Urteile nº T-233/09 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, March 22, 2011

Resolution DateMarch 22, 2011
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-233/09

In der Rechtssache T‑233/09

Access Info Europe mit Sitz in Madrid (Spanien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte O. W. Brouwer und J. Blockx,

Klägerin,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch C. Fekete und M. Bauer als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Hellenische Republik, vertreten durch E.‑M. Mamouna und K. Boskovits als Bevollmächtigte,

und

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch E. Jenkinson und S. Ossowski als Bevollmächtigte im Beistand von L. J. Stratford, Barrister,

Streithelfer,

betreffend eine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Rates vom 26. Februar 2009, mit der der Zugang zu bestimmten Informationen in einer Note vom 26. November 2008 zu einem Vorschlag für eine Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission verweigert worden ist,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi, der Richterin E. Cremona und des Richters S. Frimodt Nielsen (Berichterstatter),

Kanzler: N. Rosner, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2010

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen

1 Art. 255 EG bestimmt:

„(1) Jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat hat das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vorbehaltlich der Grundsätze und Bedingungen, die nach den Absätzen 2 und 3 festzulegen sind.

(2) Die allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung dieses Rechts auf Zugang zu Dokumenten werden vom Rat binnen zwei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam gemäß dem Verfahren des Artikels 251 festgelegt.

(3) Jedes der vorgenannten Organe legt in seiner Geschäftsordnung Sonderbestimmungen hinsichtlich des Zugangs zu seinen Dokumenten fest.“

2 In der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) sind die Grundsätze, die Voraussetzungen und die Grenzen des Rechts auf Zugang zu den Dokumenten dieser Organe nach Art. 255 Abs. 2 EG niedergelegt.

3 Art. 4 dieser Verordnung schreibt verschiedene Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu den Dokumenten des Parlaments, des Rates und der Kommission fest, das in ihrem Art. 2 zugunsten jedes Unionsbürgers sowie jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat niedergelegt ist.

4 Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 bestimmt insbesondere:

„Der Zugang zu einem Dokument, das von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, wird verweigert, wenn eine Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.“

5 Art. 207 Abs. 3 EG lautet:

„Der Rat gibt sich eine Geschäftsordnung.

Der Rat legt zur Anwendung des Artikels 255 Absatz 3 in seiner Geschäftsordnung die Bedingungen fest, unter denen die Öffentlichkeit Zugang zu Dokumenten des Rates erhält. Für die Zwecke dieses Absatzes bestimmt der Rat die Fälle, in denen davon auszugehen ist, dass er als Gesetzgeber tätig wird, damit in solchen Fällen umfassenderer Zugang zu den Dokumenten gewährt werden kann, gleichzeitig aber die Wirksamkeit des Beschlussfassungsverfahrens gewahrt bleibt. In jedem Fall werden, wenn der Rat als Gesetzgeber tätig wird, die Abstimmungsergebnisse sowie die Erklärungen zur Stimmabgabe und die Protokollerklärungen veröffentlicht.“

Sachverhalt

6 Mit E-Mail vom 3. Dezember 2008 beantragte die Klägerin, die Vereinigung Access Info Europe, gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 beim Rat der Europäischen Union, ihr zu einer von dessen Generalsekretariat an die von ihm eingesetzte Arbeitsgruppe „Information“ gerichtete Note vom 26. November 2008 Zugang zu gewähren, die den Vorschlag für eine Verordnung des Parlaments und des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Parlaments, des Rates und der Kommission (im Folgenden: angefordertes Dokument) betraf. In diesem Schriftstück waren die von verschiedenen Mitgliedstaaten in der Sitzung der Arbeitsgruppe vom 25. November 2008 übermittelten Abänderungs- und Neuformulierungsvorschläge zusammengefasst.

7 Mit E-Mail vom 17. Dezember 2008 gewährte der Rat der Klägerin teilweisen Zugang zum angeforderten Dokument. Die der Klägerin übermittelte Fassung enthielt die genannten Vorschläge, ohne jedoch eine Identifizierung des Mitgliedstaats, der den jeweiligen Vorschlag gemacht hatte, zu ermöglichen. Zur Begründung seiner Weigerung, diese Angabe mitzuteilen, verwies der Rat darauf, dass deren Verbreitung den Entscheidungsprozess ernstlich beeinträchtigen würde und an dieser Verbreitung kein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe, was die Anwendung der Ausnahme vom Recht auf Zugang zu den Dokumenten nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 erlaube.

8 Mit E-Mail vom 16. Januar 2009 stellte die Klägerin einen Zweitantrag nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001.

9 Mit Entscheidung vom 26. Februar 2009 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wiederholte der Rat durch sein Generalsekretariat seine Weigerung nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001, die Teile des angeforderten Dokuments offenzulegen, die eine Identifizierung der Mitgliedstaaten ermöglichten, die Urheber der verschiedenen auf der Sitzung der Arbeitsgruppe „Information“ vom 25. November 2008 mitgeteilten Vorschläge seien. Die angefochtene Entscheidung wurde der Klägerin auf einen von ihr gestellten Antrag zum Verfahrensstand mit E-Mail vom 3. April 2009 mitgeteilt. In dieser E-Mail wies der Rat zudem darauf hin, dass er der Klägerin eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung bereits in einem Schreiben vom 26. Februar 2009 mitgeteilt habe.

10 In der angefochtenen Entscheidung führt der Rat folgende Gründe an, um darzutun, dass die Offenlegung der Identität der Urheber der verschiedenen Abänderungsvorschläge seinen Entscheidungsprozess ernstlich beeinträchtigen würde und an ihr kein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe:

„Die Arbeitsgruppe ‚Information‘, die für den Vorschlag zuständige vorbereitende Dienststelle des Rates, ist mehrmals zusammengetreten, um eine erste Prüfung des Vorschlags [für eine Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten, der am 30. April 2008 von der Kommission vorgelegt wurde und gegenwärtig von den beiden Teilen des Gesetzgebungsorgans im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens beraten wird] durchzuführen. Im Rahmen dieser Beratungen haben Delegationen ihre vorläufigen Standpunkte zu den im Kommissionsvorschlag enthaltenen Änderungen dargelegt. Diese Beratungen befinden sich noch immer im Vorstadium, und eine Übereinstimmung von Ansichten oder Schlussfolgerungen zu den aufgeworfenen Fragen sind bislang nicht zu verzeichnen. Die im angeforderten Dokument enthaltenen schriftlichen Beiträge betreffen drei besonders sensible Fragen im Zusammenhang mit den Vorberatungen innerhalb des Rates, die bisher in der Arbeitsgruppe ‚Information‘ noch nicht im Einzelnen geprüft worden sind. In Anbetracht des frühen Stadiums des Entscheidungsprozesses, bei dem noch keine eingehenden Beratungen über die im angeforderten Dokument aufgeworfenen heiklen Fragen stattgefunden haben und sich in diesen Fragen noch keine klare Annäherung abgezeichnet hat, würde eine Nennung der Delegationen, von denen die im Dokument enthaltenen Vorschläge jeweils stammen, die Wirksamkeit des Entscheidungsprozesses des Rates dadurch beeinträchtigen, dass dessen Fähigkeit, zu einer Einigung in dieser Angelegenheit zu gelangen, in Frage gestellt würde, und insbesondere den Spielraum der Delegationen, im Rat zu einem Kompromiss zu kommen, einengen.

Die Gefahr einer ernstlichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses des Rates ist nämlich bei vernünftiger Betrachtung absehbar und nicht rein hypothetisch. Wenn während eines andauernden Entscheidungsprozesses die den schriftlichen Standpunkt von Delegationen über besonders sensible Fragen enthaltenden Schriftstücke vollumfänglich offengelegt werden müssten, würden sich manche Delegationen veranlasst sehen, ihre Standpunkte nicht mehr in schriftlicher Form vorzulegen, und sich stattdessen im Rat und in dessen vorbereitenden Gremien auf einen mündlichen Meinungsaustausch ohne das Erfordernis des Erstellens von Schriftstücken beschränken. Das würde der Wirksamkeit des internen Entscheidungsprozesses des Rates erheblich schaden, weil dadurch komplexe interne Beratungen über den vorgeschlagenen Rechtsakt erschwert würden, und zudem die Transparenz des Entscheidungsprozesses des Rates insgesamt ernstlich beeinträchtigen.

Der Rat hat das öffentliche Interesse an der Wirksamkeit seines internen Entscheidungsprozesses gegen das öffentliche Interesse an einer erhöhten Transparenz abgewogen, wodurch gewährleistet wird, dass die EU-Organe insbesondere bei ihrer Tätigkeit als Gesetzgeber größere Legitimität besitzen und gegenüber den Bürgern mehr Verantwortung zeigen. Aufgrund eben dieser Abwägung beschloss das Generalsekretariat auf Ihren Erstantrag hin, den Inhalt des angeforderten Dokuments freizugeben, dabei jedoch die Namen der jeweiligen Delegationen zu entfernen. Diese Möglichkeit erlaubt es einerseits den Bürgern, die Informationen, die die Grundlage des im Rat beratenen vorgeschlagenen Rechtsakts bilden, nach demokratischen Grundsätzen zu prüfen, und andererseits dem Rat, die Wirksamkeit seines Beschlussfassungsverfahrens nach der ausdrücklichen Regelung des Art. 207 Abs. 3 EG zu wahren.

Der Rat hat außerdem die Möglichkeit...

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