Urteile nº T-456/05 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, April 28, 2010

Resolution DateApril 28, 2010
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-456/05

In den verbundenen Rechtssachen T‑456/05 und T‑457/05

Gütermann AG mit Sitz in Gutach-Breisgau (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Burrichter und B. Kasten sowie Rechtsanwältin S. Orlikowski-Wolf,

Klägerin in der Rechtssache T‑456/05,

Zwicky & Co. AG mit Sitz in Wallisellen (Schweiz), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Burrichter und B. Kasten sowie Rechtsanwältin S. Orlikowski-Wolf,

Klägerin in der Rechtssache T‑457/05,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch F. Castillo de la Torre, M. Schneider und K. Mojzesowicz, sodann durch F. Castillo de la Torre und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K (2005) 3452 der Kommission vom 14. September 2005 in einem Verfahren nach den Artikeln 81 [EG] und 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/38.337 – PO/Garne) in ihrer durch die Entscheidung K (2005) 3765 der Kommission vom 13. Oktober 2005 geänderten Fassung und, hilfsweise, Herabsetzung der mit dieser Entscheidung gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras sowie der Richter M. Prek (Berichterstatter) und V. M. Ciucǎ,

Kanzler: T. Weiler, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2008

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

  1. Gegenstand des Rechtsstreits

    1 Mit der Entscheidung K (2005) 3452 vom 14. September 2005 in einem Verfahren nach den Artikeln 81 [EG] und 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/38.337 – PO/Garne) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) in ihrer durch die Entscheidung K (2005) 3765 der Kommission vom 13. Oktober 2005 geänderten Fassung, von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 26. Januar 2008 (ABl. C 21, S. 10) veröffentlicht worden ist, stellte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften fest, dass die Klägerinnen, die Gütermann AG (im Folgenden: Gütermann) und die Zwicky & Co. AG (im Folgenden: Zwicky), an einer Reihe von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Markt für Garne für Industriekunden in den Benelux- und den nordischen Ländern beteiligt gewesen seien, und zwar Gütermann im Zeitraum von Januar 1990 bis September 2001 und Zwicky im Zeitraum von Januar 1990 bis November 2000.

    2 Gegen Gütermann verhängte die Kommission eine Geldbuße von 4,021 Millionen Euro und gegen Zwicky eine Geldbuße von 0,174 Millionen Euro wegen ihrer Beteiligung an dem Industriegarne betreffenden Kartell in den Benelux- und den nordischen Ländern.

  2. Verwaltungsverfahren

    3 Am 7. und am 8. November 2001 führte die Kommission in den Geschäftsräumen mehrerer Hersteller von Nähgarn Nachprüfungen gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 EG] und [82 EG] (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) durch. Diese Nachprüfungen erfolgten aufgrund von Auskünften, die The English Needle & Tackle Company im August 2000 erteilt hatte.

    4 Am 26. November 2001 stellte die Coats Viyella plc (im Folgenden: Coats) gemäß der Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) einen Kronzeugenantrag, dem Beweise für das Vorliegen folgender Kartelle beigefügt waren: erstens eines Kartells auf dem Markt für Garne für die Automobilindustrie im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), zweitens eines Kartells auf dem Markt für Garne für Industriekunden im Vereinigten Königreich und drittens eines Kartells auf dem Markt für Garne für Industriekunden in den Beneluxländern sowie in Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden (im Folgenden zusammen: nordische Länder).

    5 Die Kommission richtete aufgrund der Schriftstücke, die sie bei den Nachprüfungen mitgenommen hatte, und derjenigen, die sie von Coats erhalten hatte, im März und im August 2003 Auskunftsverlangen im Sinne des Art. 11 der Verordnung Nr. 17 an die betroffenen Unternehmen.

    6 Am 15. März 2004 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die sie an mehrere Unternehmen wegen ihrer Beteiligung an einem oder mehreren der oben in Randnr. 4 genannten Kartelle richtete, darunter das Kartell auf dem Markt für Garne für Industriekunden in den Benelux- und den nordischen Ländern.

    7 Alle Unternehmen, an die die Mitteilung der Beschwerdepunkte gesandt worden war, nahmen schriftlich Stellung. Gütermann antwortete im eigenen Namen und im Namen von Zwicky.

    8 Am 19. und 20. Juli 2004 fand eine Anhörung statt.

    9 Am 24. September 2004 wurde den Beteiligten Zugang zu der nichtvertraulichen Fassung der Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte sowie zu den Stellungnahmen der Beteiligten zu der Anhörung gewährt und ihnen eine Frist für weitere Stellungnahmen eingeräumt.

    10 Am 14. September 2005 erließ die Kommission die angefochtene Entscheidung.

  3. Angefochtene Entscheidung

    Bestimmung der relevanten Märkte

    Produktmarkt

    11 In der angefochtenen Entscheidung weist die Kommission darauf hin, dass der Wirtschaftszweig Garne in zwei Kategorien unterteilt werden könne, nämlich zum einen den der Industriegarne zum Nähen oder Sticken verschiedener Bekleidungs- und sonstiger Waren wie Lederwaren, Erzeugnisse für die Automobilindustrie und Matratzen, und zum anderen den Markt der für Endverbraucher bestimmten Garne, die Einzelpersonen zum Nähen, Stopfen und für Handarbeiten verwendeten.

    12 Die Kategorie der Industriegarne könne entsprechend ihrer Verwendung in drei Gruppen unterteilt werden: Bekleidungsnähgarne für verschiedene Arten von Bekleidungswaren, Stickereigarne, die auf computergestützten industriellen Stickmaschinen zur Verschönerung von Bekleidungswaren, Sportschuhen und Möbeln verwendet würden, und Spezialgarne, die in verschiedenen Wirtschaftszweigen wie bei der Herstellung von Schuhen und Lederwaren sowie in der Automobilindustrie verwendet würden.

    13 Nach Ansicht der Kommission können, da kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Endverwendung und der Faserart und/oder der Garnstruktur bestehe, Industriegarne von der Angebotsseite her betrachtet als ein einziger Produktmarkt gelten.

    14 Die Kommission unterscheidet allerdings zwischen den Garnen für die Automobilindustrie und den übrigen Industriegarnen. Denn obwohl diese beiden Garnarten ähnliche oder leicht substituierbare Herstellungsprozesse durchliefen, stamme die Nachfrage der Automobilindustrie von Großkunden, die für einige der von ihnen verwendeten Produkte – beispielsweise Garne für Sicherheitsgurte – höhere Anforderungen stellten und in den verschiedenen Ländern, in denen sie die Garne benötigten, Wert auf die Gleichartigkeit der Waren legten.

    15 In den vorliegenden Sachen sei der Produktmarkt, für den die den Klägerinnen zur Last gelegte Zuwiderhandlung geprüft werde, der Markt für Industriegarne unter Ausschluss der Automobilindustrie (im Folgenden: Industriegarne).

    Die räumlichen Märkte

    16 In der angefochtenen Entscheidung stellt die Kommission fest, dass nach den von den Parteien gelieferten Informationen der räumlich relevante Markt für Industriegarne ein regionaler Markt sei. Die Region könne sich je nach Fall über mehrere Länder des EWR, beispielsweise die Benelux- oder die nordischen Länder, oder auf ein einziges Land, beispielsweise das Vereinigte Königreich, erstrecken.

    17 Der im vorliegenden Fall von der den Klägerinnen zur Last gelegten Zuwiderhandlung betroffene räumliche Markt sei der Markt in den Benelux- und den nordischen Ländern.

    Größe und Struktur der relevanten Märkte

    18 Aus der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass sich der Umsatz mit Industriegarnen in den Benelux- und den nordischen Ländern auf rund 50 Millionen Euro im Jahr 2000 und rund 40 Millionen Euro im Jahr 2004 belief.

    19 Außerdem ergibt sich aus dieser Entscheidung, dass Ende der Neunzigerjahre insbesondere Gütermann, Zwicky, Amann und Söhne GmbH & Co. KG (im Folgenden: Amann), Barbour Threads Ltd, bevor das Unternehmen von Coats übernommen wurde, Belgian Sewing Thread NV (im Folgenden: BST) und Coats die wichtigsten Lieferanten von Industriegarnen in den Benelux- und den nordischen Ländern waren.

    Beschreibung der Verstöße

    20 In der angefochtenen Entscheidung weist die Kommission darauf hin, dass sich die Vorkommnisse betreffend das Kartell auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den nordischen Ländern zwischen 1990 und 2001 zugetragen hätten.

    21 Die betreffenden Unternehmen hätten mindestens einmal im Jahr ein Treffen abgehalten, und diese Zusammenkünfte hätten in Form zweier Sitzungen – die eine für den Markt der Beneluxländer, die andere für den der nordischen Länder – stattgefunden, wobei das Hauptziel dieser Zusammenkünfte darin bestanden habe, die Preise auf jedem dieser beiden Märkte auf einem hohen Niveau zu halten.

    22 Die Teilnehmer hätten Preislisten und Informationen über Rabatte, über die Erhöhung der Listenpreise, über die Senkung von Preisnachlässen und über die Erhöhung der Sonderpreise für bestimmte Kunden ausgetauscht. Es seien auch Vereinbarungen über die zukünftigen Preislisten, Maximalrabatte, Rabattsenkungen und die Erhöhung der Sonderpreise für bestimmte Kunden sowie Vereinbarungen zwecks Verhinderung der Unterbietung der Preise des etablierten Lieferanten und Aufteilung der Kunden geschlossen worden (angefochtene Entscheidung, Erwägungsgründe 99 bis 125).

    Verfügender Teil der angefochtenen Entscheidung

    23 In Art. 1 Abs. 1 der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass acht Unternehmen, darunter Gütermann und Zwicky, dadurch gegen Art. 81 EG und gegen Art. 53 des EWR-Abkommens verstoßen hätten, dass sie sich, was Gütermann betrifft, in der Zeit von Januar 1990 bis September 2001 und, was Zwicky angeht, von Januar 1990 bis November 2000 an einer Reihe von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Markt für Industriegarne in den Benelux- und den...

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