Urteile nº T-357/06 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, September 27, 2012

Resolution DateSeptember 27, 2012
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-357/06

„Wettbewerb – Kartelle – Niederländischer Straßenbaubitumenmarkt – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Vorliegen und Qualifizierung einer Vereinbarung – Wettbewerbsbeschränkung – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit – Verteidigungsrechte – Geldbuße – Erschwerende Umstände – Rolle als Anstifter und Anführer – Mangelnde Zusammenarbeit – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Recht auf anwaltlichen Beistand – Ermessensmissbrauch – Berechnung der Geldbußen – Dauer der Zuwiderhandlung – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“

In der Rechtssache T‑357/06

Koninklijke Wegenbouw Stevin BV mit Sitz in Utrecht (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte E. Pijnacker Hordijk und Y. de Vries, dann Rechtsanwälte E. Pijnacker Hordijk und X. Reintjes,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Bouquet, A. Nijenhuis und F. Ronkes Agerbeek als Bevollmächtigte, zunächst im Beistand der Rechtsanwälte L. Gyselen, F. Tuytschaever und F. Wijckmans, dann des Rechtsanwalts L. Gyselen,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K(2006) 4090 endg. der Kommission vom 13. September 2006 in einem Verfahren gemäß Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]), soweit sie die Klägerin betrifft, hilfsweise Ermäßigung der mit dieser Entscheidung gegen sie festgesetzten Geldbuße,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Jaeger sowie der Richter N. Wahl und S. Soldevila Fragoso (Berichterstatter),

Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2011

folgendes

Urteil

Sachverhalt

I – Die Klägerin

1 Koninklijke Volker Wessels Stevin ist ein niederländischer Konzern im Baubereich mit mehr als 100 aktiv tätigen Unternehmen. Die Muttergesellschaft, die Koninklijke Volker Wessels Stevin NV (im Folgenden: KVWS) ist im Straßenbau tätig, und zwar mittels der Volker Wessels Stevin Verkeersinfra BV und ihrer Tochtergesellschaft, der klagenden Koninklijke Wegenbouw Stevin BV, die für den ganzen Konzern Bitumen für die Asphalterzeugung in den Niederlanden einkauft und vertreibt. Während der Dauer der Zuwiderhandlung hielt KVWS über die Holdings Volker Wessels Stevin Infra BV und Volker Wessels Stevin Verkeersinfra das gesamte Kapital der Klägerin.

II – Das Verwaltungsverfahren

2 Mit Schreiben vom 20. Juni 2002 zeigte British Petroleum (im Folgenden: BP) der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an, dass auf dem niederländischen Straßenbaubitumenmarkt ein Kartell bestehe, und beantragte gemäß der Mitteilung der Kommission vom 19. Februar 2002 über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 45, S. 3, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) den Erlass von Geldbußen.

3 Am 1. Oktober 2002 nahm die Kommission u. a. in den Räumlichkeiten der Klägerin unangekündigte Nachprüfungen vor. Dabei verweigerte die Klägerin den Beamten der Kommission zunächst bis zur Ankunft ihrer auswärtigen Rechtsanwälte den Zutritt zu dem Gebäude und hinderte sie sodann am Betreten des Büros eines ihrer Direktoren. Deshalb ersuchte die Kommission die nationalen Behörden um Unterstützung, um ihre Nachprüfungen durchführen zu können. Die Beamten der Kommission errichteten am 3. Oktober 2002 zwei Protokolle über diese Vorfälle und übersandten sie der Klägerin im Rahmen der ihr von der Kommission am 19. Oktober 2004 gewährten Akteneinsicht.

4 Die Kommission richtete am 30. Juni 2003 Auskunftsverlangen an mehrere Gesellschaften, u. a. an die Klägerin, die am 12. September 2003 darauf antwortete. Am 10. Februar 2004 übersandte die Kommission ein neues Auskunftsverlangen, auf das KVWS am 2. März 2004 antwortete.

5 Am 12. September 2003 beantragte Kuwait Petroleum die Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit und fügte eine Unternehmenserklärung bei. Auch die Shell Nederland Verkoopmaatschappij BV (im Folgenden: SNV) stellte am 10. Oktober 2003 einen derartigen Antrag, dem sie eine Unternehmenserklärung sowie die Erklärung eines früheren, im Ruhestand befindlichen Mitarbeiters beifügte. Ferner beantragten die Unternehmen Total und Nynäs in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, ihre Antwort auf das Auskunftsverlangen der Kommission nach der Mitteilung über Zusammenarbeit zu berücksichtigen.

6 Am 18. Oktober 2004 leitete die Kommission ein Verfahren ein und nahm eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die sie am 19. Oktober 2004 an mehrere Gesellschaften, darunter KVWS, die Klägerin und Volker Wessels Stevin Infra übersandte.

7 Nach der Anhörung der betroffenen Gesellschaften am 15. und 16. Juni 2005 gaben Nynäs und Kuwait Petroleum am 28. und 30. Juni 2005 Erläuterungen zu bestimmten Erklärungen ab, auf die sich die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt hatte und die andere Gesellschaften bei der Anhörung bestritten hatten. Diese Erläuterungen wurden allen Beteiligten übersandt. Die Klägerin äußerte sich am 26. August 2005 zu diesen Dokumenten. Desgleichen antwortete sie am 28. Juni 2005 auf ein im Anschluss an eine mündliche Frage der Kommission in der Anhörung an sie gerichtetes Auskunftsverlangen; diese Antwort wurde am 24. Mai 2006 allen Beteiligten übersandt. Mit Schreiben vom 25. Januar 2006 an alle Beteiligten erläuterte die Kommission eine die Festsetzung der Preise betreffende Stelle in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, auf das die Klägerin mit Schreiben vom 16. Februar 2006 antwortete. Schließlich übermittelte die Kommission der Klägerin am 24. Mai 2006 alle Stellen in den Erwiderungen der übrigen Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die sie als Beweise gegen die Klägerin zu verwenden beabsichtigte. Die Klägerin nahm am 12. Juni 2006 zu diesen Dokumenten Stellung.

III – Die angefochtene Entscheidung

8 Am 13. September 2006 erließ die Kommission die Entscheidung K(2006) 4090 endg. in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 28. Juli 2007 veröffentlicht ist (ABl. C 196, S. 40) und die der Klägerin am 25. September 2006 zugestellt wurde.

9 Die Kommission führte aus, dass die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet war, an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG beteiligt gewesen seien, die darin bestanden habe, dass sie für die betreffenden Zeiträume regelmäßig gemeinsam für Verkäufe und Ankäufe von Straßenbaubitumen in den Niederlanden den Bruttopreis, einen einheitlichen Rabatt auf den Bruttopreis für die an dem Kartell beteiligten Straßenbauunternehmen (im Folgenden: große Straßenbauunternehmen oder W5) und einen geringeren maximalen Rabatt auf den Bruttopreis für die anderen Straßenbauunternehmen (im Folgenden: andere oder kleine Straßenbauunternehmen) festgelegt hätten.

10 Wegen Begehung dieser Zuwiderhandlung in der Zeit vom 1. April 1994 bis 15. April 2002 wurde gegen die Klägerin gesamtschuldnerisch mit KVWS eine Geldbuße von 27,36 Mio. Euro verhängt.

11 Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße qualifizierte die Kommission die Zuwiderhandlung, obwohl der relevante räumliche Markt begrenzt war, aufgrund ihrer Art als besonders schwerer Verstoß (Randnr. 316 der angefochtenen Entscheidung).

12 Um der besonderen Bedeutung des Verhaltens der einzelnen am Kartell beteiligten Unternehmen und dessen tatsächlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb Rechnung zu tragen, differenzierte die Kommission bei den betroffenen Unternehmen nach der am Marktanteil gemessenen Bedeutung auf dem relevanten Markt und teilte sie in sechs Kategorien ein.

13 Bei der Klägerin ergab sich so ein Ausgangsbetrag von 9,5 Mio. Euro (Randnr. 322 der angefochtenen Entscheidung). Die Kommission hielt es aufgrund der Größe und des Umsatzes des Konzerns Koninklijke Volker Wessels Stevin nicht für erforderlich, einen Multiplikationsfaktor auf die Klägerin anzuwenden, um die Abschreckungswirkung der Geldbuße sicherzustellen (Randnr. 323 der angefochtenen Entscheidung).

14 Zur Dauer der Zuwiderhandlung stellte die Kommission fest, dass die Klägerin einen Verstoß von langer Dauer begangen habe, da sich dieser über mehr als fünf Jahre hingezogen habe, und ging von einer Gesamtdauer von acht Jahren, vom 1. April 1994 bis 15. April 2002, aus; sie erhöhte den Ausgangsbetrag daher um 80 % (Randnr. 326 der angefochtenen Entscheidung). Deshalb wurde der anhand der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung festgelegte Grundbetrag der Geldbuße für die Klägerin auf 17,1 Mio. Euro festgesetzt (Randnr. 335 der angefochtenen Entscheidung).

15 Die Kommission nahm zu Ungunsten der Klägerin mehrere erschwerende Umstände an: Erstens stellte sie fest, diese habe bei den Nachprüfungen in ihren Geschäftsräumen am 1. Oktober 2002 die Zusammenarbeit verweigert und versucht, die Untersuchungen zu behindern, und erhöhte daher den Grundbetrag der Geldbuße der Klägerin um 10 % (Randnrn. 340 und 341 der angefochtenen Entscheidung). Zweitens machte sie geltend, dass die Klägerin die Rolle des Anstifters und Anführers des Kartells gespielt habe, was eine weitere Erhöhung des Grundbetrags um 50 % rechtfertige (Randnrn. 342 bis 349 der angefochtenen Entscheidung).

16 Die Kommission erkannte der Klägerin im Übrigen keine mildernden Umstände zu (Randnrn. 350 bis 360 der angefochtenen Entscheidung).

Verfahren und Anträge der Parteien

17 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 5. Dezember 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

18 Das Gericht (Sechste Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters die mündliche Verhandlung eröffnet und im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß Art. 64 seiner Verfahrensordnung die Parteien aufgefordert, bestimmte Unterlagen vorzulegen und Fragen zu beantworten. Die Parteien sind dem fristgerecht nachgekommen.

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