Urteile nº T-203/01 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, September 30, 2003

Resolution DateSeptember 30, 2003
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-203/01

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

30. September 2003(1) „Artikel 82 EG - Rabattsysteme - Missbrauch“

In der Rechtssache T-203/01

Manufacture française des pneumatiques Michelin mit Sitz in Clermont-Ferrand (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J.-F. Bellis, M. Wellinger, D. Waelbroeck und M. Johnsson,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Wainwright als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt A. Barav, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Bandag Inc. mit Sitz in Muscatine, Iowa (Vereinigte Staaten), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. Calvet und R. Saint-Esteben, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferin,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 2002/405/EG der Kommission vom 20. Juni 2001 in einem Verfahren nach Artikel 82 EG-Vertrag (COMP/E-2/36.041/PO - Michelin) (ABl. 2002, L 143, S. 1) erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts sowie der Richter J. Azizi und M. Jaeger,

Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. April 2003

folgendes

Urteil

Geschäftspolitik der Klägerin auf den betroffenen Märkten

1.
Haupttätigkeit der Manufacture française des pneumatiques Michelin (nachfolgend: Klägerin oder Michelin Frankreich) ist die Herstellung von Reifen für verschiedene Fahrzeuge. In Frankreich ist die Klägerin u. a. in der Herstellung und im Verkauf neuer und runderneuerter Lkw/Bus-Reifen tätig.

2.
Bei Neureifen unterscheidet man den Markt für Reifen zur Erstausrüstung neuer Fahrzeuge (nachfolgend: Erstausrüstungsreifen) vom Markt für Reifen zur Ersatzbestückung gebrauchter Fahrzeuge (nachfolgend: Nachrüstungsreifen). Der Absatz der Erstausrüstungsreifen erfolgt ohne Einschaltung von Zwischenhändlern unmittelbar vom Reifenhersteller an den Fahrzeughersteller. Auf dem Markt für Nachrüstungsreifen erfolgt dagegen der Verkauf an den Endabnehmer im Wesentlichen über eine Vielzahl spezialisierter Handelsunternehmen.

3.
Der Bedarf an Lkw/Bus-Nachrüstungsreifen wird nicht allein durch das Angebot von Neureifen gedeckt. Wenn nämlich die Karkasse (der Unterbau) eines gebrauchten Reifens gut erhalten ist, kann er mit einer neuen Lauffläche versehen werden: Dabei handelt es sich um eine Runderneuerung.

4.
Die vorliegende Sache betrifft die Geschäftspolitik der Klägerin in Frankreich auf den Märkten für neue Lkw/Bus-Nachrüstungsreifen einerseits und für runderneuerte Lkw/Bus-Reifen andererseits. Diese Geschäftspolitik umfasste die folgenden drei Bestandteile, die nachfolgend eingehender untersucht werden: die Allgemeinen Preisbedingungen für gewerbliche Zwischenhändler in Frankreich („Conditions générales de prix France aux revendeurs professionnels“), die Vereinbarung zur Optimierung der Leistung der Michelin-Lkw/Bus-Reifen („Convention pour le rendement optimal des pneumatiques poids lourd Michelin“), auch PRO-Vereinbarung („Convention PRO“) genannt, und die Vereinbarung über fachliche Zusammenarbeit und Kundendiensthilfe („Convention de coopération professionnelle et d'assistance service“), den so genannten Club der Michelin-Freunde („Club des amis Michelin“).

1. Allgemeine Preisbedingungen für gewerbliche Zwischenhändler in Frankreich

5.
Die Allgemeinen Preisbedingungen für gewerbliche Zwischenhändler in Frankreich (nachfolgend: Allgemeine Preisbedingungen) umfassten einerseits einen Listen- oder Rechnungspreis („prix tarif“ oder „barème de facturation“) - d. h. den Nettorechnungspreis ohne Abschläge oder Rabatte - und andererseits eine Vielzahl von Rabatten und Bonussen.

6.
Von 1980 bis 1996 waren die nach den Allgemeinen Preisbedingungen vorgesehenen Rabatte und Bonusse in drei Kategorien unterteilt: Jahresmengenrabatte („rappels quantitatifs“), Bonusse für die Qualität des vom Zwischenhändler erbrachten Kundendienstes („prime de service“ - Serviceprämie) und Bonusse nach Maßgabe der Bemühungen um Neugeschäfte („prime de progrès“ - Steigerungsprämie). Die Rabatte und Bonusse erhielt der Kunde nicht „auf Rechnung“, sondern Ende Februar des auf den Bezugszeitraum folgenden Jahres.

7.
Das System der Jahresmengenrabatte sah eine jährliche Rückvergütung vor, die in einem nach Maßgabe der abgenommenen Mengen progressiv steigenden Prozentsatz der bei der Klägerin getätigten Umsätze ausgedrückt war. Die Allgemeinen Preisbedingungen sahen hierfür, je nach betroffenem Reifen („alle Kategorien“, „schwere Baumaschinen“ und „runderneuerte Reifen“), drei Skalen vor.

8.
Beispielsweise enthielt die Skala „alle Kategorien“ 1995 47 Stufen. Die prozentualen Nachlässe reichten von 7,5 % für einen Umsatz von 9 000 französischen Franc (FRF) bis 13 % für einen Umsatz von mehr als 22 Millionen FRF. Die Kategorien „schwere Baumaschinen“ und „runderneuerte Reifen“ hatten jeweils eine eigene „Skala“. Bei runderneuerten Reifen gingen die Rabatte z. B. 1995 von 2 % für einen Umsatz von mehr als 7 000 FRF bis zu 6 % für einen Umsatz von mehr als 3,92 Millionen FRF.

9.
1995 und 1996 sahen die Allgemeinen Preisbedingungen unter bestimmten Bedingungen drei Vorauszahlungen auf den Jahresmengenrabatt vor, die im Mai, September und Dezember des laufenden Geschäftsjahrs erfolgten.

10.
Die „Serviceprämie“ belohnte den Fachhändler für die Verbesserung seiner Ausrüstung und seines Kundendiensts. Diese Prämie erhielt nur, wer im Geschäft mit der Klägerin in dem betreffenden Jahr einen Mindestumsatz erzielte. Dieser betrug im Jahr 1980 160 000 FRF und stieg bis im Jahr 1985 auf 205 000 FRF. Danach belief er sich auf 50 000 FRF und in den Jahren 1995 und 1996 auf 45 000 FRF. Die Höhe der Prämie, die zu Beginn jedes Jahres mit dem Händler vereinbart und in einem Papier mit der Bezeichnung „Serviceprämie“ festgehalten wurde, hing von der Einhaltung von Verpflichtungen ab, die der Händler in verschiedenen Bereichen übernommen hatte. Jede Verpflichtung entsprach einer bestimmten Zahl von Punkten, und das Überschreiten bestimmter Punktzahlen führte zu einem Anspruch auf eine Prämie in Form eines Prozentsatzes des in sämtlichen Kategorien mit der Klägerin erzielten Umsatzes. Dieser Prozentsatz reichte bis zu 1,5 % für den Zeitraum von 1980 bis 1991 und bis zu 2,25 % für den Zeitraum von 1992 bis 1996. Die Höchstpunktzahl betrug 35 Punkte, und die Höchstprämie wurde ab 31 Punkten erreicht. Zu den Verpflichtungen, für die Punkte erzielt werden konnten, gehörte es, den Absatz neuer Produkte der Klägerin zu fördern und ihr Marktauskünfte zu erteilen. Einen Zusatzpunkt erhielt der Händler, wenn er die Michelin-Karkassen durchgehend bei Michelin Frankreich runderneuern ließ. 1996 wurde nur verlangt, dass die erste Runderneuerung von Michelin-Karkassen durchgehend bei der Klägerin erfolgte. Die Serviceprämie wurde 1997 abgeschafft.

11.
Die „Steigerungsprämie“ sollte die Händler belohnen, die bereit waren, sich zu Jahresbeginn schriftlich zu verpflichten, eine unter Berücksichtigung der bisherigen Geschäftstätigkeit und der Zukunftsaussichten einvernehmlich festgelegte (als Zahl der jährlich abgenommenen Reifenmäntel ausgedrückte) Mindestbasis zu übertreffen, und denen dies auch gelang. Die Basis wurde jedes Jahr neu vorgeschlagen und mit dem Händler ausgehandelt. 1995 und 1996 gab ein Überschreiten der Basis um mindestens 20 % Anspruch auf einen Bonus in Höhe von 2 % bzw. 2,5 % des im Geschäft mit der Klägerin erzielten Gesamtumsatzes in Lkw/Bus-Reifen.

12.
Außerdem waren die Händler, die in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren bei der Klägerin eine bestimmte Umsatzhöhe überschritten hatten, berechtigt, eine Vereinbarung über die geschäftliche Zusammenarbeit („Convention de coopération commerciale“) - die so genannte individuelle Vereinbarung („Convention individuelle“) - auszuhandeln, die Anspruch auf weitere Nachlässe gab. Von 1993 bis 1996 unterzeichneten 16 bis 18 bedeutende Zwischenhändler eine solche Vereinbarung.

13.
Ab 1997 änderte die Klägerin ihre Geschäftsbedingungen im Verkehr mit den Händlern. Bei den Lkw/Bus-Neureifen waren die wichtigsten Änderungen die Abschaffung der Jahresmengenrabatte, der Serviceprämie und der Steigerungsprämie sowie die Einführung neuer Kategorien von Nachlässen und Bonussen: auf der Rechnung ausgewiesene Sofortnachlässe („remises sur facture“), eine Prämie für das Erreichen des vereinbarten Zieles („prime pour objectif atteint“), Jahresendbonusse („rappels de fin d'année“) und ein Mehrproduktbonus („rappel multiproduit“). Diese Nachlässe und Bonusse galten 1997 und 1998. Von 1997 an wurden die zuvor Ende Februar des auf den Bezugszeitraum folgenden Jahres ausgeschütteten Bonusse im Wesentlichen „auf die Rechnung zurückgebracht“.

14.
Die auf der Rechnung ausgewiesenen Sofortnachlässe (die sich zwischen 15 % und 19 % bewegten) wurden nach Maßgabe der Zahl der Neureifen für „Lkw/Busse/Baufahrzeuge/leichte Baugeräte“ gewährt, die im Vorjahr oder im Durchschnitt der letzten zwei oder drei Jahre gekauft worden waren, wobei die für den Händler günstigste Lösung zur Anwendung kam.

15.
Händler, die einen höheren auf der Rechnung ausgewiesenen Sofortnachlass als den, auf den sie nach ihren bisherigen Ergebnissen Anspruch gehabt hätten, erhalten wollten, mussten eine Zielvereinbarung unterzeichnen, die im Einvernehmen mit der Klägerin und unter Berücksichtigung des Potenzials des Händlers sowie der voraussehbaren Marktentwicklung festgesetzt wurde. Der erreichbare Sofortnachlass entsprach dann dem Bereich, in dem die vom Händler eingegangene Verpflichtung lag.

16.
Händler, die eine Zielvereinbarung unterzeichnet und das Ziel erreicht hatten, erhielten 1997 eine Ende Februar ausgezahlte Prämie für das Erreichen des vereinbarten Zieles in Höhe von 2 % des fakturierten Nettojahresumsatzes. 1998 wurde diese Prämie auf 1,5 % festgesetzt.

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