TS y otros contra Casa Naţională de Asigurări de Sănătate y Casa de Asigurări de Sănătate Constanţa.

JurisdictionEuropean Union
ECLIECLI:EU:C:2021:809
Celex Number62019CJ0538
Docket NumberC-538/19
Date06 October 2021
CourtCourt of Justice (European Union)

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

6. Oktober 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Soziale Sicherheit – Krankenversicherung – Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Art. 20 Abs. 1 und 2 – Medizinische Versorgung, die der Versicherte in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Wohnmitgliedstaat erhalten hat – Vorherige Genehmigung – Voraussetzungen – Erfordernis eines eine Behandlung verordnenden Berichts, der von einem Arzt ausgestellt wurde, der dem nationalen öffentlichen Krankenversicherungssystem angehört – Verordnung einer alternativen Behandlung, die den Vorteil bietet, dass sie keine Behinderung verursacht, im Rahmen einer zweiten ärztlichen Stellungnahme, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnmitgliedstaat des Versicherten ausgestellt wird – Vollständige Erstattung der Arztkosten für diese alternative Behandlung – Freier Dienstleistungsverkehr – Art. 56 AEUV“

In der Rechtssache C‑538/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Constanţa (Berufungsgericht, Rumänien) mit Entscheidung vom 4. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juli 2019, in dem Verfahren

TS,

UT,

VU

gegen

Casa Naţională de Asigurări de Sănătate,

Casa de Asigurări de Sănătate Constanţa


erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter N. Piçarra (Berichterstatter), D. Šváby und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von TS, UT und VU, vertreten durch T. Haşotti, avocat,

– der Casa Naţională de Asigurări de Sănătate, vertreten durch V. Ciurchea als Bevollmächtigter,

– der Casa de Asigurări de Sănătate Constanţa, vertreten durch I. Constantin und M. Ciobanu als Bevollmächtigte im Beistand von M. Lipici, avocată,

– der rumänischen Regierung, zunächst vertreten durch E. Gane, R. I. Haţieganu, A. Rotăreanu und C.‑R. Canţăr, dann durch E. Gane, R. I. Haţieganu und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,

– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin, C. Gheorghiu und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV und Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. 2009, L 284, S. 43) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004).


2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen TS, UT und VU, Erben von ZY, auf der einen Seite und der Casa Naţională de Asigurări de Sănătate (Nationale Krankenkasse, Rumänien) sowie der Casa de Asigurări de Sănătate Constanţa (Krankenkasse Constanţa, Rumänien) auf der anderen Seite wegen der Weigerung der Letzteren, ihnen sämtliche Kosten der medizinischen Behandlung, die ZY in Österreich erhalten hat, zu erstatten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 883/2004

3 Art. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

j) ‚Wohnort‘ den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person;

k) ‚Aufenthalt‘ den vorübergehenden Aufenthalt;

l) ‚Rechtsvorschriften‘ für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweige der sozialen Sicherheit.

p) ‚Träger‘ in jedem Mitgliedstaat die Einrichtung oder Behörde, der die Anwendung aller Rechtsvorschriften oder eines Teils hiervon obliegt;

q) ‚zuständiger Träger‘:

i) den Träger, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen versichert ist,

s) ‚zuständiger Mitgliedstaat‘ den Mitgliedstaat, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat;

va) ‚Sachleistungen‘

i) für Titel III Kapitel 1 (Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft) Sachleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehen sind und die den Zweck verfolgen, die ärztliche Behandlung und die diese Behandlung ergänzenden Produkte und Dienstleistungen zu erbringen bzw. zur Verfügung zu stellen oder direkt zu bezahlen oder die diesbezüglichen Kosten zu erstatten. Dazu gehören auch Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit;

…“

4 In Art. 3 Abs. 1 der Verordnung heißt es:

„Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

a) Leistungen bei Krankheit;

…“

5 Art. 20 („Reisen zur Inanspruchnahme von Sachleistungen“) Abs. 1 und 2 der Verordnung bestimmt:

„(1) Sofern in dieser Verordnung nichts Anderes bestimmt ist, muss ein Versicherter, der sich zur Inanspruchnahme von Sachleistungen in einen anderen Mitgliedstaat begibt, die Genehmigung des zuständigen Trägers einholen.

(2) Ein Versicherter, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, erhält Sachleistungen, die vom Träger des Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob er nach diesen Rechtsvorschriften versichert wäre. Die Genehmigung wird erteilt, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann.“

Verordnung (EG) Nr. 987/2009

6 Art. 26 („Geplante Behandlungen“) Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 (ABl. 2009, L 284, S. 1) bestimmt:

„Der zuständige Träger behält das Recht, den Versicherten jederzeit im Verlauf des Genehmigungsverfahrens von einem Arzt seiner Wahl im Aufenthalts- oder Wohnmitgliedstaat untersuchen [zu] lassen.“

Rumänisches Recht

Erlass Nr. 592/2008

7 Der Erlass Nr. 592/2008 des Präsidenten der nationalen Krankenkasse vom 26. August 2008 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 648 vom 11. September 2008) legt die Modalitäten für die Verwendung der Formblätter im Rahmen des rumänischen Krankenversicherungssystems fest, die gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der geänderten und aktualisierten Fassung der Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) sowie gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. 1972, L 74, S. 1) ausgestellt werden. Diese Verwendungsmodalitäten sind im Anhang des Erlasses aufgeführt.

8 Art. 40 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 dieses Anhangs bestimmt:

„(1) Das Formblatt E 112 richtet sich an

b) Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten haben, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen.

(3) Der zuständige Träger darf die Ausstellung des Formblatts E 112 in dem in Abs. 1 Buchst. b vorgesehenen Fall nicht verweigern, wenn die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die aufgrund von Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats gewährt werden, in dessen Gebiet die betreffende Person wohnt, die diese Behandlung in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz hat, nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlung normalerweise erforderlich ist.“

9 In Art. 45 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 4 des Anhangs heißt es:

„(1) In dem in Art. 40 Abs. 1 Buchst. b vorgesehenen Fall [der Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige betrifft, die vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten haben, sich in einen anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie ihren Wohnsitz haben, zu begeben, um eine medizinische Behandlung zu erhalten] sind dem Antrag [auf Ausstellung des Formblatts E 112] folgende Unterlagen beizufügen:

b) die Krankenakte, die neben den medizinischen Unterlagen auch den Arztbericht nach Anhang Nr. 10A, aus dem sich die Diagnose ergibt, sowie die ärztliche Verordnung zur Durchführung der Behandlung enthalten muss; …

(4) Der Arztbericht ist von einem Arzt eines Universitäts- oder gegebenenfalls eines Bezirkskrankenhauses zu erstellen, das mit der rumänischen Krankenkasse vertraglich verbunden ist.“

10 Art. 46 des Anhangs des Erlasses Nr. 592/2008 lautet:

„(1) Das Formblatt E 112 ist vor der Ausreise des Begünstigten auszustellen.

(2) Das Formblatt kann auch nach der Ausreise des Begünstigten ausgestellt werden, wenn es aus Gründen höherer Gewalt nicht vorher ausgestellt werden konnte. Das Formblatt wird nur ausgestellt, wenn der Gegenwert der medizinischen Leistungen nicht ausbezahlt wurde. Vom Zeitpunkt der Zahlung an entfaltet das Formblatt hinsichtlich des Antragsgegenstands keine Rechtswirkung mehr.

(3) In den Fällen nach Abs. 2 fertigt die Krankenkasse eine Stellungnahme, in der sie die Situation höherer Gewalt darlegt und begründet; dieses Dokument bildet die Grundlage für die Ausstellung des Formblatts E 112.

(4) Bei der Fertigung der Stellungnahme nach Abs. 3 sind die...

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