Beschlüsse nº T-114/06 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, July 20, 2006

Resolution DateJuly 20, 2006
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-114/06

„Öffentliche Aufträge – Gemeinschaftliches Ausschreibungsverfahren – Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – Fumus boni iuris – Dringlichkeit“

In der Rechtssache T‑114/06 R

Globe SA mit Sitz in Zandhoven (Belgien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt A. Abate,

Antragstellerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Wilderspin und G. Boudot als Bevollmächtigte,

Antragsgegnerin,

betreffend die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung der Kommission, mit der diese im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens für Lieferungen in bestimmte zentralasiatische Länder (EuropeAid/122078/C/S/Multi) das Angebot der Antragstellerin abgelehnt hat,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

folgenden

Beschluss

Sachverhalt und Verfahren

1 Die Globe SA erbringt Fachdienstleistungen für Netzbetreiber (Gas und Elektrizität) und die petrochemische Industrie. Sie hat ihre Haupttätigkeit, die Topographie, auf dreidimensionale Messungen (durch ein Laserscanverfahren), die Konvertierung von Messwerten (Globe DD) und computergestützte Entwürfe (computer‑aided design, im Folgenden: CAD) ausgedehnt.

2 2004 entwickelte die Antragstellerin auf dem Gebiet der Gaspipelines auf der Grundlage einer Software namens „SIG“ (système d’information géographique, geografisches Informationssystem) eine neue Version dieser Software mit dem Namen „Pipe Guardian“, die die Verwalter solcher Einrichtungen bei allen ihren Aufgaben unterstützt.

3 Am 20. Oktober 2005 veröffentlichte die Kommission eine Ausschreibung für das Projekt EuropeAid/122078/C/S/Multi betreffend die Lieferung eines Informationssystems für Pipeline-Netzwerke an Gasgesellschaften Mittelasiens (Kasachstan, Kirgisistan, Turkmenistan und Usbekistan). Dieser Auftrag ist Teil des TACIS-Programms 2002.

4 Vertragsgegenstand war es, im Rahmen eines einzigen Loses die Integration, die Konfiguration, die Lieferung und den Einbau von drei Gaspipelines betreffenden Informationssystemen, die Auftragserteilung und den Kundendienst für diese sowie entsprechende Anwenderprogramme und die diese betreffenden Nebendienstleistungen, d. h. die Weiterbildung und den Kundendienst, wie sie durch die technischen Spezifikationen in der Ausschreibung definiert waren, sicherzustellen.

5 Gemäß Punkt 1.1 der ausschließlich auf Englisch veröffentlichten Hinweise für die Bieter handelt es sich bei einem eine Gaspipeline betreffenden Informationssystem um ein Datenbanksystem zur Verwaltung der Daten jedes Baus und jeder Kontrolle eines Gaspipeline-Netzwerks und seiner geografischen Umgebung.

6 Die Kommission weist darauf hin, dass sie die Ausschreibung zwar selbst veröffentlicht, aber ein externes Büro, genauer einen Berater, mit der Aufgabe betraut habe, die materiellen Einzelheiten der Ausschreibung zu regeln.

7 Artikel 2 der Hinweise für die Bieter sah folgende Phasen vor:

– Frist für die Einreichung von Anträgen auf Klarstellung durch die Vergabestelle: 18. November 2005;

– Frist für die Veröffentlichung der Klarstellungen durch die Vergabestelle: 29. November 2005;

– Frist für die Abgabe von Angeboten: 5. Dezember 2005;

– Termin für die Sitzung zur Öffnung der Angebote: 8. Dezember 2005;

– TerTermin für die Benachrichtigung des erfolgreichen Bieters über die Auftragsvergabe: 16. Dezember 2005;

– Termin für die Vertragsunterzeichnung: 30. Dezember 2005.

8 Mit Schreiben an die Kommission vom 10. November 2005 stellte die Antragstellerin mehrere Fragen zu verschiedenen die Ausschreibung betreffenden Themen, u. a. zu der in den Verdingungsunterlagen vorgesehenen Anzahl von Tintenkartuschen (75 Kartuschen mit schwarzer und 25 Kartuschen mit farbiger Tinte). Die Antragstellerin wollte insbesondere wissen, ob diese Anzahl für jeden einzelnen in der Ausschreibung aufgeführten Drucker oder für den gesamten Vertrag vorgesehen sei.

9 Am 14. November 2005 veröffentlichte die Kommission ein Korrigendum Nr. 1, in dem als Frist für die Veröffentlichung von Klarstellungen durch die Vergabestelle der 24. November 2005 angegeben wurde.

10 Am 22. November 2005 veröffentlichte die Kommission eine Reihe von Klarstellungen, von denen sich eine, die Nummer 23, auf die Anzahl der von der Ausschreibung betroffenen Tintenkartuschen bezog und klarstellte, dass die Zahl von 75 und von 25 Tintenkartuschen für jeden Drucker vorgesehen sei. Die Kommission erläuterte dabei auch, dass die Angebote auf 16 Drucker auszurichten seien.

11 Am 24. November 2005 veröffentlichte die Kommission ein Korrigendum Nr. 2, in dem sie darauf hinwies, dass die genaue Anzahl der Tintenkartuschen 5 Kartuschen mit schwarzer und 2 Kartuschen mit farbiger Tinte betrage.

12 Die IGN France international (im Folgenden: IGN) gab ihr Angebot am 2. Dezember 2005 ab, also acht Tage nach der Veröffentlichung des Korrigendums Nr. 2. Dieses Angebot ging von insgesamt 1 600 Tintenkartuschen aus, 1 200 Kartuschen mit schwarzer Tinte (also 75 Kartuschen für jeden der 16 Drucker) und 400 Kartuschen mit farbiger Tinte (also 25 Kartuschen für jeden der 16 Drucker).

13 Die Antragstellerin gab ihr Angebot am 5. Dezember 2005 ab und berücksichtigte die Hinweise des Korrigendums Nr. 2.

14 Die beiden anderen Bieter, Asia Soft und Geomagic, gaben ebenfalls Angebote ab, in denen die Hinweise berücksichtigt wurden, die die Kommission in ihrem Korrigendum Nr. 2 gegeben hatte.

15 Gemäß Punkt 20.6 der Hinweise für die Bieter war der Preis das einzige Kriterium für die Vergabe des Auftrags und sollte der Auftrag dem Bieter mit dem günstigsten ordnungsgemäßen Angebot erteilt werden.

16 Die öffentliche Sitzung zur Öffnung der Angebote durch den Bewertungsausschuss fand wie vorgesehen am 8. Dezember 2005 statt. Dabei wurde festgestellt, dass die vier Bieter folgende Angebote abgegeben hatten:

– Globe: 545 215 Euro,

– IGN: 592 400 Euro,

– Asia Soft: 865 143 Euro,

– Geomagic: 934 964 Euro.

17 Die Kommission vergab den Auftrag an IGN. Der Vertrag wurde am 19. Dezember 2005 von der Kommission und am 30. Dezember 2005 von IGN unterzeichnet, ohne dass dies der Antragstellerin mitgeteilt worden wäre.

18 Mit Schreiben vom 6. Januar sowie vom 1. und 3. Februar 2006 wandten sich die Antragstellerin und ihr Rechtsanwalt an die Kommission, um sich nach dem Fortgang des Ausschreibungsverfahrens zu erkundigen.

19 Mit Schreiben vom 1. März 2006 wies die Kommission den Anwalt der Antragstellerin auf Folgendes hin:

„… Zwar wurde in der öffentlichen Sitzung zur Öffnung der Angebote festgestellt, dass das Angebot von Globe das günstigste sei, aber danach stellte sich heraus, dass sich das Angebot eines anderen Bieters auf die Mengenangaben der ursprünglichen Veröffentlichung im Amtsblatt und nicht auf die des auf der Website von EuropeAid veröffentlichten Korrigendums bezog. Da dieses Korrigendum verspätet veröffentlicht wurde und die potenziellen Bieter nur sehr wenig Zeit hatten, davon Kenntnis zu nehmen, und da es bei einer Ausschreibung für Anlagen nicht möglich ist, die potenziellen Bieter im Voraus zu identifizieren, hat der Bewertungsausschuss beschlossen, dieses Angebot zu berücksichtigen und auf der Grundlage der in dem auf der Website veröffentlichten Korrigendum genannten Mengen die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen. Infolge dieser Anpassungen (Verringererung der Mengen und folglich Senkung des Gesamtpreises) ergab sich, dass das Angebot von Globe nicht das günstigste war. Der Auftrag wurde daher an [IGN] vergeben.“

20 Mit Schreiben vom 2. März 2006 (im Folgenden: streitige Entscheidung) wies die Kommission die Antragstellerin darauf hin, dass ihr Angebot nicht das günstigste ordnungsgemäße Angebot sei und dass sie den Auftrag zu einem Preis von 531 600 Euro an IGN vergeben habe.

21 Auf ein Schreiben des Rechtsanwalts der Antragstellerin vom 6. März 2006 hin übermittelte die Kommission am 17. März 2006 eine Kopie des vom Bewertungsausschuss erstellten Bewertungsberichts. In diesem Bericht führt der Bewertungsausschuss unter der die technische Übereinstimmung der Angebote mit der Ausschreibung betreffenden Rubrik in Bezug auf IGN im Wesentlichen aus, dass das Angebot auf Antrag der Vergabestelle auf der Grundlage der durch das Korrigendum Nr. 2 geänderten Anzahl von Tintenkartuschen habe neu berechnet werden müssen und entsprechend geändert worden sei. Unter derselben Rubrik bestätigte der Bewertungsausschuss außerdem auch, dass das überarbeitete Angebot und die Auftragsbestätigung binnen 24 Stunden per E-Mail und per Fax eingegangen seien.

22 Am 14. April 2006 hat die Antragstellerin beim Gericht Nichtigkeitsklage erhoben, mit der sie die Rechtswidrigkeit der streitigen Entscheidung geltend macht.

23 Am selben Tag hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, in dem sie im Wesentlichen beantragt, den Vollzug der streitigen Entscheidung auszusetzen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

24 Am 27. April 2006 hat die Kommission zum Antrag auf einstweilige Anordnung Stellung genommen und beantragt, diesen Antrag abzuweisen und der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen.

25 Am 16. Mai 2006 hat eine mündliche Anhörung der Beteiligten stattgefunden.

Rechtliche Würdigung

26 Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung müssen die Anträge auf einstweilige Anordnung den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen (Fumus boni iuris). Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen ist, sofern eine von ihnen fehlt (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 14. Oktober 1996 in der Rechtssache C‑268/96 P [R], SCK und FNK/Kommission, Slg. 1996, I‑4971, Randnr. 30). Der Richter der einstweiligen Anordnung nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor (vgl. Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 23. Februar 2001 in der Rechtssache C‑445/00...

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