Urteile nº T-123/07 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, March 03, 2011

Resolution DateMarch 03, 2011
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-123/07

In den verbundenen Rechtssachen T‑122/07 bis T‑124/07

Siemens AG Österreich mit Sitz in Wien (Österreich),

VA Tech Transmission & Distribution GmbH & Co. KEG mit Sitz in Wien,

Klägerinnen in der Rechtssache T‑122/07,

Siemens Transmission & Distribution Ltd mit Sitz in Manchester (Vereinigtes Königreich),

Klägerin in der Rechtssache T‑123/07,

Siemens Transmission & Distribution SA mit Sitz in Grenoble (Frankreich),

Nuova Magrini Galileo SpA mit Sitz in Bergamo (Italien),

Klägerinnen in der Rechtssache T‑124/07,

Prozessbevollmächtigte: H. Wollmann und F. Urlesberger, Rechtsanwälte,

gegen

Europäische Kommission, vertreten zunächst durch F. Arbault und O. Weber, sodann durch X. Lewis und A. Antoniadis und schließlich durch A. Antoniadis und R. Sauer als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen teilweiser Nichtigerklärung der Entscheidung K(2006) 6762 endg. der Kommission vom 24. Januar 2007 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/F/38.899 – Gasisolierte Schaltanlagen), hilfsweise, Herabsetzung der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová (Berichterstatterin), der Richterin K. Jürimäe und des Richters S. Soldevila Fragoso,

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2010

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

I – Die Klägerinnen und die VA-Tech-Gruppe

1 Die VA Technologie AG erwarb am 20. September 1998 eine Tochtergesellschaft von Rolls Royce, die Reyrolle Ltd, die danach zur VA Tech Reyrolle Ltd und sodann zur Siemens Transmission & Distribution Ltd, der Klägerin in der Rechtssache T‑123/07, wurde (im Folgenden: Reyrolle). Am 13. März 2001 brachte VA Technologie durch eine hundertprozentige Tochtergesellschaft, die VA Tech Transmission & Distribution GmbH & Co. KEG, die zweite Klägerin in der Rechtssache T‑122/07 (im Folgenden: KEG), Reyrolle in die neu gegründete Gesellschaft VA Tech Schneider High Voltage GmbH (im Folgenden: VAS) ein, an der sie durch ihre Tochtergesellschaft 60 % der Anteile und die Schneider Electric SA die restlichen Anteile hielt. Deren Einlage in VAS bestand in der Schneider Electric High Voltage SA, die später zur VA Tech Transmission & Distribution SA und dann zur Siemens Transmission & Distribution SA, der ersten Klägerin in der Rechtssache T‑124/07, wurde (im Folgenden: SEHV), und in der Nuova Magrini Galileo SpA, der zweiten Klägerin in der Rechtssache T‑124/07 (im Folgenden: Magrini), die zuvor ihre hundertprozentigen Tochtergesellschaften gewesen waren, wobei SEHV seit 1999 die früheren im Bereich Hochspannungsprodukte tätigen Sparten mehrerer Tochtergesellschaften von Schneider Electric zusammenfasste.

2 Im Oktober 2004 erwarb VA Technologie durch KEG sämtliche Anteile von Schneider Electric am Kapital von VAS.

3 Im Jahr 2005 erlangte die Siemens AG aufgrund eines öffentlichen Übernahmeangebots einer Tochtergesellschaft, nämlich der ersten Klägerin in der Rechtssache T‑122/07, der Siemens AG Österreich (im Folgenden: Siemens Österreich), die ausschließliche Kontrolle über die Unternehmensgruppe, deren Muttergesellschaft VA Technologie war (im Folgenden: VA-Tech-Gruppe). Im Anschluss an diese Übernahme wurden VA Technologie und sodann VAS mit Siemens Österreich verschmolzen.

II – Gasisolierte Schaltanlagen und Vorverfahren

4 Gasisolierte Schaltanlagen (im Folgenden: GIS) dienen zur Kontrolle des Energieflusses in Stromnetzen. Es handelt sich um schweres elektrisches Gerät, das ein wichtiger Bestandteil von schlüsselfertigen Umspannwerken ist. Umspannwerke sind Hilfskraftanlagen, in denen elektrischer Strom umgewandelt wird. Zu einem Umspannwerk gehören neben dem Transformator Steuersysteme, Relais, Akkumulatoren, Ladegeräte und Schaltanlagen. Die Schaltanlage soll den Transformator vor Überlast schützen und/oder den Stromkreis oder einen defekten Transformator isolieren.

5 Schaltanlagen können gasisoliert oder luftisoliert sein oder, wenn sie diese beiden Techniken miteinander kombinieren, eine hybride Isolierung haben. Sie werden weltweit als Bestandteile schlüsselfertiger Umspannwerke oder als gesondertes, dort erst noch einzubauendes Zubehör verkauft. Sie machen etwa 30 % bis 60 % der Gesamtkosten dieser Umspannwerke aus.

6 Am 3. März 2004 informierte die ABB Ltd die Kommission über das Bestehen wettbewerbswidriger Praktiken im GIS‑Bereich und beantragte mündlich, ihr eine Geldbuße auf der Grundlage der Mitteilung der Kommission vom 19. Februar 2002 über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung) zu erlassen.

7 Die von ABB offengelegten Praktiken bestanden in einer weltweiten Koordinierung des Verkaufs gasisolierter Schaltanlagen unter Aufteilung der Märkte, Zuteilung von Kontingenten und Erhaltung der jeweiligen Marktanteile, Zuteilung einzelner GIS-Projekte an ausgewählte Hersteller und Manipulation der Ausschreibungsverfahren für jene Projekte (Angebotsabsprache), um sicherzustellen, dass die festgelegten Hersteller den jeweiligen Vertrag erhielten, Festsetzung von Preisen durch komplexe Vereinbarungen für nicht zugeteilte GIS-Projekte, Beendigung von Lizenzvereinbarungen mit Nichtkartellmitgliedern und Austausch sensibler Marktinformationen.

8 Der mündliche Antrag von ABB auf Geldbußenerlass wurde durch mündliche Erklärungen und schriftliche Beweisstücke ergänzt. Am 25. April 2004 gewährte die Kommission ABB einen bedingten Geldbußenerlass.

9 Auf der Grundlage der Erklärungen von ABB leitete die Kommission eine Untersuchung ein und führte am 11. und 12. Mai 2004 Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der Areva T&D SA, der Siemens AG, der VA-Tech-Gruppe, der Hitachi Ltd und der Japan AE Power Systems Corp (im Folgenden: JAEPS) durch.

10 Am 30. Juli 2004 übermittelte die VA-Tech-Gruppe der Kommission einen Vermerk und Unterlagen sowie am 23. August 2004 weitere Erläuterungen.

11 Am 20. April 2006 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die 20 Gesellschaften, darunter die Klägerinnen, zugestellt wurde.

III – Angefochtene Entscheidung

12 Am 24. Januar 2007 erließ die Kommission die Entscheidung K(2006) 6762 endg. in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/F/38.899 – Gasisolierte Schaltanlagen) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Diese Entscheidung wurde den Klägerinnen am 7. oder 8. Februar 2007 zugestellt.

13 Außer an die Klägerinnen und Schneider Electric war die angefochtene Entscheidung gerichtet an ABB, die Alstom SA, die Areva SA, die Areva T&D AG, die Areva T&D Holding SA und die Areva T&D SA (im Folgenden zusammen: Gesellschaften der Areva-Gruppe), an die Fuji Electric Holdings Co., Ltd und die Fuji Electric Systems Co., Ltd (im Folgenden zusammen: Fuji), an die Hitachi Ltd und die Hitachi Europe Ltd (im Folgenden zusammen: Hitachi), sowie an JAEPS, die Mitsubishi Electric System Corp. (im Folgenden: Melco), Siemens und die Toshiba Corp.

14 In den Randnrn. 113 bis 123 der angefochtenen Entscheidung führte die Kommission aus, die am Kartell beteiligten Unternehmen hätten die weltweite Zuteilung von GIS-Projekten mit Ausnahme einiger Märkte nach vereinbarten Regeln koordiniert, um insbesondere Kontingente beizubehalten, die weitgehend ihren geschätzten historischen Marktanteilen entsprächen. Die Zuteilung der GIS-Projekte sei auf der Grundlage eines gemeinsamen „japanischen“ Gesamtkontingents und eines gemeinsamen „europäischen“ Gesamtkontingents vorgenommen worden, die sodann von den japanischen und den europäischen Herstellern jeweils untereinander aufgeteilt worden seien. Eine in Wien am 15. April 1988 unterzeichnete Vereinbarung („GQ-Agreement“, im Folgenden: GQ-Abkommen) habe die Regeln festgelegt, nach denen die GIS-Projekte den japanischen oder den europäischen Herstellern zuzuteilen und ihr Wert auf das jeweilige Kontingent anzurechnen gewesen seien. In den Randnrn. 124 bis 132 der angefochtenen Entscheidung legte die Kommission weiter dar, dass die einzelnen am Kartell beteiligten Unternehmen eine nicht schriftlich abgefasste Vereinbarung getroffen hätten (im Folgenden: „Übereinkunft“), nach der die GIS-Projekte in Japan einerseits und in den Ländern der europäischen Kartellmitglieder andererseits, die zusammen als die „Stammländer“ für die GIS-Projekte bezeichnet worden seien, den japanischen bzw. europäischen Mitgliedern des Kartells vorbehalten gewesen seien. Über die GIS-Projekte in den „Stammländern“ seien keine Informationen zwischen den beiden Gruppen ausgetauscht, und sie seien nicht auf die jeweiligen Kontingente angerechnet worden.

15 Das GQ-Abkommen habe des Weiteren Bestimmungen enthalten über den – insbesondere durch die Sekretariate der genannten Gruppen besorgten – Austausch der notwendigen Informationen über die Arbeitsweise des Kartells zwischen den beiden Herstellergruppen, die Manipulation der betreffenden Ausschreibungen und die Festsetzung von Preisen für die GIS-Projekte, die nicht hätten zugeteilt werden können. Ausweislich seines Anhangs 2 sei das GQ-Abkommen auf die ganze Welt mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, Kanadas, Japans und von 17 westeuropäischen Ländern anwendbar gewesen. Zudem seien nach der „Übereinkunft“ GIS-Projekte in anderen europäischen Ländern als den „Stammländern“ ebenfalls der europäischen Gruppe vorbehalten gewesen, da sich die japanischen Hersteller verpflichtet hätten, für GIS-Projekte in Europa keine Angebote abzugeben.

16 Den Ausführungen der Kommission zufolge war die Aufteilung der GIS-Projekte auf die europäischen Hersteller in einem ebenfalls in Wien am 15. April 1988 unterzeichneten Abkommen mit der Bezeichnung „E‑Group Operation Agreement for GQ‑Agreement“ (Abkommen der Gruppe E über die Durchführung des GQ-Abkommens, im Folgenden: EQ-Abkommen) geregelt. Die Zuteilung der in Europa durchzuführenden GIS-Projekte sei nach den gleichen Regeln...

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