Beschlüsse nº T-410/08 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, November 14, 2008

Resolution DateNovember 14, 2008
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-410/08

„Vorläufiger Rechtsschutz – Entscheidung der Kommission mit der Anordnung, ein abgestimmtes Verhalten auf dem Gebiet der Verwaltung von Urheberrechten abzustellen – Antrag auf Aussetzung des Vollzugs – Keine Dringlichkeit“

In der Rechtssache T‑410/08 R

Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) mit Sitz in Berlin (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte R. Bechtold und I. Brinker im Beistand von Professor J. Schwarze,

Antragstellerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Castillo de la Torre, O. Weber und A. Antoniadis als Bevollmächtigte,

Antragsgegnerin,

wegen Aussetzung des Vollzugs von Art. 3 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 und 3 der Entscheidung K (2008) 3435 endgültig der Kommission vom 16. Juli 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/C2/38.698 – CISAC), soweit die Antragstellerin betroffen ist,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

folgenden

Beschluss

Vorgeschichte und Gegenstand des Rechtsstreits

1 Mit dem vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung begehrt die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA), eine deutsche Gesellschaft zur Verwaltung von Urheberrechten, die teilweise Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung K (2008) 3435 endgültig der Kommission vom 16. Juli 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/C2/38.698 – CISAC) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

2 Die angefochtene Entscheidung betrifft die Bedingungen der Verwaltung und der Lizenzierung von Rechten zur öffentlichen Aufführung von Musikwerken. Sie ist an 24 Verwertungsgesellschaften mit Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gerichtet, die wie auch die Antragstellerin der International Confederation of Societies of Authors and Composers (Internationaler Dachverband der Verwertungsgesellschaften) (CISAC) angehören.

3 Die der CISAC angehörenden Verwertungsgesellschaften mit Sitz im EWR (im Folgenden: Verwertungsgesellschaften) verwalten die Urheberrechte von Autoren (Textdichter und Komponisten) an den von diesen geschaffenen Musikwerken. Diese Rechte begründen normalerweise das ausschließliche Recht zur Genehmigung bzw. zum Verbot der Verwertung der geschützten Werke. Dies ist insbesondere bei Rechten zur öffentlichen Aufführung der Fall. Eine Verwertungsgesellschaft erwirbt diese Rechte entweder durch direkte Übertragung vom ursprünglichen Rechteinhaber oder durch Übertragung von einer anderen Verwertungsgesellschaft, die gleichartige Rechte in einem anderen EWR-Land verwaltet, und erteilt im Namen ihrer Mitglieder (Urheber und Verleger) gewerblichen Nutzern wie Rundfunkunternehmen oder Veranstaltern von Kulturereignissen Lizenzen.

4 Im Rahmen der Verwaltung der Urheberrechte stellen die einzelnen Verwertungsgesellschaften sicher, dass jeder Rechteinhaber die Vergütung erhält, die ihm für jede tatsächliche Nutzung eines seiner Werke unabhängig davon zusteht, in welchem Gebiet diese Nutzung erfolgt, und wachen darüber, dass keine unerlaubte Verwertung geschützter Werke stattfindet. Wegen der Kosten dieser Überwachung haben die Verwertungsgesellschaften untereinander Vertretungsverträge geschlossen, in denen sie sich gegenseitig mit der Verwaltung ihres Repertoires in ihrem jeweiligen Verwaltungsgebiet betrauen, um eine Vervielfachung der in diesen Gebieten eingerichteten Kontrollinstrumente zu vermeiden.

5 In diesem Zusammenhang hat die CISAC einen nicht verbindlichen Mustervertrag erarbeitet, dessen ursprüngliche Fassung auf das Jahr 1936 zurückgeht und der der Vervollständigung durch die vertragschließenden Verwertungsgesellschaften, u. a. hinsichtlich der Festlegung des Verwaltungsgebiets, bedarf. Auf der Grundlage dieses Mustervertrags haben die Verwertungsgesellschaften ein Netz von Gegenseitigkeitsverträgen geschaffen, in denen sie sich gegenseitig das Recht zur Erteilung von Lizenzen einräumen. Diese Verträge erfassen nicht nur die Rechtewahrnehmung für die traditionellen „Offline-Anwendungen“ (Konzerte, Rundfunk, Diskotheken etc.), sondern auch die Verwertung über Internet, Satellit oder Kabel.

6 Aufgrund dieses Netzes von Gegenseitigkeitsverträgen ist jede Verwertungsgesellschaft in der Lage, innerhalb ihres Verwaltungsgebiets die Lizenzen für die öffentliche Aufführung von Musikstücken nicht nur für das Repertoire ihrer eigenen Mitglieder zu erteilen, sondern auch für das Repertoire aller anderen beteiligten Verwertungsgesellschaften (sogenannte monoterritoriale Multi-Repertoire-Lizenzen). Dank des durch den Abschluss von Gegenseitigkeitsverträgen geschaffenen Netzes ist daher jede Verwertungsgesellschaft in der Lage, gewerblichen Nutzern ein umfassendes Gesamtangebot an Musikwerken anzubieten. Dadurch können diese Nutzer Zugang zu allen Repertoires bei ein und derselben Verwertungsgesellschaft erhalten, nämlich derjenigen mit Sitz in dem Land, in dem diese Repertoires verwertet werden sollen, ohne bei jeder einzelnen Verwertungsgesellschaft, deren Repertoire durch die angestrebte Nutzung betroffen ist, eine Genehmigung einholen zu müssen (zentrale Anlaufstelle).

7 Lassen sich die Verwertungsgesellschaften von ihren Mitgliedern (Autoren) das Recht zur weltweiten Wahrnehmung von Nutzungsrechten unter der Bedingung einräumen, dass sie sich untereinander ihr Repertoire in den Gegenseitigkeitsverträgen nicht exklusiv übertragen, sind sie trotz des Netzes von Gegenseitigkeitsverträgen berechtigt, das Repertoire ihrer eigenen Mitglieder auch außerhalb ihres jeweiligen Verwaltungsgebiets selbst wahrzunehmen (so genannte multiterritoriale Mono-Repertoire-Lizenzen).

8 Insoweit geht aus der angefochtenen Entscheidung (Randnr. 193) hervor, dass die britische und die deutsche Verwertungsgesellschaft, die Performing Right Society (PRS) und die Antragstellerin, ein Gemeinschaftsunternehmen gründeten, das als paneuropäische zentrale Anlaufstelle für die Erteilung von multiterritorialen Lizenzen für Online- und Mobilfunkrechte des anglo-amerikanischen Repertoires der Gesellschaft Electric & Musical Industries (EMI) an die gewerblichen Nutzer in jedem EWR-Land fungieren soll.

9 Im Jahr 2000 reichte RTL Group SA, eine Rundfunk- und Fernsehgruppe, bei der Kommission eine Beschwerde gegen eine CISAC‑Verwertungsgesellschaft ein, weil diese sich geweigert habe, RTL eine gemeinschaftsweite Lizenz für Musiksendungen im Rundfunk zu erteilen. Im Jahr 2003 reichte Music Choice Europe Ltd, die einen internetgestützten Radio- und Fernsehdienst anbietet, eine zweite, gegen die CISAC gerichtete Beschwerde ein, die deren Mustervertrag betraf. Diese Beschwerden veranlassten die Kommission, ein Verfahren der Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften einzuleiten, das mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung abgeschlossen wurde.

10 In der angefochtenen Entscheidung beanstandet die Kommission einige Klauseln in den Gegenseitigkeitsverträgen, und zwar die Bestimmung über die Mitgliedschaft der Autoren und die Ausschließlichkeitsklausel, sowie das abgestimmte Verhalten der Verwertungsgesellschaften bei der territorialen Eingrenzung des gewährten Lizenzvergaberechts mit der Folge einer Gebietsausschließlichkeit. Nach Ansicht der Kommission verstoßen diese Bestimmungen und dieses abgestimmte Verhalten gegen Art. 81 EG.

11 Was die Bestimmung über die Mitgliedschaft angeht, sieht Art. 11 Abs. II des CISAC‑Mustervertrags vor, dass die Verwertungsgesellschaften einen Urheber, der bereits Mitglied einer anderen Gesellschaft ist oder die Staatsangehörigkeit eines Staates besitzt, in dem eine andere Gesellschaft originär tätig ist, nur unter bestimmten Voraussetzungen als Mitglied aufnehmen dürfen. Der angefochtenen Entscheidung zufolge enthalten einige bilaterale Verträge immer noch eine solche Klausel, die die Freiheit der Rechteinhaber einschränke, zur Verwertung ihrer Rechte in verschiedenen Ländern Mitglied einer Verwertungsgesellschaft ihrer Wahl oder gleichzeitig Mitglied mehrerer Verwertungsgesellschaften im EWR zu werden.

12 Betreffend die Ausschließlichkeitsklausel heißt es in Art. 1 Abs. I des CISAC‑Mustervertrags, dass die eine Verwertungsgesellschaft der anderen das ausschließliche Recht gewährt, in den Gebieten, in denen die letztgenannte tätig ist, die für alle öffentlichen Aufführungen von Werken erforderlichen Genehmigungen zu erteilen. Nach der angefochtenen Entscheidung ist diese Klausel – mit der sich die Verwertungsgesellschaften gegenseitig ein Monopol für ihre nationalen Märkte bei der Vergabe von Multi-Repertoire-Lizenzen an gewerbliche Nutzer garantierten – in den von 17 Verwertungsgesellschaften geschlossenen bilateralen Verträgen immer noch enthalten.

13 Der angefochtenen Entscheidung zufolge haben die CISAC und sämtliche Verwertungsgesellschaften im Verwaltungsverfahren vor der Kommission anerkannt, dass diese beiden Klauseln wettbewerbswidrig und ungerechtfertigt seien.

14 Zum Vorwurf der abgestimmten territorialen Abgrenzung heißt es in der angefochtenen Entscheidung, dass die einzelnen Verwertungsgesellschaften in ihren bilateralen Verträgen das Recht zur Vergabe von Lizenzen für ihr Repertoire auf das Hoheitsgebiet des Landes des Vertragspartners beschränkten. Soweit sämtliche Verwertungsgesellschaften Gegenseitigkeitsverträge mit allen anderen geschlossen hätten, verfüge jede Gesellschaft über ein umfassendes Gesamtrepertoire, für das sie jedoch lediglich Lizenzen im eigenen Land vergebe.

15 In der angefochtenen Entscheidung zieht die Kommission die Rechtmäßigkeit dieses abgestimmten Verhaltens lediglich insoweit in Zweifel, als die Verwertungsarten über Internet, Satellit und Kabel betroffen sind, während die verschiedenen sog. Offline-Verwertungen (Konzerte, Rundfunk, Diskotheken, Bars usw.) nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung sind. Nach Ansicht der Kommission schränkt dieses abgestimmte Verhalten den Wettbewerb...

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