlichen Marktmacht von Betreibern zurückzunehmen, hat maßgeblich zu einem einheitlichen Ansatz bei der Feststellung der Umstände, unter denen eine Vorabregulierung vorgenommen werden kann, und der Umstände, unter denen die Betreiber einer solchen Regulierung unterworfen sind, beigetragen. Die Marktüberwachung durch die Kommission und besonders die Erfahrungen mit dem Verfahren des Artikels 7 der Richtlinie [2021] haben gezeigt, dass die Uneinheitlichkeit bei der Anwendung von Abhilfemaßnahmen durch die nationalen Regulierungsbehörden, selbst unter ähnlichen Marktbedingungen, den Binnenmarkt im Bereich der elektronischen Kommunikation beeinträchtigen könnte. Daher kann die Kommission dabei mitwirken, eine größere Einheitlichkeit bei der Anwendung der Abhilfemaßnahmen zu gewährleisten, indem sie Empfehlungen zu den von den nationalen Regulierungsbehörden vorgeschlagenen Maßnahmenentwürfen verabschiedet. Um das Fachwissen der nationalen Regulierungsbehörden hinsichtlich der Marktanalyse zu nutzen, sollte die Kommission vor der Verabschiedung ihrer Entscheidungen und/oder Empfehlungen das [Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK)] anhören.“

5 Art. 2 Buchst. g der Rahmenrichtlinie definiert für die Zwecke dieser Richtlinie die „nationale Regulierungsbehörde“ (im Folgenden: NRB) als „eine oder mehrere Stellen, die von einem Mitgliedstaat mit einer der in dieser Richtlinie … festgelegten Regulierungsaufgaben beauftragt werden“.

6 Art. 4 („Rechtsbehelf“) Abs. 1 und 2 der Rahmenrichtlinie bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es auf nationaler Ebene wirksame Verfahren gibt, nach denen jeder Nutzer oder Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze und/oder ‑dienste, der von einer Entscheidung einer [NRB] betroffen ist, bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Beschwerdestelle einen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen kann. Diese Stelle, die auch ein Gericht sein kann, muss über angemessenen Sachverstand verfügen, um ihrer Aufgabe wirksam gerecht zu werden. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Umständen des Falles angemessen Rechnung getragen wird und wirksame Einspruchsmöglichkeiten gegeben sind.

Bis zum Abschluss eines Beschwerdeverfahrens bleibt die Entscheidung der [NRB] wirksam, sofern nicht nach Maßgabe des nationalen Rechts einstweilige Maßnahmen erlassen werden.

(2) Hat die Beschwerdestelle nach Absatz 1 keinen gerichtlichen Charakter, so sind ihre Entscheidungen stets schriftlich zu begründen. Ferner können diese Entscheidungen in diesem Fall von einem Gericht eines Mitgliedstaats nach Artikel [267 AEUV] überprüft werden.“

7 Art. 5 der Rahmenrichtlinie betrifft die Bereitstellung von Informationen. In seinem Abs. 2 heißt es:

8 „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die [NRB] der Kommission auf begründeten Antrag hin die Informationen zur Verfügung stellen, die sie benötigt, um ihre Aufgaben aufgrund des [AEU‑]Vertrags wahrzunehmen. …

9 Die Mitgliedstaaten stellen … sicher, dass die einer [NRB] übermittelten Informationen einer anderen Behörde desselben oder eines anderen Mitgliedstaats auf begründeten Antrag zur Verfügung gestellt werden können, damit erforderlichenfalls diese Behörden ihre Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht erfüllen können.“

10 Art. 6 Abs. 1 und 2 der Rahmenrichtlinie, der „Konsultation und Transparenz“ betrifft, sieht vor:

11 „Abgesehen von den Fällen nach Artikel 7 Absatz 9 … stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die [NRB] interessierten Kreisen innerhalb einer angemessenen Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf von Maßnahmen geben, die sie gemäß dieser Richtlinie … zu treffen gedenken oder mit denen sie beabsichtigen, Einschränkungen … aufzuerlegen, die beträchtliche Auswirkungen auf den betreffenden Markt haben werden.

12 Die [NRB] veröffentlichen ihre nationalen Konsultationsverfahren.“

13 Art. 7 („Konsolidierung des Binnenmarkts für die elektronische Kommunikation“) der Rahmenrichtlinie bestimmt:

14 „(1) Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben gemäß dieser Richtlinie … tragen die [NRB] den in Artikel 8 genannten Zielen, auch soweit sie sich auf das Funktionieren des Binnenmarkts beziehen, weitestgehend Rechnung.

15 (2) Die [NRB] tragen zur Entwicklung des Binnenmarkts bei, indem sie miteinander und mit der Kommission sowie dem GEREK jeweils auf transparente Weise zusammenarbeiten, um in allen Mitgliedstaaten eine kohärente Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie … zu gewährleisten. …

16 (3) Beabsichtigt eine [NRB] – sofern in den nach Artikel 7b verabschiedeten Empfehlungen oder Leitlinien nicht etwas anderes bestimmt ist – nach Abschluss der in Artikel 6 genannten Konsultation, eine Maßnahme zu ergreifen, die

a) unter Artikel 15 oder 16 dieser Richtlinie … fällt und

b) Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten hätte,

so stellt sie den Maßnahmenentwurf gleichzeitig der Kommission, dem GEREK und den [NRB] der anderen Mitgliedstaaten zusammen mit einer Begründung … zur Verfügung und unterrichtet die Kommission, das GEREK und die anderen [NRB] entsprechend. Die [NRB], das GEREK und die Kommission können der jeweiligen [NRB] ihre Stellungnahme nur innerhalb eines Monats übermitteln. Die Einmonatsfrist kann nicht verlängert werden.

(4) Betrifft eine geplante Maßnahme gemäß Absatz 3

a) die Definition eines relevanten Markts, der sich von jenen unterscheidet...

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