Urteile nº T-370/09 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, June 29, 2012

Resolution DateJune 29, 2012
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-370/09

„Wettbewerb – Kartelle – Deutscher und französischer Erdgasmarkt – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Aufteilung des Marktes – Dauer der Zuwiderhandlung – Geldbußen“

In der Rechtssache T‑370/09

GDF Suez SA mit Sitz in Paris (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt J.-P. Gunther und Rechtsanwältin C. Breuvart,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, A. Bouquet und R. Sauer als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage auf teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung K(2009) 5355 endg. der Kommission vom 8. Juli 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] (Sache COMP/39.401 – E.ON/GDF), hilfsweise, auf Aufhebung oder Herabsetzung der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Papasavvas (Berichterstatter) sowie der Richter V. Vadapalas und K. O’Higgins,

Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2011

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen

  1. Recht der Europäischen Union

    1 Mit der Richtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt (ABl. L 204, S. 1, im Folgenden: Erste Gasrichtlinie) wurden gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas erlassen. Sie regelte die Organisation und Funktionsweise des Erdgassektors, auch in Bezug auf verflüssigtes Erdgas (LNG), den Marktzugang, den Betrieb der Netze und die Kriterien und Verfahren für die Erteilung von Fernleitungs-, Verteilungs-, Liefer- und Speichergenehmigungen für Erdgas.

    2 Die Erste Gasrichtlinie verpflichtete die Mitgliedstaaten dazu, den Markt für die Versorgung von Großabnehmern mit Erdgas schrittweise für den Wettbewerb zu öffnen und Dritten Zugang zum bestehenden Transportsystem zu gewähren.

    3 Nach Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 der Ersten Gasrichtlinie hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, um ihr bis spätestens 10. August 2000 nachzukommen.

    4 Die Erste Gasrichtlinie wurde mit Wirkung vom 1. Juli 2004 durch die Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30 (ABl. L 176, S. 57) aufgehoben und ersetzt.

  2. Nationales Recht

    Französisches Recht

    5 Art. 1 der Loi n° 46-628 du 8 avril 1946 sur la nationalisation de l’électricité et du gaz (Gesetz Nr. 46-628 vom 8. April 1946 über die Verstaatlichung von Strom und Gas, JORF vom 9. April 1946, S. 2651, im Folgenden: Gesetz von 1946) bestimmte vor seiner Aufhebung durch die Ordonnance n° 2011-504 du 9 mai 2011 portant codification de la partie législative du code de l’énergie (Verordnung Nr. 2011-504 vom 9. Mai 2011 über die Kodifizierung des Gesetzgebungsteils des Energiegesetzbuchs, JORF vom 10. Mai 2011, S. 7954) Folgendes:

    „Ab Verkündung dieses Gesetzes sind

  3. die Erzeugung, die Fernleitung, die Verteilung, die Einfuhr und die Ausfuhr von Brenngas

    verstaatlicht.

    …“

    6 Vor seiner Änderung durch die Loi n° 2004-803 du 9 août 2004 relative au service public de l’électricité et du gaz et aux entreprises électriques et gazières (Gesetz Nr. 2004-803 vom 9. August 2004 über die öffentliche Strom- und Gasversorgung und die Strom- und Gasunternehmen, JORF vom 11. August 2004, S. 14256) lautete Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes von 1946:

    „Die Leitung der verstaatlichten Gasunternehmen wird einer öffentlichen Industrie- und Handelseinrichtung mit der Bezeichnung Gaz de France (GDF), Service National, übertragen.“

    7 Bis zum Inkrafttreten der Loi n° 2003-8 du 3 janvier 2003 relative aux marchés du gaz et de l’électricité et au service public de l’énergie (Gesetz Nr. 2003-8 vom 3. Januar 2003 über die Märkte für Gas und Elektrizität und die öffentliche Energieversorgung, JORF vom 4. Januar 2003, S. 265, im Folgenden: Gesetz von 2003) verlieh das Gesetz von 1946 Gaz de France ein Monopol für die Ein- und Ausfuhr von Gas.

    8 Das Gesetz von 2003, das die Erste Gasrichtlinie umsetzen sollte, öffnete den französischen Gasmarkt für den Wettbewerb. Durch dieses Gesetz wurde insbesondere zugelassenen Kunden der Zugang zu den Netzen und zur Lieferung von Erdgas eröffnet und das Ein- und Ausfuhrmonopol für Gas abgeschafft.

    9 Gaz de France wurde durch das Gesetz Nr. 2004-803 in eine Aktiengesellschaft (société anonyme) umgewandelt.

    Deutsches Recht

    10 Das Energiewirtschaftsgesetz vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1451, im Folgenden: EnWG von 1935) sah ein System der staatlichen Bewilligung und Aufsicht über die Tätigkeiten der deutschen Gasversorgungsunternehmen vor.

    11 Nach § 103 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1081, im Folgenden: GWB) waren bestimmte Verträge zwischen Energieversorgungsunternehmen sowie zwischen diesen Unternehmen und Gebietskörperschaften vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen ausgenommen. Diese Freistellung galt insbesondere für sogenannte Demarkationsverträge, in denen Unternehmen untereinander vereinbarten, das Gebiet des jeweils anderen nicht mit Elektrizität oder Gas zu beliefern, sowie für sogenannte ausschließliche Konzessionsverträge, in denen eine Gebietskörperschaft einem Unternehmen ein ausschließliches Recht zur Nutzung öffentlicher Grundstücke für den Bau und Betrieb von Elektrizitäts- und Gasverteilernetzen einräumte. Zu ihrer Durchführung mussten diese Verträge bei der zuständigen Kartellbehörde angemeldet werden, die sie verbieten konnte, wenn sie bei ihnen von einem Missbrauch der gesetzlichen Freistellung ausging.

    12 Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. April 1998 (BGBl. 1998 I S. 730) wurde die in § 103 GWB vorgesehene Freistellung für Demarkations- und ausschließliche Konzessionsverträge mit sofortiger Wirkung abgeschafft. Außerdem ersetzte dieses Gesetz das EnWG von 1935 durch das Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung – Energiewirtschaftsgesetz (im Folgenden: EnWG von 1998).

    13 Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 20. Mai 2003 (BGBl. 2003 I S. 685) wurde das EnWG von 1998 zum Zweck der Umsetzung der Ersten Gasrichtlinie geändert.

    Vorgeschichte des Rechtsstreits

  4. Betroffene Unternehmen

    14 Die Klägerin, die GDF Suez SA, die am 22. Juli 2008 aus dem Zusammenschluss von Gaz de France und der Suez SA entstand, ist ein französisches Unternehmen, das entlang der gesamten Energiewertschöpfungskette von Strom und Erdgas sowohl auf vor- als auch auf nachgelagerten Märkten tätig ist. Die GDF Suez SA ist der etablierte und führende Erdgasanbieter in Frankreich. Sie ist darüber hinaus einer der größten Erdgasanbieter in Europa.

    15 Die E.ON AG (im Folgenden: E.ON) ist ein deutsches Unternehmen, das in den Bereichen Produktion, Transport, Verteilung und Lieferung von Energie – in erster Linie Erdgas und Strom – tätig ist.

    16 Die E.ON Ruhrgas AG (im Folgenden: E.ON Ruhrgas), die aus dem Zusammenschluss von E.ON und der Ruhrgas AG (im Folgenden: Ruhrgas) hervorgegangen ist und deren Anteile seit dem 31. Januar 2003 zu 100 % von E.ON gehalten werden, ist der größte Erdgasversorger in Deutschland und einer der führenden Akteure auf dem europäischen Markt. Mit Entscheidung vom 18. September 2002, mit der dieser Zusammenschluss genehmigt wurde, verpflichteten die deutschen Behörden E.ON Ruhrgas zur Durchführung eines Gasfreigabeprogramms mit einem Gesamtvolumen von 200 TWh. Diese Menge war in sechs jährlichen Versteigerungen zu je 33,33 TWh freizugeben, wobei die ersten Lieferungen am 1. Oktober 2003 erfolgen sollten.

  5. MEGAL-Vereinbarung

    17 Mit Vereinbarung vom 18. Juli 1975 („Basic Agreement“, im Folgenden: MEGAL‑Vereinbarung) beschlossen Gaz de France und Ruhrgas, gemeinsam die Gasfernleitung MEGAL (im Folgenden: MEGAL‑Gasfernleitung) zu bauen und zu betreiben. Diese Gasfernleitung, die seit dem 1. Januar 1980 vollständig in Betrieb ist, ist eine der Hauptleitungen für die Einfuhr von Gas nach Deutschland und Frankreich. Sie verläuft durch Süddeutschland und verbindet über 461 km hinweg die deutsch-tschechische mit der deutsch-französischen Grenze von Waidhaus (Deutschland) bis Medelsheim (Deutschland).

    18 In Anhang 2 der MEGAL-Vereinbarung wurden die Ein- und Ausspeisepunkte für das von Gaz de France bzw. Ruhrgas erworbene Gas festgelegt. Eine Reihe von Ausspeisepunkten entlang der MEGAL‑Gasfernleitung wurde für Ruhrgas festgelegt, wobei gegebenenfalls noch weitere Ausspeisepunkte vorgesehen werden konnten. Zu Gaz de France wurde vermerkt, dass der Ausspeisepunkt der MEGAL-Gasfernleitung für das gesamte über diese Leitung für Gaz de France transportierte Gasvolumen ein Punkt an der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich in der Nähe von Habkirchen (Deutschland) sein werde, sofern die Beteiligten nicht etwas anderes vereinbarten.

    19 Gemäß der MEGAL‑Vereinbarung gründeten Gaz de France und Ruhrgas das Gemeinschaftsunternehmen MEGAL GmbH Mittel-Europäische Gasleitungsgesellschaft, aus der die MEGAL Mittel-Europäische Gasleitungsgesellschaft mbH & Co. KG (im Folgenden: MEGAL) entstand, die für den Bau und den Betrieb der MEGAL-Gasfernleitung sowie die Beförderung von Gas durch die Fernleitung zuständig sein sollte. MEGAL wurde auch das Eigentum an der Gasfernleitung zugewiesen.

    20 Gaz de France und Ruhrgas gründeten gemäß der MEGAL‑Vereinbarung ferner das Gemeinschaftsunternehmen MEGAL Finance Co. Ltd (im Folgenden: MEGAL Finco), das das für den Bau der MEGAL-Gasfernleitung erforderliche Kapital beschaffen und verwalten sollte.

    21 Am 18. Juli 1975 unterzeichneten Ruhrgas und Gaz de France darüber hinaus dreizehn Schreiben (im Folgenden: Beibriefe), mit denen bestimmte technische, finanzielle und operative Aspekte der Verwaltung der MEGAL-Gasfernleitung präzisiert...

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