Urteile nº T-231/99 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, March 21, 2002

Resolution DateMarch 21, 2002
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-231/99

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

21. März 2002 (1) „Wettbewerb - Bierlieferungsverträge - Einzelfreistellung - Artikel 81 Absatz 3 EG“

In der Rechtssache T-231/99

Colin Joynson, wohnhaft in Manchester (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: B. Bedford, Barrister, sowie S. Ferdinand, J. Kelly, A. Oliver, E. Bonner-Evans, T. Malyn und M. Noble, Solicitors,

Kläger,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Wiedner als Bevollmächtigten im Beistand von N. Khan, Barrister, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Bass plc mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: M. Farquharson, J. Block und N. Green, Solicitors, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferin,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 1999/473/EG der Kommission vom 16. Juni 1999 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag (Sache IV/36.081/F3 - Bass) (ABl. L 186, S. 1) erlässtDAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi sowie der Richter K. Lenaerts und M. Jaeger,

Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2001,

folgendes

Urteil(2)

Sachverhalt

1.
Bass plc (im Folgenden: Bass) ist eine an der Londoner Börse notierte Gesellschaft. Die Bass-Gruppe ist ein internationaler Konzern, der im Hotel-, Freizeit/Gaststätten-, Getränke- und Brauereibereich in Europa, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern tätig ist.

2.
Im Juni 1996 gehörten der Bass-Gruppe etwa 4 182 Schankbetriebe im Vereinigten Königreich, von denen 2 736 von Angestellten der Brauerei geführt wurden, während 1 446 an Wirte verpachtet waren. Im März 1997 hatte die Bass-Gruppe insgesamt 1 430 Lokale verpachtet, von denen sich 106 in Schottland befanden. Von diesen 1 430 Lokalen waren 1 186 auf der Grundlage eines Musterpachtvertrags verpachtet, 178 aufgrund eines widerruflichen Pachtvertrags (tenancy at will) und 42 aufgrund eines kurzfristigen Pachtvertrags (foundation agreement); die restlichen 24 Betriebe waren entweder nach anderen Vertragsformen verpachtet oder nicht bewirtschaftet.

3.
Im Laufe des Jahres 1998 verkaufte die Bass-Gruppe den größten Teil ihrer Pachtbetriebe und behielt nur etwas mehr als 20 Schankstätten.

4.
Die Vertragsbeziehungen zwischen der Bass-Gruppe und den an sie gebundenen Wirten beruhten in den meisten Fällen auf einem Musterpachtvertrag, nach dem ein Unternehmen der Bass-Gruppe dem Wirt ein voll ausgestattetes Lokal mit Schankerlaubnis zur Verfügung stellte, die dieser zu betreiben hatte; als Gegenleistung bezahlte er einen Pachtzins und verpflichtete sich, die im Vertrag aufgeführten Biere von Bass oder einem von Bass benannten Lieferanten zu beziehen.

5.
Der Musterpachtvertrag enthielt damit eine Alleinbezugsverpflichtung und ein Wettbewerbsverbot.

6.
Durch die Alleinbezugsverpflichtung waren die gebundenen Wirte gezwungen, die im Vertrag aufgeführten Biere ausschließlich bei ihrem Vertragspartner oder einem von diesem benannten Lieferanten zu beziehen; nach einer als „Guest Beer Provision“ bezeichneten nationalen Regelung hatten sie allerdings die Möglichkeit, ein Bier von einer anderen Brauerei zu beziehen.

7.
Aufgrund des Wettbewerbsverbots war es den gebundenen Wirten untersagt, Biere einer Vertragsbiersorte, die nicht von ihrem Vertragspartner oder einem von diesem benannten Lieferanten geliefert worden waren, oder andere Biere, die nicht in Flaschen, Dosen oder sonstigen Kleinpackungen abgefüllt waren, in ihren Lokalen zu verkaufen oder zum Verkauf auszustellen oder sie zum Zwecke des Verkaufs in ihre Lokale zu verbringen, sofern nicht der Verkauf dieses anderes Bieres vom Fass üblich oder durch eine ausreichende Nachfrage der Kunden gerechtfertigt war.

Verwaltungsverfahren

8.
Im Februar 1995 führte das Office of Fair Trading (im Folgenden: OFT) im Auftrag der Kommission eine Erhebung über die Großhandelspreispolitik der britischen Brauereien durch. Im Anschluss an diese Erhebung, von der auch Bass betroffen war, legte das OFT im Mai 1995 einen Bericht mit dem Titel „Erhebungüber die Großhandelspreispolitik der britischen Brauereien“ vor und veröffentlichte am 16. Mai 1995 eine Pressemitteilung hierzu.

9.
Am 11. Juni 1996 meldeten die Bass Holdings Ltd und die The Bass Lease Company Ltd, beide hundertprozentige Tochtergesellschaften von Bass, nach Artikel 4 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), einen Musterpachtvertrag an, der die Verpachtung einer voll ausgestatteten Schankwirtschaft mit Schankerlaubnis in England und Wales zum Gegenstand hatte. Sie beantragten die Erteilung eines Negativattests oder die Bestätigung, dass für die Pachtverträge rückwirkend ab Vertragsschluss die Gruppenfreistellung nach der Verordnung (EWG) Nr. 1984/83 der Kommission vom 22. Juni 1983 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Alleinbezugsvereinbarungen (ABl. L 173, S. 5) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1582/97 der Kommission vom 30. Juli 1997 (ABl. L 214, S. 27) oder eine Einzelfreistellung nach Artikel Artikel 81 Absatz 3 EG in Anspruch genommen werden kann. Titel II der Verordnung Nr. 1984/83 enthält besondere Vorschriften für Bierlieferungsverträge.

10.
Die Kommission vervollständigte die in der Anmeldung enthaltenen Angaben durch eine Nachprüfung in den Geschäftsräumen von Bass gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und durch eine Reihe von Auskunftsersuchen. Insbesondere verlangte die Kommission eine Bestätigung der Angaben, die ihr von Bass vorgelegt worden waren.

11.
Nach Veröffentlichung einer Mitteilung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17, in der die Kommission ihre Absicht kundtat, die fragliche Vereinbarung nach Artikel 81 Absatz 3 EG rückwirkend vom Kartellverbot freizustellen, gingen bei der Kommission 20 Stellungnahmen von betroffenen Dritten ein. 16 dieser Stellungnahmen waren nach einem Muster einer Interessenvereinigung von gebundenen Wirten verfasst. Die Kommission erhielt außerdem Schreiben von drei anderen gebundenen Wirten und von einem Wirtschaftsprüfer.

12.
Die Kommission erließ daraufhin die Entscheidung 1999/473/EG vom 16. Juni 1999 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag (Sache IV/36.081/F3 - Bass) (ABl. L 186, S. 1, im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Sie stellte darin fest, dass der angemeldete Musterpachtvertrag unter Artikel 81 Absatz 1 EG fiel, erklärte jedoch diese Bestimmung gemäß Artikel 81 Absatz 3 EG für den Zeitraum vom 1. März 1991 bis zum 31. Dezember 2002 für nicht anwendbar.

13.
Der Kläger Joynson betrieb seit Juli 1992 aufgrund eines nach dem Musterpachtvertrag geschlossenen Vertrages eine Schankwirtschaft in Bolton (Vereinigtes Königreich), die Bass Holdings gehörte. Der Vertrag wurde beendet, als diese das Lokal im Februar 1998 verkaufte. Der Kläger Joynson hat imVerwaltungsverfahren eine Stellungnahme auf die Mitteilung der Kommission gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 abgegeben.

Verfahren und Anträge der Parteien

14.
Der Kläger hat am 12. Oktober 1999 die vorliegende Klage erhoben.

15.
Mit Beschluss vom 13. April 2000 hat der Präsident der Dritten Kammer des Gerichts dem Kläger Prozesskostenhilfe gewährt.

16.
Mit Beschluss vom 4. Juli 2000 hat der Präsident der Dritten Kammer des Gerichts Bass als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen.

17.
Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Die Verfahrensbeteiligten haben in der Sitzung vom 26. April 2001 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

18.
Der Kläger beantragt,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

- der Kommission und Bass die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

19.
Die Kommission, die von Bass unterstützt wird, beantragt,

- die Klage als unbegründet abzuweisen;

- dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit

20.
Die Kommission und Bass bezweifeln das Rechtsschutzinteresse und die Klagebefugnis des Klägers.

1. Zum Rechtsschutzinteresse

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

[21]

22.
Der Kläger ist der Auffassung, er verfüge über ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse.

Würdigung durch das Gericht

23.
Eine natürliche oder juristische Person muss ein bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung nachweisen (Urteil des Gerichts vom 17. September 1992 in der Rechtssache T-138/89, NBV und NVB/Kommission, Slg. 1992, II-2181, Randnr. 33).

24.
Aus den Unterlagen, die der Kläger im Verfahren vorgelegt hat, und aus den bei ihm und bei der Streithelferin eingeholten Auskünften ergibt sich, dass der Kläger bei den englischen Gerichten gegen Bass Klage auf Ersatz der Schäden erhoben hat, die er angeblich dadurch erlitten habe, dass ihm durch den von der Kommission mit der angefochtenen Entscheidung freigestellten Musterpachtvertrag Verpflichtungen auferlegt worden seien, die Artikel 81 EG zuwiderliefen; diese Klage ist noch rechtshängig.

25.
Damit hat der Kläger trotz der Kündigung des Pachtvertrags ein materielles und immaterielles Interesse an der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits.

2. Zur Klagebefugnis

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

[26 und 27]

Würdigung durch das Gericht

28.
Nach ständiger Rechtsprechung können andere Rechtssubjekte als die Adressaten einer Entscheidung nur dann geltend machen, individuell im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG betroffen zu sein, wenn diese Entscheidung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder...

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