Opinion of Advocate General Kokott delivered on 11 July 2024.
Jurisdiction | European Union |
Celex Number | 62023CC0018 |
ECLI | ECLI:EU:C:2024:609 |
Date | 11 July 2024 |
Court | Court of Justice (European Union) |
Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 11. Juli 2024(1)
Rechtssache C‑18/23
F S.A.
gegen
Dyrektor Krajowej Informacji Skarbowej
(Vorabentscheidungsersuchen des Wojewódzki Sąd Administracyjny w Gliwicach [Woiwodschaftsverwaltungsgericht Gliwice, Polen])
„Vorabentscheidungsersuchen – Direkte Steuern und Grundfreiheiten – Art. 63 AEUV – Kapitalverkehrsfreiheit – Besteuerung von Einkünften von Organismen für gemeinsame Anlagen – OGAW – AIF – Unterschiedliche Behandlung von ansässigen und nicht ansässigen Organismen für gemeinsame Anlagen – Diskriminierung durch Steuerbefreiung nur von extern verwalteten Organismen für gemeinsame Anlagen – Mittelbare Diskriminierung im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit – Rechtstypenvergleich im internationalen Steuerrecht“
I. Einleitung
1. Gebietet die Kapitalverkehrsfreiheit einem Mitgliedstaat, gebietsfremde intern verwaltete und gebietsansässige extern verwaltete Investmentfonds steuerlich gleich zu behandeln? Diese Frage muss der Gerichtshof im vorliegenden Fall beantworten. Denn Polen hat sich in Ausübung seiner Steuerautonomie für eine Steuerbefreiung nur extern, nicht aber intern verwalteter Investmentfonds entschieden. Zugleich ist nach polnischem Recht die Errichtung intern verwalteter Investmentfonds überhaupt nicht möglich. Dies steht im Einklang mit dem Sekundärrecht der Union, wonach die Mitgliedstaaten zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet sind, sowohl intern als auch extern verwaltete Investmentfonds in ihrem nationalen Recht zuzulassen.
2. Unlängst hat der Gerichtshof in der Rechtssache Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö entschieden, dass eine Steuerbefreiung, die nur für in Vertragsform, nicht aber für in Satzungsform errichtete Investmentfonds gilt, mit der Kapitalverkehrsfreiheit nicht vereinbar ist. In diesem Fall ließ das nationale Recht die Errichtung von Investmentfonds in Satzungsform nicht zu, so dass im Ergebnis alle steuerpflichtigen Fonds aus dem Ausland kommen.(2) Nach Auffassung des Gerichtshofs lag insofern eine mittelbare Diskriminierung vor, weil einem gebietsfremden Investmentfonds, der wirksam nach dem Recht seines Mitgliedstaats in Satzungsform gegründet worden war, ein Steuervorteil nur deshalb vorenthalten wurde, weil er nicht die vorgeschriebene Vertragsform hatte.
3. Nun stellt sich die Frage, ob sich die Grundsätze dieser Entscheidung auf den vorliegenden – möglicherweise vergleichbaren – Fall übertragen lassen. Insbesondere ist fraglich, ob die Ausübung eines unionsrechtlich zulässigen Wahlrechts eine mittelbare Diskriminierung darstellen kann, wenn andere Mitgliedstaaten ihr Wahlrecht in einer anderen Art und Weise ausüben, so dass außerhalb Polens auch intern verwaltete Investmentfonds existieren. Muss diesen dann in Polen dieselbe Steuerbefreiung wie extern verwalteten Investmentfonds gewährt werden, oder können die unterschiedlichen Rechtsformen auch steuerrechtlich unterschiedlich behandelt werden? Der Gerichtshof hat somit im vorliegenden Verfahren die Möglichkeit, die Anforderungen an das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung speziell im Bereich der direkten Steuern zu konkretisieren.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
4. Den unionsrechtlichen Rechtsrahmen bilden Art. 18, Art. 49 und Art. 63 Abs. 1 AEUV und laut vorlegendem Gericht auch die Richtlinie 2009/65/EG über bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (im Folgenden: OGAW-Richtlinie).(3)
5. Die Erwägungsgründe der OGAW-Richtlinie lauten auszugsweise:
„(3) Die nationalen Rechtsvorschriften über die Organismen für gemeinsame Anlagen sollten koordiniert werden, um eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zwischen diesen Organismen auf Gemeinschaftsebene zu erreichen und gleichzeitig einen wirksameren und einheitlicheren Schutz der Anteilinhaber sicherzustellen. Eine derartige Koordinierung erleichtert die Beseitigung der Beschränkungen des freien Verkehrs für Anteile von OGAW in der Gemeinschaft.
(4) Im Hinblick auf die vorstehend genannten Ziele ist es wünschenswert, für die in den Mitgliedstaaten niedergelassenen OGAW gemeinsame Mindestregelungen für die Zulassung, Aufsicht, Struktur, Geschäftstätigkeit sowie hinsichtlich der zu veröffentlichenden Informationen festzulegen.
(6) Muss ein OGAW nach Maßgabe einer Bestimmung dieser Richtlinie Maßnahmen ergreifen, so sollte sich diese Bestimmung auf die Verwaltungsgesellschaft beziehen, sofern der OGAW als Investmentfonds gegründet wurde und von einer Verwaltungsgesellschaft verwaltet wird und sofern der Investmentfonds über keine Rechtspersönlichkeit verfügt und somit nicht selbständig handeln kann.
(83) Diese Richtlinie hat keine Auswirkungen auf nationale steuerliche Regelungen sowie Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten gegebenenfalls eingeleitet wurden, um die Einhaltung dieser Regelungen auf ihrem Hoheitsgebiet zu gewährleisten.“
6. Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der OGAW-Richtlinie lautet:
„(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
b) ‚Verwaltungsgesellschaft‘ eine Gesellschaft, deren reguläre Geschäftstätigkeit in der Verwaltung von in der Form eines Investmentfonds oder einer Investmentgesellschaft konstituierten OGAW besteht (gemeinsame Portfolioverwaltung von OGAW).“
7. Schließlich bestimmt Art. 29 Abs. 1 der OGAW-Richtlinie auszugsweise:
„(1) Unbeschadet sonstiger allgemein geltender Bedingungen des nationalen Rechts erteilen die zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats der Investmentgesellschaft einer Investmentgesellschaft eine Zulassung nur, wenn diese eine Verwaltungsgesellschaft benannt hat oder wenn sie mit einem ausreichenden Anfangskapital von mindestens 300 000 EUR ausgestattet ist.
Hat eine Investmentgesellschaft keine gemäß dieser Richtlinie zugelassene Verwaltungsgesellschaft benannt, gelten außerdem folgende Bedingungen: …“
B. Polnisches Recht
8. Im polnischen Recht sind insbesondere Vorschriften aus dem L’ustawa z dnia 15 lutego 1992 r. o podatku dochodowym od osób prawnych (Gesetz vom 15. Februar 1992 über die Körperschaftsteuer) in der durch die Ustawa z 10 lutego 2017 r. – Przepisy wprowadzające ustawę o Krajowym Ośrodku wsparcia Rolnictwa geänderten Fassung (im Folgenden: polnisches Körperschaftsteuergesetz) von Bedeutung.
9. Art. 6 Abs. 1 Nr. 10 des polnischen Körperschaftsteuergesetzes sieht eine persönliche Steuerbefreiung für bestimmte inländische Investmentfonds vor. Von der Körperschaftsteuer befreit sind danach sinngemäß offene Investmentfonds und Spezial‑Investmentfonds, die nach dem polnischen Investmentfondsgesetz errichtet wurden. Eine Ausnahme gilt lediglich für offene Spezialinvestmentfonds, die die für geschlossene Investmentfonds geltenden Anlagevorschriften und ‑beschränkungen anwenden. Weitere Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung ergeben sich aus der Vorschrift nicht.
10. Eine vergleichbare persönliche Steuerbefreiung für OGAWs mit Sitz in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR sieht Art. 6 Abs. 1 Nr. 10a des polnischen Körperschaftsteuergesetzes vor. Um die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen zu können, müssen die OGAWs sinngemäß kumulativ die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
a) Sie sind in ihrem Sitzstaat mit ihren gesamten Einkünften, gleich welcher Herkunft, körperschaftsteuerpflichtig;
b) ihr einziger Zweck ist die Anlage von Finanzmitteln, die durch einen öffentlichen oder nicht öffentlichen Aufruf zum Erwerb ihrer Anlagetitel beschafft werden, für gemeinsame Rechnung in Wertpapieren, Geldmarktinstrumenten und anderen Vermögensrechten;
c) sie üben ihre Tätigkeiten auf der Grundlage einer Genehmigung aus, die von den Finanzaufsichtsbehörden des Staates erteilt wurde, in dem sie ihren Sitz haben;
d) ihre Tätigkeiten unterliegen der unmittelbaren Aufsicht der Finanzmarktaufsichtsbehörden des Staates, in dem sie ihren Sitz haben;
e) sie haben eine Verwahrstelle für die Verwahrung ihres Vermögens benannt;
f) sie werden von Einrichtungen verwaltet, die für die Ausübung ihrer Tätigkeit über die Erlaubnis der für die Finanzmarktaufsicht zuständigen Behörden des Staates verfügen, in dem sie ihren Sitz haben.
11. Gemäß Art. 6 Abs. 4 des polnischen Körperschaftsteuergesetzes gilt die Steuerbefreiung nach Art. 6 Abs. 1 Nr. 10a dieses Gesetzes nicht für OGAWs, die sinngemäß entweder solche des geschlossenen Typs sind bzw. den für OGAWS des geschlossenen Typs geltenden Anlagevorschriften und –beschränkungen unterliegen (Nr. 1) oder deren Anteile gemäß ihrer Satzung nicht öffentlich angeboten werden, nicht zum Handel an einem geregelten Markt oder über ein alternatives Handelssystem zugelassen werden und von natürlichen Personen nur erworben werden können, wenn sie einmalig Anteile im Wert von mindestens 40 000 Euro erwerben (Nr. 2).
12. Neben diesen persönlichen Steuerbefreiungen sieht Art. 17 Abs. 1 Nr. 58 des polnischen Körperschaftsteuergesetzes eine sachliche Steuerbefreiung vor. Danach sind sinngemäß auch die in Art. 6 Abs. 4 Nr. 1 dieses Gesetzes genannten Erträge (Einnahmen) der geschlossenen OGAWs mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Land des Europäischen Wirtschaftsraums von der Körperschaftsteuer befreit, sofern sie die in Art. 6 Abs. 1 Nr. 10a Buchst. a und d bis f des polnischen Körperschaftsteuergesetzes genannten Voraussetzungen erfüllen.
13. Die entsprechenden OGAWs müssen also insbesondere im Staat ihres Sitzes der Körperschaftsteuer auf ihre gesamten Einkünfte unterliegen (Buchst. a) und von Einrichtungen verwaltet werden, die für die Ausübung ihrer Tätigkeit über eine Zulassung der für die Finanzmarktaufsicht zuständigen Behörden ihres Sitzstaates unterliegen (Buchst. f). Wegen dieser Voraussetzung in Art. 6 Abs. 1 Nr. 10a Buchst. f des polnischen Körperschaftsteuergesetzes gilt die Steuerbefreiung nach Auskunft des vorlegenden Gerichts nur für extern verwaltete, nicht aber für intern verwaltete Investmentfonds.
14. Daneben sind auch Vorschriften des L’ustawa z dnia 27 maja 2004 r. o...
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