Urteile nº T-169/00 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, February 26, 2002

Resolution DateFebruary 26, 2002
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-169/00

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

26. Februar 2002 (1) „Öffentlicher Dienstleistungsauftrag - Verwaltung einer Kinderkrippe - Diskriminierungsverbot - Bekanntmachung eines Auftrags - Lastenheft - Entscheidung über die Nichtvergabe - Befugnismissbrauch“

In der Rechtssache T-169/00

Esedra SPRL mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. Vandersanden, E. Gillet und L. Levi, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch X. Lewis und L. Parpala, dann durch H. van Lier und L. Parpala als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Aufhebung der der Klägerin mit Schreiben vom 31. Mai 2000 mitgeteilten Entscheidung der Kommission, den öffentlichen Auftrag Nr. 99/52/IX.D.1 nicht an die Klägerin zu vergeben, und der der Klägerin mit Schreiben vom 9. Juni 2000 mitgeteilten Entscheidung der Kommission, diesen Auftrag an eine von der Centro Studi Antonio Manieri Srl vertretene Bietergemeinschaft italienischer Unternehmen zu vergeben, sowie wegen Ersatzes des durch diese Entscheidungen angeblich verursachten Schadens,

erlässtDAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin P. Lindh sowie der Richter R. García-Valdecasas und J. D. Cooke,

Kanzler: B. Pastor, Hauptverwaltungsrätin

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2001,

folgendes

Urteil

1.
Die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge durch die Kommission richtet sich nach Abschnitt I (Artikel 56 bis 64a) des Titels IV der Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 356), zum maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch die Verordnung (EG, EGKS, Euratom) Nr. 2673/1999 des Rates vom 13. Dezember 1999 (ABl. L 326, S. 1), die am 1. Januar 2000 in Kraft getreten ist (nachfolgend: Haushaltsordnung).

2.
In Artikel 56 der Haushaltsordnung heißt es:

„Bei der Vergabe von Aufträgen, deren Volumen die in den Richtlinien des Rates zur Koordinierung der Verfahren für die Vergabe von öffentlichen Bau- und Lieferaufträgen festgesetzten Beträge erreicht oder übersteigt, muss jedes Organ den Verpflichtungen nachkommen, die sich für die Behörden der Mitgliedstaaten aus diesen Richtlinien ergeben. Die ... Durchführungsbestimmungen enthalten die dazu erforderlichen Vorschriften.“

3.
Artikel 139 der Haushaltsordnung sieht vor:

„Die Kommission erlässt im Benehmen mit dem Europäischen Parlament und dem Rat nach Stellungnahme der übrigen Organe die Durchführungsbestimmungen zu dieser Haushaltsordnung.“

4.
Dementsprechend hat die Kommission die Verordnung (Euratom, EGKS, EG) Nr. 3418/93 vom 9. Dezember 1993 mit Durchführungsbestimmungen zu einigen Vorschriften der Haushaltsordnung (ABl. L 315, S. 1, nachfolgend: Durchführungsbestimmungen zur Haushaltsordnung) erlassen. Deren Artikel 97 bis 105 und 126 bis 129 sind auf die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge anwendbar. Insbesondere bestimmt Artikel 126:

„Bei der Auftragsvergabe durch die Organe finden die Ratsrichtlinien über öffentliche Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge Anwendung, sobald die Auftragsbeträge die in diesen Richtlinien festgesetzten Schwellen erreichen oder überschreiten.“

5.
Einschlägig ist hier die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 (ABl. L 328, S. 1), deren Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a eine Schwelle von 200 000 Euro für öffentliche Dienstleistungsaufträge vorsieht, die u. a. Dienstleistungen im Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen zum Gegenstand haben.

Sachverhalt

6.
1994 beschloss die Kommission, die Verwaltung der Kleinkindertagesstätte Clovis (nachfolgend: KKT Clovis), die sich in ihren Räumlichkeiten am Boulevard Clovis in Brüssel befindet, einer privaten Gesellschaft zu übertragen. Die KKT Clovis umfasst eine Kinderkrippe und einen Kindergarten, die den Kindern der Bediensteten der Europäischen Organe offen stehen. Nach einer Ausschreibung vergab die Kommission diesen Auftrag an zwei italienische Gesellschaften, Aristea und Cooperativa italiana di ristorazione. Die Verwaltung der KKT Clovis wurde anschließend der von

er von den beiden genannten Gesellschaften gegründeten Klägerin übertragen. Der Vertrag über die Verwaltung wurde zunächst für eine Dauer von zwei Jahren ab 1. August 1995 geschlossen, wobei die Möglichkeit vorgesehen war, ihn dreimal jeweils um ein Jahr zu verlängern.

7.
Mit Schreiben vom 15. April 1999 teilte die Klägerin der Kommission ihre Entscheidung mit, nicht um eine Verlängerung des Vertrages für das Jahr 1999/2000 zu ersuchen.

8.
Am 26. Mai 1999 veröffentlichte die Kommission gemäß der Richtlinie 92/50 im Supplement zum Amtsblatt eine erste Ausschreibung (Bekanntmachung Nr. 99/S 100-68878/FR, ABl. S 100, S. 35) für die Verwaltung der KKT Clovis. Die entsprechenden Dienstleistungen fallen unter die Kategorie 25 „Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen“ des Anhangs I B der Richtlinie 92/50. Drei Unternehmen, darunter die Klägerin und die Centro Studi Antonio Manieri Srl (nachfolgend: Manieri), bewarben sich.

9.
Mit Schreiben vom 2. Juli 1999 teilte die Kommission der Klägerin ihre Entscheidung mit, den Auftrag zur Verwaltung der KKT Clovis nicht im Rahmen des am 26. Mai 1999 eingeleiteten Verfahrens zu vergeben, weil „für eine vergleichende Beurteilung nicht genug Bewerbungen eingegangen“ seien.

10.
Am 10. Juli 1999 veröffentlichte die Kommission eine neue Ausschreibung für die Verwaltung der KKT Clovis (Bekanntmachung Nr. 99/S 132-97515/FR, ABl. S 132). Diese Ausschreibung hatte den gleichen Wortlaut wie die erste und enthielt u. a. den Hinweis, dass den Zuschlag „das wirtschaftlich vorteilhafteste Angebot unter Berücksichtigung des angebotenen Preises und der Qualität der angebotenen Dienstleistungen (nähere Angaben siehe Lastenheft)“ erhalten werde. Sieben Unternehmen, darunter die Klägerin und Manieri, bewarben sich.

11.
Die Bewerbungen wurden am 28. Oktober 1999 von einem aus vier Beamten der Kommission bestehenden Bewertungsgremium (nachfolgend: Gremium zur Bewertung der Bewerbungen) geprüft. Die sieben Bieterunternehmen wurden ausgewählt.

12.
Am 29. Oktober gab die Kommission das Lastenheft an diese sieben Unternehmen aus. Es galten folgende Vergabekriterien:

„7. Vergabekriterien:

Der Auftrag wird auf das wirtschaftlich günstigste und beste Angebot vergeben, wobei Folgendes berücksichtigt wird:

- die angebotenen Preise und

- die Qualität des Angebots und der vorgeschlagenen Dienstleistungen, wobei die Bewertung in absteigender Reihenfolge nach Maßgabe folgender Gesichtspunkte erfolgt:

a) der Wert des pädagogischen Vorhabens (40 %)

b) die Maßnahmen und die Mittel, die eingesetzt werden, um vom Arbeitsplatz fernbleibendes Personal zu ersetzen (30 %)

c) die für die Kontrolle in den folgenden Punkten vorgeschlagenen Kontrollmethoden und -mittel (30 %):

- die Qualität der Dienstleistung und der Verwaltung;

- die Erhaltung der Beständigkeit des Personalbestands;

- die Durchführung des pädagogischen Vorhabens.“

13.
Das Lastenheft wurde durch das Protokoll der Ortsbesichtigung und der obligatorischen Informationsveranstaltung vom 24. und 25. November 1999 ergänzt (nachfolgend: Lastenheft).

14.
Bei Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist am 7. Februar 2000 hatten vier Unternehmen, darunter die Klägerin und Manieri, ein Angebot eingereicht.

15.
Am 14. Februar 2000 wurden die betreffenden Angebote geöffnet. Anschließend bat die Kommission die Bieter um zusätzliche Informationen. So erhielt und beantwortete die Klägerin drei Ersuchen der Kommission vom 25. Februar, vom 29. Februar und vom 17. März 2000. Manieri erhielt fünf Ersuchen der Kommission vom 25. Februar (zwei Ersuchen), vom 29. Februar, vom 3. März und vom 10. März 2000, auf die sie am 10. und am 14. März 2000 antwortete.

16.
Die Angebote wurden von drei Bewertungsausschüssen geprüft.

17.
Erstens wurden die betreffenden Angebote im Hinblick auf das Kriterium der Qualität von einem aus sechs Vertretern der Kommission und einem Vertreter der Elternvereinigung bestehenden Bewertungsausschuss untersucht (nachfolgend: Ausschuss zur qualitativen Bewertung). Der Ausschuss zur qualitativen Bewertung erstattete seinen Bericht am 5. April 2000. Nach diesem Bericht liegt das Angebot von Manieri an erster Stelle vor dem der Klägerin.

18.
Zweitens wurden die von den vier Bietern eingereichten Angebote von Beamten der Kommission im Hinblick auf das Kriterium des Preises bewertet (nachfolgend: Ausschuss zur Preisbewertung). Der Ausschuss zur Preisbewertung stellte eine Tabelle zur finanziellen Bewertung der Angebote auf, nach der sich das Angebot von Manieri an zweiter Stelle vor dem der Klägerin befindet.

19.
Drittens wurden der Bericht des Ausschusses zur qualitativen Bewertung und die genannte Tabelle zur finanziellen Bewertung von einem Ausschuss geprüft, der aus sechs Personen bestand, von denen fünf in ihrer Eigenschaft als Beamte der Kommission und die sechste in ihrer Eigenschaft als Vertreter der Elternvereinigung benannt worden waren (nachfolgend: Ausschuss zur Bewertung der Angebote). Dieser Ausschuss gab seine Abschlussbewertung am 7. April 2000 bekannt. Diese Bewertung nimmt das Fazit des Ausschusses zur qualitativenBewertung und des Ausschusses zur Preisbewertung auf und kommt zu dem Ergebnis, dass das Angebot von Manieri das wirtschaftlich günstigste und qualitativ beste sei.

20.
Im Anschluss an diese Prüfung und nach befürwortender Stellungnahme des Vergabebeirats vom 30. Mai 2000 vergab die Kommission den betreffenden Auftrag an eine...

To continue reading

Request your trial

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT