Urteile nº T-65/98 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, October 23, 2003

Resolution DateOctober 23, 2003
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-65/98

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

23. Oktober 2003(1) „Nichtigkeitsklage - Wettbewerb - Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG und 82 EG) - Kleineiserzeugnisse - Lieferung von Kühltruhen an Wiederverkäufer - Ausschließlichkeitsklausel - Marktzutrittsschranken - Eigentumsrechte - Artikel 222 EG-Vertrag (jetzt Artikel 295 EG)“

In der Rechtssache T-65/98

Van den Bergh Foods Ltd, früher HB Ice Cream Ltd, mit Sitz in Dublin (Irland), Prozessbevollmächtigte: M. Nicholson und M. Rowe, Solicitors, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Wils und A. Whelan als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Masterfoods Ltd mit Sitz in Dublin (Irland), Prozessbevollmächtigter: P. G. H. Collins, Solicitor, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

und durch

Richmond Frozen Confectionery Ltd, früher Treats Frozen Confectionery Ltd, mit Sitz in Northallerton (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigter: I. S. Forrester, QC, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferinnen,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 98/531/EG der Kommission vom 11. März 1998 in einem Verfahren nach den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag (Sachen IV/34.073, IV/34.395 und IV/35.436 - Van den Bergh Foods Limited) (ABl. L 246, S. 1) erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten R. García-Valdecasas sowie der Richterin P. Lindh und des Richters J. D. Cooke,

Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Oktober 2002

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1.
Mit der vorliegenden Klage wird die Nichtigerklärung der Entscheidung 98/531/EG der Kommission vom 11. März 1998 in einem Verfahren nach den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag (Sachen IV/34.073, IV/34.395 und IV/35.436 - Van den Bergh Foods Limited) (ABL. L 246, S. 1, im Folgenden: angefochtene oder streitige Entscheidung) begehrt.

2.
Die Van den Bergh Foods Ltd (im Folgenden: HB), eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Unilever-Gruppe, ist der Haupthersteller von Speiseeis in Irland, insbesondere von Kleineis in Einzelportionspackungen. Sie stellt den Speiseeis-Wiederverkäufern seit mehreren Jahren „kostenlos“ oder gegen einen geringfügigen Mietzins in ihrem Eigentum verbleibende Kühltruhen unter der Bedingung zur Verfügung, dass sie ausschließlich für die Lagerung der von ihr gelieferten Speiseeiserzeugnisse benutzt werden („Ausschließlichkeitsklausel“). Nach dem Standardvertrag über die Kühltruhen kann dieser Vertrag beiderseits jederzeit unter Einhaltung einer Frist von zwei Monaten gekündigt werden. HB übernimmt die Wartung ihrer Kühltruhen auf eigene Kosten außer im Fall fehlender Sorgfalt des Wiederverkäufers.

3.
Masterfoods Ltd (im Folgenden: Mars), eine Tochtergesellschaft der amerikanischen Firma Mars Inc., trat 1989 in den irischen Speiseeismarkt ein.

4.
Im Sommer 1989 begannen zahlreiche Wiederverkäufer in ihren von HB bereitgestellten Kühltruhen Erzeugnisse von Mars aufzubewahren und zu präsentieren, woraufhin HB von ihnen die Einhaltung der Ausschließlichkeitsklausel verlangte.

5.
Im März 1990 erhob Mars vor dem irischen High Court Klage u. a. auf Feststellung, dass die Ausschließlichkeitsklausel nach irischem Recht und nach den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG und 82 EG) nichtig ist. HB erhob daraufhin ihrerseits Klage mit dem Antrag, es Mars im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verbieten, die Wiederverkäufer zu einer Verletzung der Ausschließlichkeitsklausel zu verleiten.

6.
Im April 1990 erließ der High Court eine einstweilige Verfügung zugunsten von HB.

7.
Am 28. Mai 1992 entschied der High Court über die Begründetheit der Klagen von Mars und HB. Er wies die Klage von Mars ab und erließ zugunsten von HB eine endgültige Verfügung, durch die er es Mars untersagte, die Wiederverkäufer zur Aufbewahrung ihrer Erzeugnisse in HB gehörenden Kühltruhen zu bewegen.

8.
Mars legte hiergegen am 4. September 1992 Rechtsmittel zum irischen Supreme Court ein. Dieser setzte das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof drei Fragen zur Vorabentscheidung vor (nachstehend Randnr. 30), über die dieser mit Urteil vom 14. Dezember 2000 in der Rechtssache C-344/98 (Masterfoods und HB, Slg. 2000, I-11369) entschied. Zum Zeitpunkt des vorliegenden Urteils ist das Verfahren vor dem Supreme Court immer noch anhängig.

9.
Parallel zu diesen Verfahren reichte Mars am 18. September 1991 bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen HB eine Beschwerde gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABL. 1962, Nr. 13, S. 204) ein. Diese Beschwerde richtete sich dagegen, dass HB an eine große Zahl von Wiederverkäufern Kühltruhen lieferte, die allein für die Erzeugnisse der Marke HB benutzt werden durften (Tiefkühltruhenausschließlichkeit).

10.
Am 22. Juli 1992 reichte Valley Ice Cream (Ireland) Ltd ebenfalls eine Beschwerde gegen HB bei der Kommission ein.

11.
In der an HB gerichteten Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 29. Juli 1993 vertrat die Kommission die Auffassung, dass das Vertriebssystem dieses Unternehmens gegen die Artikel 85 und 86 EG-Vertrag verstoße.

12.
Auch wenn HB diesen Standpunkt zurückwies, schlug sie nach Gesprächen mit der Kommission doch Änderungen u. a. ihres Vertriebssystems vor, um eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag zu erreichen. Am 8. März 1995 meldete sie diese Änderungen bei der Kommission an, die in einer Pressemitteilung vom 10. März 1995 die Ansicht vertrat, dass die Änderungen auf den ersten Blick zu einer Freistellung von HB führen könnten. Am 15. August 1995 wurde eine Mitteilung gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABL. C 211, S. 4) veröffentlicht.

13.
Am 22. Januar 1997 übersandte die Kommission HB jedoch eine neue Mitteilung der Beschwerdepunkte, da sie der Meinung war, dass die Änderungen nicht zu dem erwarteten freien Zugang zu den Verkaufsstellen geführt hätten. HB nahm zu den Vorwürfen Stellung.

14.
Am 11. März 1998 erließ die Kommission die streitige Entscheidung.

Die angefochtene Entscheidung

15.
Die Kommission vertritt in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung, dass die Vertriebsvereinbarungen von HB mit der Ausschließlichkeitsklausel nicht mit den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag vereinbar seien. Nach der Definition der Kommission ist der relevante Produktmarkt der für Speiseeis in Einzelportionspackungen zum sofortigen Verzehr, wobei der relevante geografische Markt Irland ist (Randnrn. 138 und 140). Die Kommission führt aus, dass die Stellung von HB auf dem relevanten Markt besonders stark sei, was u. a. durch ihren Marktanteil über viele Jahre belegt werde (nachstehend Randnr. 21). Diese Stärke werde weiter durch den Umfang des numerischen (79 %) und des gewichteten Vertriebes (94 %) der fraglichen HB-Erzeugnisse in den Monaten August und September 1995 sowie durch die notorische Bekanntheit der Marke und die Verbreitung und Beliebtheit des Sortiments dieses Unternehmens veranschaulicht. Die Stellung von HB auf diesem Markt werde außerdem durch die Stärke der Stellung von Unilever gefestigt, und zwar nicht nur auf den anderen Speiseeismärkten in Irland (Haushalts- und Gastronomieeis), sondern auch auf den internationalen Speiseeismärkten und den Märkten für Tiefkühlkost und Konsumgüter im Allgemeinen (Randnr. 141).

16.
Die Vertriebsvereinbarungen von HB über die in den Verkaufsstellen aufgestellten Kühltruhen beschränkten insgesamt die Möglichkeit der eine solche Vereinbarung abschließenden Wiederverkäufer, in ihren Verkaufsstellen „Impuls“-Produkte von anderen, konkurrierenden Anbietern vorrätig zu halten und zum Verkauf anzubieten, wenn die einzige(n) Kühltruhe(n) für die Aufbewahrung von Kleineis in der Verkaufsstelle durch HB geliefert worden sei(en), wenn es unwahrscheinlich sei, dass die vorhandenen HB-Kühltruhen durch eine eigene Kühltruhe des Wiederverkäufers oder durch (eine) Kühltruhe(n) eines Konkurrenten ersetzt würden, und wenn es wirtschaftlich unrentabel sei, einen Platz für die Aufstellung einer zusätzlichen Kühltruhe bereitzustellen. Diese Beschränkung habe zur Folge, dass konkurrierende Lieferanten vom Verkauf ihrer Produkte in solchen Verkaufsstellen ausgeschlossen seien und dadurch der Wettbewerb zwischen den Lieferanten auf dem relevanten Markt eingeschränkt werde (Randnr. 143). Die Kommission habe nicht die beschränkenden Wirkungen jeder einzelnen Kühltruhenvereinbarung in Betracht gezogen, sondern vielmehr die Wirkungen berücksichtigt, die durch die Kategorie von Vereinbarungen erzeugt würden, die die festgestellten Bedingungen erfüllten und einen identifizierbaren Teil des gesamten Netzes der HB-Kühltruhenvereinbarungen bildeten. Die Bewertung der beschränkenden Wirkungen dieses Teils des Netzes von HB gelte dann gleichermaßen für jede Vereinbarung, die zu diesem Teil gehöre. Die Bewertung dieser beschränkenden Wirkungen sei vor dem Hintergrund der Wirkungen aller ähnlichen Netze von Kühltruhenvereinbarungen getroffen worden, die von den anderen Speiseeislieferanten im relevanten Markt unterhalten würden, sowie im Licht anderer relevanter Marktbedingungen (Randnrn. 144 und 145)

17.
Die Kommission hat die beschränkenden Wirkungen der HB-Vertriebsvereinbarungen quantifiziert, um deren Bedeutung aufzuzeigen. Sie führt dazu aus, die beschränkenden Wirkungen der Netze von Verträgen über die Lieferung von Tiefkühltruhen, die ausschließlich den Erzeugnissen des Lieferanten vorbehalten seien, ergäben sich aus der zwangsläufigen räumlichen Beschränktheit der Verkaufsstellen. Die durchschnittliche Anzahl der Kühltruhen in den Verkaufsstellen sei in der...

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