Urteile nº T-98/00 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, October 17, 2002

Resolution DateOctober 17, 2002
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-98/00

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte erweiterte Kammer)

17. Oktober 2002(1) „Staatliche Beihilfe - Begriff - Vorteil - Normales Handelsgeschäft - Marktwirtschaftlich orientierter Wirtschaftsteilnehmer“

In der Rechtssache T-98/00

Linde AG, Wiesbaden (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H.-J. Rabe und G. Berrisch,

Klägerin,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten im Beistand der Rechtsanwälte J. Sedemund und T. Lübbig,

Streithelferin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou und K.-D. Borchardt als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Teilnichtigerklärung der Entscheidung 2000/524/EG der Kommission vom 18. Januar 2000 über staatliche Beihilfen Deutschlands zugunsten von Linde AG (ABl. L 211, S. 7) erlässtDAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. D. Cooke, des Richters R. García-Valdecasas, der Richterin P. Lindh sowie der Richter N. J. Forwood und H. Legal,

Kanzler: D. Christensen, Verwaltungsrätin

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2002,

folgendes

Urteil

Sachverhalt und Verfahren

1.
Die Klägerin ist ein deutsches Unternehmen, das Industriegase produziert und vertreibt. Sie verfügt u. a. über eine Produktionseinheit in Leuna (Land Sachsen-Anhalt).

2.
Mit Vertrag vom 22. April 1993 (im Folgenden: Privatisierungsvertrag vom 22. April 1993) veräußerte die Treuhandanstalt (die Anstalt des öffentlichen Rechts, deren Aufgabe es war, die Betriebe der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zu verwalten, umzustrukturieren und zu privatisieren, im Folgenden: THA) die Betriebsteile Amine und Dimethylformamid der Leuna Werke AG (der Rechtsvorgängerin der Leuna-Werke GmbH, im Folgenden: LWG), eines Unternehmens mit Sitz in Leuna, an die UCB Chemie GmbH (im Folgenden: UCB), ein deutsches Tochterunternehmen des Konzerns Union chimique belge.

3.
Zu diesem Vertrag gehörte eine Reihe von Zusatzabkommen, darunter ein Vertrag vom 22. April 1993, mit dem sich die THA und LWG verpflichteten, UCB über einen auf unbestimmte Zeit verlängerbaren Zeitraum von zehn Jahren zum Marktpreis mit Kohlenmonoxid zu beliefern, einem Gas, das bei der Amin- und Dimethylformamidproduktion verwendet wird (im Folgenden: Liefervertrag vom 22. April 1993). Dieser Vertrag konnte gemäß seinem Artikel 6.4 von LWG in zwei Fällen gekündigt werden, zum einen dann, wenn UCB einen alternativen Liefervertrag zu „vergleichbaren Bedingungen“ mit einem dritten Hersteller abschließen sollte, und zum anderen dann, wenn UCB eine eigene Kohlenmonoxid-Produktionsanlage errichten sollte. Für letzteren Fall verpflichtete sich die THA, einen „Investitionszuschuss“ von bis zu 5 Millionen DM an UCB zu leisten.

4.
LWG und der THA entstanden durch die Durchführung des Liefervertrags vom 22. April 1993 hohe Verluste, die sich auf rund 3,5 Millionen DM jährlich beliefen. Die Kohlenmonoxid-Produktionsanlagen, die sie zu diesem Zweck betrieben, waren nämlich besonders veraltet und verursachten hohe Kosten. Da UCB die Möglichkeit ausgeschlossen hatte, eine eigene Anlage zu errichten, und es in Leuna keinen anderen Kohlenmonoxid-Hersteller gab, konnte LWG diesen Vertrag nicht nach seinem Artikel 6.4 kündigen. LWG und die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (im Folgenden: BvS), die Nachfolgeorganisation der THA, suchten deshalb ein Unternehmen, das bereit war, eine Anlage zur Herstellung von Kohlenmonoxid zu errichten und zu betreiben und die langfristige Belieferung von UCB an ihrer Stelle zu besorgen.

5.
Die BvS, LWG, UCB und die Klägerin trafen deshalb im Juni 1997 eine Vereinbarung, mit der sich die Klägerin verpflichtete, innerhalb von 18 Monaten eine Kohlenmonoxid-Produktionsanlage zu errichten, sie in ihre in Leuna bestehende Wasserstoff-Produktionsanlage zu integrieren, diese Anlage zu betreiben und die UCB mit Kohlenmonoxid zu beliefern (im Folgenden: Vereinbarung vom Juni 1997). Auch diese Vereinbarung sah die Zahlung eines „Investitionszuschusses“, und zwar in Höhe von 9 Millionen DM, vor, der von der BvS und LWG an die Klägerin zu zahlen war (im Folgenden: streitiger Zuschuss), wobei die Klägerin den Rest der gesamten Investitionskosten, nämlich 3,586 Millionen DM, tragen sollte. Außerdem sah die Vereinbarung vor, dass mit Aufnahme der Belieferung von UCB mit Kohlenmonoxid durch die Klägerin, spätestens jedoch 18 Monate nach Abschluss des Kohlenmonoxid-Liefervertrags durch diese beiden Unternehmen (siehe unten, Randnr. 6) bzw. dieser Vereinbarung der Liefervertrag vom 22. April 1993 erlischt.

6.
Gleichzeitig mit dem Wirksamwerden der Vereinbarung vom Juni 1997 wurde ein von der Klägerin mit UCB geschlossener Kohlenmonoxid-Liefervertrag mit fünfzehnjähriger Laufzeit wirksam, der jeweils um fünf Jahre verlängerbar war (im Folgenden: Liefervertrag von 1997). Nach Artikel 2.2 der Vereinbarung ist dieser Liefervertrag „als vergleichbarer Vertrag im Sinne von Artikel 6.4 i) [des Liefervertrags vom 22. April 1993] anzusehen“. Im Oktober 1998 nahm die Klägerin die Belieferung von UCB mit Kohlenmonoxid gemäß dem Liefervertrag von 1997 auf.

7.
Nach einem Treffen mit den deutschen Behörden am 15. Mai 1998 stellte die Kommission diesen Fragen zu dem streitigen Zuschuss. Die deutschen Behörden antworteten mit Schreiben vom 7. August 1998. Mit Schreiben vom 18. September 1998 forderte die Kommission bei ihnen zusätzliche Informationen an, die ihr mit Schreiben vom 3. Dezember 1998 erteilt wurden.

8.
Mit Schreiben vom 30. März 1999 teilte die Kommission der deutschen Regierung ihren Beschluss über die Einleitung des Verfahrens nach Artikel 88 Absatz 2 EG mit und forderte sie auf, sich dazu zu äußern und bestimmte Fragen zu beantworten. Die Beteiligten wurden durch die Veröffentlichung dieses Schreibens im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 10. Juli 1999 (ABl. C 194, S. 14) über die Einleitung dieses Verfahrens unterrichtet und aufgefordert, etwaige Stellungnahmen zu übermitteln. Die deutsche Regierung übermittelte ihre Äußerung und ihre Antworten auf die gestellten Fragen mit Schreiben vom 25. Mai 1999. Kein Beteiligter reagierte auf die Veröffentlichung.

9.
Am 18. Januar 2000 erließ die Kommission die Entscheidung 2000/524/EG über staatliche Beihilfen Deutschlands zugunsten von Linde AG (ABl. L 211, S. 7, im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

10.
Der verfügende Teil der Entscheidung lautet wie folgt:

Artikel 1

Die von Deutschland in Form eines Zuschusses für die Errichtung einer [Kohlenmonoxid]-Produktionsanlage in Leuna (Sachsen-Anhalt) gewährte Beihilfe zugunsten der [Klägerin] ist hinsichtlich des Teils, der in Übereinstimmung mit den Kumulierungsvorschriften den Höchstsatz von 35 % für staatliche Regionalbeihilfen in Sachsen-Anhalt nicht übersteigt, mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar.

Artikel 2

Die von Deutschland in Form eines Zuschusses für den Bau einer [Kohlenmonoxid]-Produktionsanlage in Leuna (Sachsen-Anhalt) gewährte Beihilfe zugunsten der [Klägerin] ist hinsichtlich des Teils, der den Kumulierungsvorschriften zufolge den Höchstsatz von 35 % für staatliche Regionalbeihilfen in Sachsen-Anhalt übersteigt, im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar.

Artikel 3

(1) Deutschland ergreift alle notwendigen Maßnahmen, um die in Artikel 2 genannte, in rechtswidriger Weise gewährte Beihilfe von dem Empfänger zurückzufordern.

(2) Die Rückforderung der Beihilfe erfolgt unverzüglich nach den nationalen Verfahren, sofern diese die sofortige, tatsächliche Vollstreckung der Entscheidung ermöglichen. Die zurückzufordernde Beihilfe umfasst Zinsen von dem Zeitpunkt an, ab dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger zur Verfügung stand, bis zu ihrer tatsächlichen Rückzahlung. Die...

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