Tilman SA v Unilever Supply Chain Company AG.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2022:923
Date24 November 2022
Docket NumberC-358/21
Celex Number62021CJ0358
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

24. November 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Lugano‑II-Übereinkommen – Gerichtsstandsklausel – Formerfordernisse – Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen – Allgemeine Geschäftsbedingungen, die über einen in einem schriftlichen Vertrag angegebenen Hyperlink eingesehen und ausgedruckt werden können – Willenseinigung der Parteien“

In der Rechtssache C‑358/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationshof, Belgien) mit Entscheidung vom 20. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juni 2021, in dem Verfahren

Tilman SA

gegen

Unilever Supply Chain Company AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter) und J. Passer,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Tilman SA, vertreten durch die Rechtsanwälte N. Cariat, A. Hoc und B. Hoc,

– der Unilever Supply Chain Company AG, vertreten durch W. van Eeckhoutte, Advocaat,

– der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und M. van Regemorter als Bevollmächtigte,

– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, U. Bartl, M. Hellmann und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

– der Schweizer Regierung, vertreten durch N. Marville-Dosen und J. Schickel-Küng als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma und S. Noë als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 23 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 2 des am 30. Oktober 2007 unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom 27. November 2008 genehmigt wurde (ABl. 2009, L 147, S. 1, im Folgenden: Lugano‑II-Übereinkommen).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Tilman SA mit Sitz in Belgien und der Unilever Supply Chain Compagny AG (im Folgenden: Unilever) mit Sitz in der Schweiz darüber, dass Unilever von Tilman in Rechnung gestellte Beträge nicht gezahlt hat.

Rechtlicher Rahmen

LuganoIIÜbereinkommen

3 Das Lugano‑II-Übereinkommen bindet die Europäische Gemeinschaft, das Königreich Dänemark, die Republik Island, das Königreich Norwegen und die Schweizerische Eidgenossenschaft.

4 Art. 1 Abs. 3 dieses Übereinkommens lautet:

„In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck ‚durch dieses Übereinkommen gebundener Staat‘ jeden Staat, der Vertragspartei dieses Übereinkommens oder ein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ist. Er kann auch die Europäische Gemeinschaft bezeichnen.“

5 Art. 23 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) des Übereinkommens bestimmt in seinen Abs. 1 und 2:

„(1) Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.

(2) Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt.“

6 In Art. 64 Abs. 1 und 2 des Übereinkommens heißt es:

„(1) Dieses Übereinkommen lässt die Anwendung folgender Rechtsakte durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unberührt: der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates [vom 22. Dezember 2000] über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Brüssel‑I-Verordnung] einschließlich deren Änderungen, des am 27. September 1968 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. 1972, L 299, S. 32] und des am 3. Juni 1971 in Luxemburg unterzeichneten Protokolls über die Auslegung des genannten Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in der Fassung der Übereinkommen, mit denen die neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften jenem Übereinkommen und dessen Protokoll beigetreten sind [im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen], sowie des am 19. Oktober 2005 in Brüssel unterzeichneten Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

(2) Dieses Übereinkommen wird jedoch in jedem Fall angewandt

a) in Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Staates hat, in dem dieses Übereinkommen, aber keines der in Absatz 1 aufgeführten Rechtsinstrumente gilt, oder wenn die Gerichte eines solchen Staates nach Artikel 22 oder 23 dieses Übereinkommens zuständig sind;

…“

7 Art. 1 Abs. 1 des Protokolls 2 über die einheitliche Auslegung des [Lugano‑II‑]Übereinkommens und den ständigen Ausschuss bestimmt:

„Jedes Gericht, das dieses Übereinkommen anwendet und auslegt, trägt den Grundsätzen gebührend Rechnung, die in maßgeblichen Entscheidungen von Gerichten der durch dieses Übereinkommen gebundenen Staaten sowie in Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu den Bestimmungen dieses Übereinkommens oder zu ähnlichen Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens von 1988 und der in Artikel 64 Absatz 1 dieses Übereinkommens genannten Rechtsinstrumente entwickelt worden sind.“

BrüsselIVerordnung

8 Art. 23 Abs. 1 und 2 der Brüssel‑I‑Verordnung bestimmt:

„(1) Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.

(2) Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt.“

BrüsselIa-Verordnung

9 Die Brüssel‑I‑Verordnung wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1, im Folgenden: Brüssel‑Ia-Verordnung) aufgehoben.

10 Art. 25 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) der Brüssel‑Ia-Verordnung in deren Kapitel II („Zuständigkeit“) lautet:

„(1) Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es...

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