Opinion of Advocate General Kokott delivered on 17 September 2020.
Jurisdiction | European Union |
Celex Number | 62018CC0499 |
ECLI | ECLI:EU:C:2020:735 |
Date | 17 September 2020 |
Court | Court of Justice (European Union) |
Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 17. September 2020(1)
Rechtssache C‑499/18 P
Bayer CropScience AG und Bayer AG
gegen
Europäische Kommission
„Rechtsmittel – Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 – Pflanzenschutzmittel– Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/2013 – Wirkstoffe Clothianidin und Imidacloprid – Bedingungen für die Genehmigung – Unannehmbare Umweltauswirkungen – Überprüfung der Genehmigung – Umfang der Prüfung – Vorsorgeprinzip – Beweislast – Verbot der Anwendung außerhalb von Treibhäusern – Verbot des Verkaufs von Saatgut, das mit diesen Wirkstoffen behandelt wurde“
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung
II. Rechtlicher Rahmen
III. Vorgeschichte und Rechtsmittel
A. Die EPPO-Leitlinie
B. Die streitige Durchführungsverordnung
IV. Gerichtliches Verfahren
V. Rechtliche Würdigung
A. Vorbemerkung
B. Zulässigkeit und Gegenstand des Rechtsmittels
C. Erster Rechtsmittelgrund – Einleitung der Überprüfung
D. Zweiter Rechtsmittelgrund – anwendbare Leitlinien der Risikobeurteilung nach Art. 21 Abs. 2 der Pflanzenschutzverordnung
E. Dritter, vierter und fünfter Rechtsmittelgrund – Genehmigungskriterien
1. Zur Prüfung der mit den Wirkstoffen verbundenen Risiken
2. Notfallmaßnahmen auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 3 der Pflanzenschutzverordnung
3. Keine Aufforderung, neue Informationen vorzulegen
4. Rechtssicherheit bei neuen rechtlichen Anforderungen
5. Gesteigerte Sicherheit hinsichtlich der Risiken und neue Daten
6. Beweislastumkehr
7. Hypothetische Risiken
a) Zur Blattbehandlung
b) Zum Verbot der nicht gewerblichen Anwendungen
F. Sechster Rechtsmittelgrund – Umfang der Folgenabschätzung
VI. Zu der Klage vor dem Gericht
VII. Kosten
VIII. Ergebnis
I. Einführung
1. Das vorliegende Verfahren betrifft die Gültigkeit einer Durchführungsverordnung,(2) mit der die Kommission die Genehmigungen von zwei Pflanzenschutzwirkstoffen änderte. Im Ergebnis durften diese Wirkstoffe danach nur noch sehr eingeschränkt verwendet werden. Die Pflanzenschutzverordnung(3) erlaubt der Kommission zwar, eine Genehmigung aufzuheben oder zu ändern. Die Bayer CropScience AG und die Bayer AG (im Folgenden: Bayer) nehmen den vorliegenden Fall jedoch zum Anlass, die Anwendung dieser Befugnis grundlegend in Frage zu stellen.
2. Dabei wendet sich Bayer vor allem dagegen, dass die Kommission die Genehmigungen überprüft und geändert hat, obwohl nach der Meinung von Bayer gegenüber dem ursprünglichen Genehmigungsverfahren keine ausreichend neuen wissenschaftlichen Kenntnisse vorlagen. Auch fordert Bayer eine tiefer gehende wissenschaftliche Bewertung der mit den Wirkstoffen verbundenen Risiken, insbesondere unter Verwendung bestimmter Leitlinien. Bayer wendet sich schließlich insbesondere gegen die Verbote, die Wirkstoffe zur Blattbehandlung oder im nicht gewerblichen Bereich zu verwenden.
3. Der Gerichtshof erhält in diesem Verfahren Gelegenheit, sich vertieft zu dem Verfahren der Überprüfung und der Befugnis zur Änderung einer Genehmigung von Pflanzenschutzwirkstoffen zu äußern und insbesondere die Bedeutung des Vorsorgeprinzips in diesem Zusammenhang klarzustellen. Außerdem stellen sich neue Fragen zum Umfang des Rechtsschutzinteresses, weil die streitige Durchführungsverordnung zwischenzeitlich aufgehoben wurde.
II. Rechtlicher Rahmen
4. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und der verwendeten Wirkstoffe war zunächst in der Pflanzenschutzrichtlinie aus dem Jahr 1991(4) geregelt, die die Grundlage für die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe war. Die Richtlinie wurde aber im Jahr 2009 durch die Pflanzenschutzverordnung ersetzt.
5. Die Genehmigungskriterien für die Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln sind insbesondere in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Pflanzenschutzverordnung niedergelegt:
„(1) Ein Wirkstoff wird gemäß Anhang II genehmigt, wenn aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Kenntnisstandes zu erwarten ist, dass unter Berücksichtigung der Genehmigungskriterien in den Nrn. 2 und 3 jenes Anhangs Pflanzenschutzmittel, die diesen Wirkstoff enthalten, die Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erfüllen.
…
(2) Die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln müssen als Folge der Verwendung entsprechend der guten Pflanzenschutzpraxis und unter der Voraussetzung realistischer Verwendungsbedingungen folgende Anforderungen erfüllen:
a) Sie dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, einschließlich besonders gefährdeter Personengruppen, oder von Tieren – unter Berücksichtigung von Kumulations- und Synergieeffekten, wenn es von der Behörde anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Messung solcher Effekte gibt – noch auf das Grundwasser haben.
b) Sie dürfen keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben.
Für Rückstände mit toxikologischer, ökotoxikologischer, ökologischer Relevanz oder Relevanz für das Trinkwasser müssen allgemein gebräuchliche Messverfahren zur Verfügung stehen. Analysestandards müssen allgemein verfügbar sein.
(3) Pflanzenschutzmittel müssen als Folge der Verwendung entsprechend der guten Pflanzenschutzpraxis und unter der Voraussetzung realistischer Verwendungsbedingungen folgende Anforderungen erfüllen:
a) Sie müssen hinreichend wirksam sein.
b) Sie dürfen keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, einschließlich besonders gefährdeter Personengruppen, oder von Tieren – weder direkt noch über das Trinkwasser (unter Berücksichtigung der bei der Trinkwasserbehandlung entstehenden Produkte), über Nahrungs- oder Futtermittel oder über die Luft oder Auswirkungen am Arbeitsplatz oder durch andere indirekte Effekte unter Berücksichtigung bekannter Kumulations- und Synergieeffekte, soweit es von der Behörde anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung solcher Effekte gibt – noch auf das Grundwasser haben.
c) Sie dürfen keine unannehmbaren Auswirkungen auf Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse haben.
d) Sie dürfen bei den zu bekämpfenden Wirbeltieren keine unnötigen Leiden oder Schmerzen verursachen.
e) Sie dürfen keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben, und zwar unter besonderer Berücksichtigung folgender Aspekte, soweit es von der Behörde anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung solcher Effekte gibt:
i) Verbleib und Ausbreitung in der Umwelt, insbesondere Kontamination von Oberflächengewässern einschließlich Mündungs- und Küstengewässern, Grundwasser, Luft und Boden, unter Berücksichtigung von Orten in großer Entfernung vom Ort der Verwendung nach einem Ferntransport in der Umwelt;
ii) Auswirkung auf Arten, die nicht bekämpft werden sollen, einschließlich des dauerhaften Verhaltens dieser Arten;
iii) Auswirkung auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem.“
6. Nach Art. 7 der Pflanzenschutzverordnung legt der Hersteller des Wirkstoffs mit seinem Genehmigungsantrag verschiedene Unterlagen vor, die nachweisen, dass der Wirkstoff die Genehmigungskriterien gemäß Art. 4 erfüllt.
7. Art. 12 Abs. 2 der Pflanzenschutzverordnung sieht vor, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bei der Beurteilung, ob ein Wirkstoff voraussichtlich die Genehmigungskriterien des Art. 4 erfüllt, die verfügbaren Leitlinien heranzieht.
8. Anhang II Nr. 1.3 der Pflanzenschutzverordnung betrifft ebenfalls die Verwendung von Leitlinien:
„Während der Bewertung und Entscheidungsfindung gemäß den Art. 4 bis 21 berücksichtigen die Mitgliedstaaten und die Behörde etwaige weitere Leitlinien, die im Rahmen des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit erarbeitet wurden, um die Risikobewertung gegebenenfalls zu verfeinern.“
9. Anhang II Nr. 3.8.3 der Pflanzenschutzverordnung enthält spezifische Vorgaben zum Schutz von Bienen:
„Ein Wirkstoff, Safener oder Synergist wird nur genehmigt, wenn auf der Grundlage einer angemessenen Risikobewertung nach gemeinschaftlich oder international akzeptierten Testrichtlinien festgestellt wird, dass seine Verwendung unter den vorgeschlagenen Bedingungen für die Verwendung des Pflanzenschutzmittels, das diesen Wirkstoff, Safener oder Synergisten enthält,
– zu einer vernachlässigbaren Exposition von Honigbienen führt … oder
– unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf Honigbienenlarven und das Verhalten von Honigbienen keine unannehmbaren akuten oder chronischen Auswirkungen auf das Überleben und die Entwicklung des Bienenvolks hat.“
10. Art. 21 der Pflanzenschutzverordnung regelt die Überprüfung der Genehmigung:
(1) Die Kommission kann die Genehmigung eines Wirkstoffs jederzeit überprüfen. Sie berücksichtigt den Antrag eines Mitgliedstaats auf Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs im Lichte neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse und Überwachungsdaten, auch in Fällen, in denen es nach der Überprüfung der Genehmigungen gemäß Art. 44 Abs. 1 Anzeichen dafür gibt, dass das Erreichen der Ziele nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziffer iv und Buchst. b Ziffer i sowie Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2000/60/EG nicht gesichert ist.
Gibt es nach Ansicht der Kommission aufgrund neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse Anzeichen dafür, dass der Stoff die Genehmigungskriterien des Art. 4 nicht mehr erfüllt, oder wurden weitere, gemäß Art. 6 Buchst. f angeforderte Informationen nicht vorgelegt, so informiert die Kommission die Mitgliedstaaten, die Behörde und den Hersteller des Wirkstoffs, wobei sie dem Hersteller eine Frist für eine Stellungnahme einräumt.
(2) Die Kommission kann die Mitgliedstaaten und die Behörde um eine Stellungnahme oder um wissenschaftliche oder technische Unterstützung ersuchen. Die Mitgliedstaaten können ihre Stellungnahmen der Kommission innerhalb von drei Monaten nach dem Ersuchen vorlegen. Die Behörde übermittelt der Kommission ihre Stellungnahme oder die Ergebnisse ihrer Arbeit innerhalb von drei Monaten nach dem Ersuchen.
(3) Kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Genehmigungskriterien des Art. 4 nicht mehr erfüllt sind, oder wurden weitere, gemäß Art. 6 Buchst. f angeforderte...
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