OHB System AG contra Comisión Europea.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:T:2023:210
Date26 April 2023
Docket NumberT-54/21
Celex Number62021TJ0054
CourtGeneral Court (European Union)
62021TJ0054

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

26. April 2023 ( *1 )

„Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Ausschreibungsverfahren – Wettbewerblicher Dialog – Beschaffung von Galileo-Übergangssatelliten – Ablehnung des Angebots eines Bieters – Ausschlusskriterien – Schwere Verfehlung eines Bieters im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit – Fehlen einer rechtskräftigen Gerichts- oder einer bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung – Befassung des in Art. 143 der Haushaltsordnung genannten Gremiums – Gleichbehandlung – Ungewöhnlich niedriges Angebot – Offensichtlicher Beurteilungsfehler“

In der Rechtssache T‑54/21,

OHB System AG mit Sitz in Bremen (Deutschland), vertreten durch die Rechtsanwälte W. Würfel und F. Hausmann,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch G. Wilms, L. André, J. Estrada de Solà und L. Mantl als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Italienische Republik, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili und G. Santini, Avvocati dello stato,

und durch

Airbus Defence and Space GmbH mit Sitz in Taufkirchen (Deutschland), vertreten durch die Rechtsanwälte P.‑E. Partsch, F. Dewald und C.‑E. Seestädt,

Streithelferinnen,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin M. J. Costeira (Berichterstatterin), der Richterin M. Kancheva und des Richters P. Zilgalvis,

Kanzler: P. Cullen, Verwaltungsrat,

aufgrund des Beschlusses vom 26. Mai 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:292),

aufgrund des schriftlichen Verfahrens, insbesondere

des Beschlusses vom 30. Juni 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21, nicht veröffentlicht),

des Beschlusses vom 2. Dezember 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:878),

der prozessleitenden Maßnahmen vom 17. Oktober 2022 und der am 29. Oktober 2022 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Antwort der Kommission,

auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2022

folgendes

Urteil ( 1 )

1

Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV begehrt die Klägerin, die OHB System AG, die Nichtigerklärung der ihr mit Schreiben vom 19. Januar 2021 und mit Fax vom 22. Januar 2021 mitgeteilten Beschlüsse, ihrem Angebot im Rahmen des in Form des wettbewerblichen Dialogs eingeleiteten Vergabeverfahrens 2018/S 091-206089 betreffend die Beschaffung von Galileo-Übergangssatelliten nicht den Zuschlag zu erteilen und den Auftrag an zwei andere Bieter zu vergeben (im Folgenden: angefochtene Beschlüsse).

Vorgeschichte des Rechtsstreits

2

Die Klägerin ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die sich mit der Entwicklung und Umsetzung innovativer Raumfahrtsysteme und ‑projekte sowie der Vermarktung spezifischer Luftfahrt‑, Raumfahrt- und Telematikprodukte einschließlich geostationärer und erdnaher Satelliten befasst.

3

Nach den Angaben im zweiten Erwägungsgrund und in Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 1285/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 876/2002 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 683/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 1) soll mit dem Galileo-Programm ein europäisches System für die satellitengestützte Navigation und Positionsbestimmung aufgebaut und betrieben werden, das speziell für zivile Zwecke konzipiert ist und eine Satellitenkonstellation sowie ein weltweites Netz von Bodenstationen umfasst.

4

Die Kommission trägt nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1285/2013 die Gesamtverantwortung für das Galileo-Programm und hat gemäß ihrem Art. 15 Abs. 1 für die Errichtungsphase dieses Programms mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) eine Übertragungsvereinbarung zu schließen, in der die Aufgaben der ESA insbesondere in Bezug auf die das System betreffenden Beschaffungen im Einzelnen aufgeführt sind.

5

Im Rahmen der Übertragungsvereinbarung zwischen der Kommission und der ESA für die Errichtungsphase des Galileo-Programms ist die ESA mit der Durchführung der Verfahren zur Vergabe der dieses Programm betreffenden öffentlichen Aufträge betraut; die Kommission bleibt der öffentliche Auftraggeber.

6

Mit Auftragsbekanntmachung vom 15. Mai 2018, die in der Beilage zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 15. Mai 2018 (ABl. 2018/S 091-206089) und auf der Webseite „emits.esa.int“ veröffentlicht wurde, leitete die im Namen und im Auftrag der Kommission handelnde ESA für die Beschaffung von Galileo-Übergangssatelliten ein Vergabeverfahren in der Form des wettbewerblichen Dialogs (im Folgenden: streitiger wettbewerblicher Dialog) ein. Das Verfahren wurde in dieser Form eingeleitet, da die Kommission bereits ihren Bedarf ermittelt und festgelegt hatte, aber noch nicht die genauen zu dessen Deckung am besten geeigneten Mittel.

7

Der streitige wettbewerbliche Dialog betraf die Beschaffung von zunächst vier (von bis zu zwölf) Galileo-Übergangssatelliten mit weiterentwickelten Spezifikationen, um den Übergang von der ersten Generation der Galileo-Satelliten zur zweiten Generation einzuleiten. Es wurde beschlossen, im Einklang mit Art. 19 Buchst. d der Verordnung Nr. 1285/2013, wonach für die parallele Beschaffung von voraussichtlich jeweils zwei Satelliten zwei Auftragnehmer ausgewählt und zwei Verträge unterzeichnet werden konnten, mehrere Bezugsquellen zu erschließen.

8

Der Zuschlag für den Auftrag sollte auf der Grundlage von zwei Kriterien, und zwar dem Preis mit einer Gewichtung von 35 % und der Qualität mit einer Gewichtung von insgesamt 65 %, dem wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt werden. Das Qualitätskriterium bestand aus fünf Unterkriterien. Das mit 10 % gewichtete erste Unterkriterium betraf die Angemessenheit und Eignung der vom Bieter vorgeschlagenen personellen und technischen Ressourcen und Anlagen in Bezug auf die im Vorschlag beschriebene technische und programmatische Lösung. Das mit 25 % gewichtete zweite Unterkriterium betraf das Verständnis der Anforderungen und Ziele – einschließlich im Bereich der Sicherheit –, die Qualifikation und den Reifegrad des vorgeschlagenen Projekts, die Eignung, Qualität und Robustheit des vorgeschlagenen Projekts sowie die Übereinstimmung mit den technischen Bedingungen. Das mit 30 % gewichtete dritte Unterkriterium betraf die Qualität und Eignung des Arbeitsprogramms, die Einhaltung des Lastenhefts, die Geeignetheit der technischen Planung sowie die Vorgehensweise bei Tests und Versuchen, die Risikoermittlung und die Vorschläge zur Risikominderung einschließlich der technologischen Diversifizierung. Das mit 25 % gewichtete vierte Unterkriterium betraf die Angemessenheit der Verwaltung, der Kostenberechnung und der Planung der Ausführung der Arbeiten. Das mit 10 % gewichtete fünfte Unterkriterium betraf die Einhaltung der Ausschreibungsbedingungen und des Vertrags.

9

Der streitige wettbewerbliche Dialog verlief in drei Phasen. Der Ablauf der ersten beiden Phasen richtete sich nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1285/2013 sowie der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) und der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. Oktober 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Verordnung Nr. 966/2012 (ABl. 2012, L 362, S. 1). Die dritte Phase lief nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1285/2013 sowie der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung Nr. 966/2012 (ABl. 2018, L 193, S. 1, im Folgenden: Haushaltsordnung) ab.

10

Die erste Phase des streitigen wettbewerblichen Dialogs begann im Mai 2018 mit der Veröffentlichung einer „Aufforderung zur Einreichung eines Teilnahmeantrags“ durch die ESA.

11

Unter den bei ihr eingegangenen Teilnahmeanträgen wählte die ESA drei Bieter aus, und zwar die Klägerin, die Airbus Defence and Space GmbH (im Folgenden: ADS) und die Thales Alenia Space Italia (im Folgenden: TASI) (im Folgenden zusammen: Bieter).

12

Die zweite Phase, die im Juli 2018 begann, diente zur Ermittlung und Festlegung der Mittel, mit denen der Bedarf des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden kann. Zunächst forderte die ESA die Bieter zur Einreichung eines „Preliminary Proposal“ (vorläufiges Angebot) auf und übersandte ihnen u. a. die „Special Conditions of Tender for Invitation to Submit a Preliminary Proposal“ (Besondere Vergabebedingungen für die Aufforderung zur Einreichung eines vorläufigen Angebots). Sodann forderte die ESA nach einer Dialogphase die Bieter zur Einreichung eines „Refined Proposal“ (überarbeitetes Angebot) auf und übersandte ihnen die „Conditions of Tender for Invitation to Submit a Refined Proposal“ (Vergabebedingungen für die Aufforderung zur Einreichung eines überarbeiteten Angebots). Die Klägerin reichte am 26. September 2018 ihr vorläufiges Angebot und am 11. Oktober 2019 ihr überarbeitetes Angebot ein.

13

Die dritte Phase begann im August 2020, und nach einer weiteren Dialogphase forderte die ESA die Bieter auf, ihr „Best and Final Offer“ (endgültiges Angebot) abzugeben und übersandte...

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