Opinion of Advocate General Ćapeta delivered on 11 April 2024.
Jurisdiction | European Union |
Date | 11 April 2024 |
Court | Court of Justice (European Union) |
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
TAMARA ĆAPETA
vom 11. April 2024(1)
Rechtssache C‑579/22 P
Anglo Austrian AAB AG in Abwicklung
gegen
Europäische Zentralbank (EZB),
Belegging-Maatschappij „Far-East“ BV
„Rechtsmittel – Wirtschafts- und Währungspolitik – Richtlinie 2013/36/EU – Beaufsichtigung von Kreditinstituten – Der Europäischen Zentralbank (EZB) übertragene besondere Aufsichtsaufgaben – Beschluss, mit dem einem Kreditinstitut die Zulassung entzogen wird – Auslegung nationalen Rechts“
I. Einleitung
1. Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, im Folgenden: SSM)(2) ist die erste Säule der Bankenunion, die 2014 als Reaktion auf die Finanzkrise geschaffen wurde(3). Sein Ziel ist es, „die Sicherheit und Solidität der Kreditinstitute, die Stabilität des Finanzsystems der Union und der einzelnen teilnehmenden Mitgliedstaaten sowie die Einheit und Integrität des Binnenmarkts … zu gewährleisten“(4).
2. Kurz zusammengefasst wird die Aufsicht von der Europäischen Zentralbank (im Folgenden: EZB) wahrgenommen, die dabei von den nationalen zuständigen Behörden unterstützt wird(5), und zwar gemäß der in Art. 6 der SSM-Verordnung vorgesehenen Arbeitsteilung(6).
3. Die Organisation des SSM ist in gewissem Maße „speziell“, wenn man sie mit der Funktionsweise des Großteils der Unionsrechtsordnung vergleicht(7). Nach Art. 4 Abs. 3 der SSM-Verordnung „wendet die EZB das einschlägige Unionsrecht an, und wenn dieses Unionsrecht aus Richtlinien besteht, wendet sie die nationalen Rechtsvorschriften an, mit denen diese Richtlinien umgesetzt wurden. Wenn das einschlägige Unionsrecht aus Verordnungen besteht und den Mitgliedstaaten durch diese Verordnungen derzeit ausdrücklich Wahlrechte eingeräumt werden, wendet die EZB auch die nationalen Rechtsvorschriften an, mit denen diese Wahlrechte ausgeübt werden.“
4. Diese Bestimmung steht im Mittelpunkt des vorliegenden Rechtsmittels. Die Anglo Austrian AAB AG, vormals Anglo Austrian AAB Bank AG (im Folgenden: AAB Bank), die Rechtsmittelführerin in der vorliegenden Rechtssache, war ein in Österreich niedergelassenes weniger bedeutendes Kreditinstitut. Nachdem die EZB diesem Kreditinstitut die Zulassung entzogen hatte, focht die Rechtsmittelführerin den entsprechenden Beschluss vor dem Gericht an und machte geltend, dass die EZB ihr die Zulassung entzogen habe, ohne dass die nach dem Unionsrecht in seiner Umsetzung in das österreichische Recht erforderlichen Voraussetzungen erfüllt gewesen seien.
5. Das Gericht wies diese Klage mit Urteil vom 22. Juni 2022, Anglo Austrian AAB und Belegging-Maatschappij „Far-East“/EZB (T‑797/19, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:389) ab. Die Rechtsmittelführerin in der vorliegenden Rechtssache macht u. a. geltend, dass das Gericht das nationale Recht falsch ausgelegt und angewandt habe.
II. Maßgebliches nationales Recht
6. Zwei österreichische Gesetze sind für das vorliegende Rechtsmittel von Bedeutung. Erstens das Bundesgesetz über das Bankwesen (Bankwesengesetz, im Folgenden: BWG) und zweitens das Bundesgesetz zur Verhinderung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung im Finanzmarkt (im Folgenden: FM-GwG).
7. Die Überschrift zu § 39 ff. BWG lautet „Allgemeine Sorgfaltspflichten“. § 39 Abs. 2 und 2b BWG bestimmt:
„(2) Die Kreditinstitute und die gemäß § 30 Abs. 6 verantwortlichen Unternehmen haben für die Erfassung, Beurteilung, Steuerung und Überwachung der bankgeschäftlichen und bankbetrieblichen Risiken, darunter auch jener Risiken, die sich aus ihrem makroökonomischen Umfeld unter Berücksichtigung der Phase des jeweiligen Geschäftszyklus ergeben, des Risikos von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung sowie ihrer Vergütungspolitik und ‑praktiken über Verwaltungs‑, Rechnungs- und Kontrollverfahren zu verfügen, die der Art, dem Umfang und der Komplexität der betriebenen Bankgeschäfte angemessen sind. Die Verwaltungs‑, Rechnungs- und Kontrollverfahren haben weitest gehend auch bankgeschäftliche und bankbetriebliche Risiken sowie Risiken aus der Vergütungspolitik und den Vergütungspraktiken zu erfassen, die sich möglicherweise ergeben können. Die Organisationsstruktur sowie die Verwaltungs‑, Rechnungs- und Kontrollverfahren sind schriftlich und in nachvollziehbarer Weise zu dokumentieren. Die Organisationsstruktur hat durch dem Geschäftsbetrieb angemessene aufbau- und ablauforganisatorische Abgrenzungen Interessen- und Kompetenzkonflikte zu vermeiden. Die Zweckmäßigkeit dieser Verfahren und deren Anwendung ist von der internen Revision mindestens einmal jährlich zu prüfen.
…
(2b) Die Verfahren gemäß Abs. 2 haben insbesondere zu berücksichtigen:
1. das Kreditrisiko und Gegenparteiausfallrisiko,
2. das Konzentrationsrisiko,
3. das Marktrisiko,
4. das Risiko einer übermäßigen Verschuldung,
5. das operationelle Risiko,
6. das Verbriefungsrisiko,
7. das Liquiditätsrisiko,
8. das Zinsrisiko hinsichtlich sämtlicher Geschäfte, die nicht bereits unter Z 3 erfasst werden,
9. das Restrisiko aus kreditrisikomindernden Techniken,
10. de[n] Belegenheitsort der Risikopositionen eines Kreditinstituts,
11. das Risiko von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung,
12. das Risiko, das sich aus dem Geschäftsmodell eines Institutes ergibt unter Berücksichtigung der Auswirkungen von Diversifizierungsstrategien,
13. die Ergebnisse von Stresstests bei Instituten, die interne Ansätze verwenden, und
14. die Regelungen zur Unternehmensprüfung und ‑kontrolle von Kreditinstituten und den gemäß § 30 Abs. 6 verantwortlichen Unternehmen, ihre Unternehmenskultur und die Fähigkeit des Leitungsorgans zur Erfüllung ihrer Pflichten.“
8. § 70 Abs. 4 BWG regelt die Aufsichtsbefugnisse der Finanzmarktaufsichtsbehörde (im Folgenden: FMA). Danach hat die FMA, wenn ein Kreditinstitut die Bestimmungen des BWG oder anderer dort genannter Gesetze(8) verletzt,
‘1. dem Kreditinstitut, der Finanzholdinggesellschaft, der gemischten Finanzholdinggesellschaft oder der gemischten Holdinggesellschaft unter Androhung einer Zwangsstrafe aufzutragen, den rechtmäßigen Zustand binnen jener Frist herzustellen, die im Hinblick auf die Umstände des Falles angemessen ist;
2. im Wiederholungs- oder Fortsetzungsfall den Geschäftsleitern die Geschäftsführung ganz oder teilweise zu untersagen, es sei denn, dass dies nach Art und Schwere des Verstoßes unangemessen wäre, und die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes durch nochmaliges Vorgehen gemäß Z 1 erwartet werden kann; in diesem Fall ist die erstverhängte Zwangsstrafe zu vollziehen und der Auftrag unter Androhung einer höheren Zwangsstrafe zu wiederholen;
3. die Konzession eines Kreditinstitutes zurückzunehmen, wenn andere Maßnahmen nach diesem Bundesgesetz die Funktionsfähigkeit des Kreditinstitutes nicht sicherstellen können. …“
9. § 31 Abs. 3 Nr. 2 FM-GwG bestimmt, dass „[b]ei Pflichtverletzungen gemäß § 34 Abs. 2 und 3 [FM-GwG] die FMA … die von der FMA erteilte Konzession … widerrufen [kann]“.
10. Schließlich ist festzustellen, dass § 34 Abs. 2 und 3 FM-GwG die Bestimmungen der Geldwäscherichtlinie(9) umsetzt und insbesondere schwerwiegende, wiederholte oder systematische Verstöße gegen § 6 Abs. 1, 2 bis 4, 6 und 7, § 7 Abs. 7, § 9 und § 23 Abs. 3 FM-GwG betrifft.
III. Vorgeschichte des Rechtsstreits vor dem Gericht
11. Der für das vorliegende Rechtsmittel relevante Sachverhalt kann wie folgt zusammengefasst werden.
12. Die Rechtsmittelführerin, die AAB Bank, war ein in Österreich niedergelassenes weniger bedeutendes Kreditinstitut. Die Belegging-Maatschappij „Far-East“ BV (im Folgenden: Aktionärin) ist eine Finanzholding, die 99,99 % der Aktien der AAB Bank hielt.
13. Am 26. April 2019 übermittelte die FMA der EZB gemäß Art. 80 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung(10) einen Entwurf eines Beschlusses, mit dem der AAB Bank die Zulassung als Kreditinstitut entzogen werden sollte.
14. Mit Beschluss vom 14. November 2019 entzog die EZB der AAB Bank die Zulassung als Kreditinstitut mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Beschlusses.
15. Die EZB stellte auf der Grundlage der von der FMA getroffenen Feststellungen zur anhaltenden und wiederholten Missachtung der Anforderungen hinsichtlich der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie der internen Unternehmensführung durch die AAB Bank fest, dass die AAB Bank kein solides Risikomanagement gewährleisten könne.
16. Die EZB befand daher, dass die in Art. 18 Buchst. f der Richtlinie 2013/36(11) vorgesehenen in das österreichische Recht umgesetzten Kriterien für den Entzug der Zulassung der AAB Bank zur Aufnahme der Tätigkeit eines Kreditinstituts erfüllt seien, da die AAB Bank gegen Art. 67 Abs. 1 Buchst. d und o dieser Richtlinie in ihrer Umsetzung in das österreichische Recht verstoßen habe, und dass dieser Entzug verhältnismäßig sei.
17. Außerdem lehnte es die EZB ab, die Wirkungen des angefochtenen Beschlusses für einen Zeitraum von 30 Tagen auszusetzen, da die Stellungnahme der AAB Bank nicht geeignet sei, die Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses in Frage zu stellen, dieser keinen nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen könne und das öffentliche Interesse am Schutz der Einleger, Anleger und Gegenparteien der AAB Bank sowie die Stabilität des Finanzsystems die sofortige Anwendung des Beschlusses rechtfertigten.
IV. Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
18. Mit Schriftsatz, der am 19. November 2019 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhoben die AAB Bank und die Aktionärin Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses.
19. Das Gericht hat sich dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache EZB u. a./Trasta Komercbanka(12) angeschlossen und die Klage der Aktionärin für unzulässig erklärt. Die Klage der AAB Bank hat es insgesamt als unbegründet abgewiesen.
V. Verfahren vor dem Gerichtshof
20. Mit ihrem am 1. September 2022 eingereichten Rechtsmittel beantragt die AAB Bank,
– das angefochtene Urteil aufzuheben;
– den Beschluss vom 14. November 2019, durch den die EZB der...
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