Urteile nº T-143/12 of TGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, July 14, 2016

Resolution DateJuly 14, 2016
Issuing OrganizationTGericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
Decision NumberT-143/12

„Staatliche Beihilfen - Postsektor - Finanzierung der höheren Lohn- und Lohnnebenkosten bei einem Teil der Beschäftigten der Deutschen Post durch Subventionen und Erlöse aus den preisregulierten Diensten - Beschluss, mit dem die Unvereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt festgestellt wird - Begriff des Vorteils - Urteil Combus - Nachweis eines selektiven wirtschaftlichen Vorteils - Fehlen“

In der Rechtssache T-143/12

Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch T. Henze und K. Petersen, dann durch T. Henze und K. Stranz als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt U. Soltész,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch D. Grespan, T. Maxian Rusche und R. Sauer als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung, gemäf‌l Art. 263 AEUV, der Art. 1, 4, 5 und 6 des Beschlusses 2012/636/EU der Kommission vom 25. Januar 2012 über die Maf‌lnahme C 36/07 (ex NN 25/07) Deutschlands zugunsten der Deutschen Post AG (ABl. 2012, L 289, S. 1) erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten D. Gratsias, der Richterin M. Kancheva und des Richters C. Wetter (Berichterstatter),

Kanzler: S. Bukšek Tomac, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2015

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Die Bundesrepublik Deutschland, die Klägerin in der vorliegenden Rechtssache, errichtete 1950 eine Post, die Deutsche Bundespost. Diese hatte den Status eines „Sondervermögens des Bundes“: Sie hatte nach dem deutschen Verwaltungsrecht keine eigene Rechtspersönlichkeit, aber einen eigenen Haushalt und haftete nicht für die allgemeinen Verbindlichkeiten des Bundes. ß 15 des Gesetzes über die Verwaltung der Deutschen Bundespost vom 24. Juli 1953 (BGBl. 1953 I S. 676) verbot grundsätzlich die Leistung von Zuschüssen an die Deutsche Bundespost aus der Bundeskasse.

2 Das Bestehen eines eigenen Haushalts und einer eigenen Rechnungsführung der Deutschen Bundespost wurde in der Folge mit dem Haushaltsgrundsätzegesetz vom 19. August 1969 (BGBl. 1969 I S. 1273) bestätigt.

3 1989 führte die Bundesrepublik Deutschland mit zwei Gesetzen, dem Gesetz über die Unternehmensverfassung der Deutschen Bundespost vom 8. Juni 1989 (BGBl. 1989 I S. 1026, im Folgenden: Postverfassungsgesetz oder PostVerfG) und dem Gesetz über das Postwesen vom 3. Juli 1989 (BGBl. 1989 I S. 1450), eine erste grundlegende Reform der Deutschen Bundespost durch. Dieser wurde dabei keine eigene Rechtspersönlichkeit gewährt. Vielmehr wurde das Sondervermögen des Bundes in drei gesonderte Bereiche aufgeteilt: den Postdienst, die Postbank und die Telekom. Diese Teilbereiche blieben, obwohl sie als „öffentliche Unternehmen“ bezeichnet wurden, Sondervermögen des Bundes, hatten also nach wie vor insbesondere keine eigene Rechtspersönlichkeit.

4 Nach ß 37 Abs. 2 und 3 PostVerfG sollten die drei Teilbereiche für die von ihnen angebotenen Dienste jeweils die vollen Kosten erwirtschaften, jedoch war ein Finanzausgleich zwischen ihnen zulässig, wenn die festgestellten Verluste Folge der Universaldienstleistungspflicht waren. Nach ß 54 Abs. 2 PostVerfG trugen Postdienst, Postbank und Telekom bei den Ruhestandsbeamten der Deutschen Bundespost sämtliche Ausgaben für die Versorgung und die Beihilfe in Krankheitsfällen. Im Innenverhältnis wurden diese Ausgaben nach Maf‌lgabe der Art der früheren Tätigkeiten der einzelnen Ruhestandsbeamten getragen. Den noch aktiven Beamten garantierte die genannte Bestimmung Rechte gegenüber dem Bund. Jedoch konnte dieser vom Postdienst, von der Postbank und von der Telekom die Erstattung der entsprechenden Beträge verlangen.

5 Am 7. Juli 1994 ging bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine Beschwerde der UPS Europe NV/SA (im Folgenden: UPS) ein. Sie machte geltend, dem Postdienst seien von der Bundesrepublik Deutschland rechtswidrige Beihilfen gewährt worden.

6 1994 erfolgte auch die zweite grundlegende Reform des deutschen Postsystems, zunächst durch die Verordnung zur Regelung der Pflichtleistungen der Deutschen Bundespost Postdienst vom 12. Januar 1994 (BGBl. 1994 I S. 86, im Folgenden: POSTDIENST-Pflichtleistungsverordnung oder PPflLV), dann durch die Gesetze vom 14. September 1994 zum Personalrecht der Beschäftigten der früheren Deutschen Bundespost (BGBl. 1994 I S. 2325, im Folgenden: Postpersonalrechtsgesetz oder PostPersRG) und zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (BGBl. 1994 I S. 2325, im Folgenden: Postumwandlungsgesetz oder PostUmwG).

7 Durch die POSTDIENST-Pflichtleistungsverordnung wurde der Postdienst als Universaldienstleistungserbringer mit der Aufgabe betraut, Briefe und Pakete bis zu einem Gewicht von 20 kg im gesamten deutschen Hoheitsgebiet zu einheitlichen Leistungsentgelten zu befördern und die entsprechenden Dienste zu erbringen. Diese Verpflichtung blieb unverändert bestehen, als der Postdienst durch das Postumwandlungsgesetz ab dem 1. Januar 1995 in die Deutsche Post AG (im Folgenden: Deutsche Post) umgewandelt wurde. Auch die Postbank und die Telekom wurden an diesem Tag zu Aktiengesellschaften.

8 Nach ß 1 Abs. 1 PostPersRG nahm die Deutsche Post die dem Bund als Dienstherrn obliegenden Rechte und Pflichten wahr. Dementsprechend sah ß 2 Abs. 1 PostPersRG vor, dass die vom Postdienst beschäftigten Beamten unter Beibehaltung ihres Status und ihrer entsprechenden vermögensrechtlichen Ansprüche (ß 2 Abs. 3 PostPersRG) von der Deutschen Post übernommen würden. Für die Versorgungs- und Beihilfeleistungen an Ruhestandsbeamte wurde gemäf‌l ß 15 PostPersRG ein Pensionsfonds eingerichtet. Die von der Deutschen Bundespost und dann von den drei ihr nachfolgenden Teilsondervermögen eingegangenen Verbindlichkeiten wurden durch ß 2 Abs. 2 PostUmwG in vollem Umfang auf die Telekom übertragen. Im Gegenzug sah diese Vorschrift für die Telekom die Möglichkeit eines Rückgriffs gegen den Postdienst und die Postbank vor. Nach ß 7 PostUmwG erlöschen die Rückgriffsforderungen der Telekom in Abweichung von ß 2 Abs. 2 PostUmwG jedoch hinsichtlich der vom Postdienst bis zum 31. Dezember 1994 angehäuften Verluste. Dieses Erlöschen von Forderungen hat zu einer Übertragung entsprechender Aktiva zugunsten der Deutschen Post geführt.

9 Das Postumwandlungsgesetz sah ferner vor, dass der Bund die Gewährleistung für die Erfüllung aller von der Deutschen Bundespost vor 1995 eingegangenen und danach auf den Postdienst oder eine der beiden anderen 1989 geschaffenen Teilbereiche übergegangenen Verbindlichkeiten trägt. Für die von der Deutschen Post ab dem 1. Januar 1995 ausgegebenen Schuldtitel wurde dies nicht vorgesehen.

10 Im Postpersonalrechtsgesetz war auch geregelt, in welcher Höhe der Bund und die Deutsche Post die jährlich an den durch ß 15 dieses Gesetzes gegründeten Pensionsfonds zu leistenden Beiträge zu tragen hatten. ß 16 PostPersRG sah für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1999 die Zahlung einer pauschalen Jahresrate in Höhe von 2 045 Mio. Euro durch die Deutsche Post vor. Ab dem 1. Januar 2000 wurde diese pauschale Jahresrate durch einen Betrag in Höhe von 33 % der gesamten Bezüge der von der Deutschen Post beschäftigten Beamten ersetzt. Für beide Fälle sah ß 16 PostPersRG vor, dass der Bund (ab dem 1. Januar 1995) Unterschiedsbeträge, die sich nach Zahlung der Ruhegehälter ergeben, ausgleicht.

11 1997 wurde die POSTDIENST-Pflichtleistungsverordnung durch das Postgesetz vom 22. Dezember 1997 (BGBl. 1997 I S. 3294, im Folgenden: Postgesetz oder PostG) ergänzt, mit dem insbesondere die Universaldienstleistungspflicht der Deutschen Post verlängert wurde. ß 11 PostG definierte den Universaldienst u. a. als die Beförderung von Briefsendungen, von Paketen, deren Einzelgewicht 20 kg nicht übersteigt, und von Büchern, Katalogen, Zeitungen oder Zeitschriften, deren Gewicht 200 g nicht übersteigt. Mit ß 52 PostG wurde die Universaldienstleistungspflicht der Deutschen Post bis zum 31. Dezember 2007, dem Tag des Ablaufs ihrer Exklusivlizenz für Briefsendungen, verlängert. Die Gewichtsobergrenze für Briefe und Kataloge wurde zwischen dem 1. Januar 1998, dem Tag des Inkrafttretens des Postgesetzes, und dem Tag des Ablaufs der Exklusivlizenz schrittweise auf schlief‌llich 50 g herabgesetzt.

12 1997 war auch für die Personalverwaltung der Deutschen Post ein einschneidendes Jahr. Die vor 1997 eingestellten Arbeiter und Angestellten fielen nämlich nicht nur unter die gesetzliche Sozialversicherung. Sie hatten darüber hinaus die Möglichkeit, über eine Zusatzrentenversicherung zu verfügen, mit der sie eine Rente erreichen konnten, die mit den Ruhegehältern der Ruhestandsbeamten der Deutschen Post vergleichbar war. Bis 1997 wurde die Zusatzrente der Arbeiter und Angestellten durch die Deutsche Post auf der Grundlage eines Beitrags zwischen 5 % und 10 % des Bruttogehalts eines aktiven Arbeiters oder Angestellten finanziert. Ab 1997 bildete die Deutsche Post Rückstellungen für die zukünftigen Zahlungen an die Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost. Für neu eingestellte Arbeiter und Angestellte schloss sie eine weniger umfangreiche Zusatzrentenversicherung ab, die sie auf der Grundlage eines Beitrags zwischen 0 % und 5 % des Bruttogehalts eines aktiven Arbeiters oder Angestellten finanzierte.

13 Auf die Beschwerde von UPS hin eröffnete die Kommission am 17. August 1999 ein förmliches Prüfverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, das sich auf mehrere dem Postdienst und dann der Deutschen Post gewährte Beihilfen bezog (im Folgenden: Eröffnungsbeschluss von 1999). Dazu gehörten staatliche Garantien der Bundesrepublik Deutschland zur Gewährleistung für die Erfüllung der von der Deutschen Bundespost vor ihrer Umwandlung in drei Aktiengesellschaften eingegangenen Verbindlichkeiten, die staatliche Finanzierung der Ruhegehälter der Beschäftigten des Postdiensts und der Deutschen Post (im Folgenden: staatliche Finanzierung der Ruhegehälter) und eine der...

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