European Union Intellectual Property Office v The KaiKai Company Jaeger Wichmann GbR.
Jurisdiction | European Union |
Celex Number | 62021CJ0382 |
ECLI | ECLI:EU:C:2024:172 |
Date | 27 February 2024 |
Docket Number | C-382/21 |
Court | Court of Justice (European Union) |
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
27. Februar 2024 ( *1 )
„Rechtsmittel – Geistiges Eigentum – Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (PCT) – Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums – Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums – Art. 4 – Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Art. 41 – Anmeldung eines Geschmacksmusters – Prioritätsrecht – Inanspruchnahme der Priorität aufgrund einer gemäß dem PCT eingereichten internationalen Anmeldung – Frist – Auslegung im Einklang mit Art. 4 der Übereinkunft – Grenzen“
In der Rechtssache C‑382/21 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 23. Juni 2021,
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch D. Gája, D. Hanf, E. Markakis und V. Ruzek als Bevollmächtigte,
Rechtsmittelführer,
unterstützt durch
Europäische Kommission, vertreten durch P. Němečková, J. Samnadda und G. von Rintelen als Bevollmächtigte,
Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,
andere Partei des Verfahrens:
The KaiKai Company Jaeger Wichmann GbR mit Sitz in München (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwältin J. Hellmann-Cordner im Beistand der Patentanwälte T. Lachmann und F. Steinbach,
Klägerin im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan und N. Piçarra, der Richter M. Ilešič und P. G. Xuereb, der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin), der Richter I. Jarukaitis, A. Kumin, N. Jääskinen und N. Wahl, der Richterin I. Ziemele und des Richters J. Passer,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2023,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Juli 2023
folgendes
Urteil
1 |
Mit seinem Rechtsmittel begehrt das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 14. April 2021, The KaiKai Company Jaeger Wichmann/EUIPO (Turn- oder Sportgeräte und ‑artikel) (T‑579/19, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2021:186), mit dem das Gericht die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 13. Juni 2019 (Sache R 573/2019-3) aufgehoben hat. |
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Pariser Verbandsübereinkunft
2 |
Die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums wurde am 20. März 1883 in Paris unterzeichnet, zuletzt in Stockholm am 14. Juli 1967 revidiert und am 28. September 1979 geändert (United Nations Treaty Series, Bd. 828, Nr. 11851, S. 305, im Folgenden: Pariser Verbandsübereinkunft). Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind Vertragsparteien dieser Übereinkunft. |
3 |
Art. 1 Abs. 1 und 2 der Pariser Verbandsübereinkunft bestimmt: „(1) Die Länder, auf die diese Übereinkunft Anwendung findet, bilden einen Verband zum Schutz des gewerblichen Eigentums. (2) Der Schutz des gewerblichen Eigentums hat zum Gegenstand die Erfindungspatente, die Gebrauchsmuster, die gewerblichen Muster oder Modelle, die Fabrik- oder Handelsmarken, die Dienstleistungsmarken, den Handelsnamen und die Herkunftsangaben oder Ursprungsbezeichnungen sowie die Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs.“ |
4 |
In Art. 4 der Pariser Verbandsübereinkunft heißt es: „A. (1) Wer in einem der [Länder des Verbands zum Schutz des gewerblichen Eigentums] die Anmeldung für ein Erfindungspatent, ein Gebrauchsmuster, ein gewerbliches Muster oder Modell, eine Fabrik- oder Handelsmarke vorschriftsmäßig hinterlegt hat, oder sein Rechtsnachfolger genießt für die Hinterlegung in den anderen Ländern während der unten bestimmten Fristen ein Prioritätsrecht. (2) Als prioritätsbegründend wird jede Hinterlegung anerkannt, der nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften jedes [Landes des Verbands zum Schutz des gewerblichen Eigentums] oder nach den zwischen [Ländern des Verbands zum Schutz des gewerblichen Eigentums] abgeschlossenen zwei- oder mehrseitigen Verträgen die Bedeutung einer vorschriftsmäßigen nationalen Hinterlegung zukommt. … C. (1) Die oben erwähnten Prioritätsfristen betragen zwölf Monate für die Erfindungspatente und die Gebrauchsmuster und sechs Monate für die gewerblichen Muster oder Modelle und für die Fabrik- oder Handelsmarken. (2) Diese Fristen laufen vom Zeitpunkt der Hinterlegung der ersten Anmeldung an; der Tag der Hinterlegung wird nicht in die Frist eingerechnet. … (4) Als erste Anmeldung, von deren Hinterlegungszeitpunkt an die Prioritätsfrist läuft, wird auch eine jüngere Anmeldung angesehen, die denselben Gegenstand betrifft wie eine erste ältere im Sinn des Absatzes 2 in demselben [Land des Verbands zum Schutz des gewerblichen Eigentums] eingereichte Anmeldung, sofern diese ältere Anmeldung bis zum Zeitpunkt der Hinterlegung der jüngeren Anmeldung zurückgezogen, fallen gelassen oder zurückgewiesen worden ist, und zwar bevor sie öffentlich ausgelegt worden ist und ohne dass Rechte bestehen geblieben sind; ebenso wenig darf diese ältere Anmeldung schon Grundlage für die Inanspruchnahme des Prioritätsrechts gewesen sein. Die ältere Anmeldung kann in diesem Fall nicht mehr als Grundlage für die Inanspruchnahme des Prioritätsrechts dienen. … E. (1) Wird in einem Land ein gewerbliches Muster oder Modell unter Inanspruchnahme eines auf die Anmeldung eines Gebrauchsmusters gegründeten Prioritätsrechts hinterlegt, so ist nur die für gewerbliche Muster oder Modelle bestimmte Prioritätsfrist maßgebend. (2) Im Übrigen ist es zulässig, in einem Land ein Gebrauchsmuster unter Inanspruchnahme eines auf die Hinterlegung einer Patentanmeldung gegründeten Prioritätsrechts zu hinterlegen und umgekehrt. …“ |
5 |
Art. 19 der Pariser Verbandsübereinkunft lautet: „Es besteht Einverständnis darüber, dass die [Länder des Verbands zum Schutz des gewerblichen Eigentums] sich das Recht vorbehalten, einzeln untereinander Sonderabkommen zum Schutz des gewerblichen Eigentums zu treffen, sofern diese Abkommen den Bestimmungen dieser Übereinkunft nicht zuwiderlaufen.“ |
6 |
Art. 25 Abs. 1 der Pariser Verbandsübereinkunft bestimmt: „Jedes Vertragsland dieser Übereinkunft verpflichtet sich, entsprechend seiner Verfassung die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Anwendung dieser Übereinkunft zu gewährleisten.“ |
TRIPS-Übereinkommen
7 |
Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen) in Anhang 1 C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) wurde am 15. April 1994 in Marrakesch (Marokko) unterzeichnet und durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986‑1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1) genehmigt. Vertragsparteien des TRIPS-Übereinkommens sind die Mitglieder der WTO, zu denen alle Mitgliedstaaten der Union sowie die Union selbst gehören. |
8 |
Art. 2 des TRIPS-Übereinkommens, der zu dessen Teil I gehört, bestimmt in Abs. 1: „In Bezug auf die Teile II, III und IV dieses Übereinkommens befolgen die Mitglieder die Artikel 1 bis 12 sowie Artikel 19 der Pariser Verbandsübereinkunft …“ |
9 |
Nach Art. 25 des TRIPS-Übereinkommens, der zu dessen Teil II gehört, sind die Mitglieder der WTO verpflichtet, den Schutz unabhängig geschaffener gewerblicher Muster und Modelle vorzusehen, die neu sind oder Eigenart haben. |
10 |
Art. 62 des TRIPS-Übereinkommens, der dessen Teil IV bildet, betrifft u. a. den Erwerb von Rechten des geistigen Eigentums. |
PCT
11 |
Der Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens wurde am 19. Juni 1970 in Washington geschlossen und zuletzt am 3. Oktober 2001 geändert (United Nations Treaty Series, Bd. 1160, Nr. 18336, S. 231, im Folgenden: PCT). Alle Mitgliedstaaten der Union sind Vertragsparteien des PCT. |
12 |
Art 1 Abs. 2 des PCT sieht vor: „Keine Bestimmung dieses Vertrags ist so auszulegen, dass sie die Rechte aus der [Pariser Verbandsübereinkunft] der Personen beeinträchtigt, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedlands dieser Übereinkunft besitzen oder in einem solchen Land ihren Sitz oder Wohnsitz haben.“ |
13 |
Art. 2 des PCT bestimmt: „Im Sinne dieses Vertrags und der Ausführungsordnung und sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt wird:
…
…“ |
Unionsrecht
14 |
Art. 25 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) sieht in Abs. 1 vor: „Ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster kann nur dann für nichtig erklärt... |
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