Urteile nº T-798/17 of Tribunal General de la Unión Europea, March 12, 2019

Resolution DateMarch 12, 2019
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-798/17

„Zugang zu Dokumenten - Beschluss 2004/258/EG - Dokument mit dem Titel ‚Antworten auf Fragen zur Auslegung des Art. 14.4 des Protokolls über die Satzung des ESZB und der EZB‘ - Verweigerung des Zugangs - Ausnahme zum Schutz der Rechtsberatung - Ausnahme zum Schutz von Dokumenten für den internen Gebrauch - Überwiegendes öffentliches Interesse“

In der Rechtssache T-798/17

Fabio De Masi, wohnhaft in Hamburg (Deutschland),

Yanis Varoufakis, wohnhaft in Athen (Griechenland),

Prozessbevollmächtigter: Professor A. Fischer-Lescano,

Kläger,

gegen

Europäische Zentralbank (EZB), vertreten durch T. Filipova und F. von Lindeiner als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt H.-G. Kamann,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses der EZB vom 16. Oktober 2017, mit dem den Klägern der Zugang zu dem Dokument vom 23. April 2015 mit dem Titel „Antworten auf Fragen zur Auslegung von Art. 14.4 des Protokolls über die Satzung des ESZB und der EZB“ verweigert wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek, des Richters F. Schalin und der Richterin M. J. Costeira (Berichterstatterin),

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1 Mit Schreiben vom 24. April 2017 beantragten die Kläger Fabio De Masi und Yanis Varoufakis bei der Europäischen Zentralbank (EZB) nach dem Beschluss 2004/258/EG der EZB vom 4. März 2004 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der Europäischen Zentralbank (EZB/2004/3) (ABl. 2004, L 80, S. 42) in der durch die Beschlüsse 2011/342/EU der EZB vom 9. Mai 2011 (EZB/2011/6) (ABl. 2011, L 158, S. 37) und (EU) 2015/529 der EZB vom 21. Januar 2015 (EZB/2015/1) (ABl. 2015, L 84, S. 64) geänderten Fassung den Zugang zu allen externen Rechtsgutachten, die die EZB habe erstellen lassen, um ihre Beschlüsse vom 4. Februar und vom 28. Juni 2015 betreffend die Bereitstellung von Notfall-Liquiditätshilfen, die die griechische Zentralbank griechischen Banken gewährte, zu prüfen.

2 Mit Schreiben vom 31. Mai 2017 teilte die EZB den Klägern mit, dass sie keine Rechtsgutachten für die genannten Entscheidungen eingeholt habe. Ferner informierte sie die Kläger über die Existenz eines externen Rechtsgutachtens vom 23. April 2015 mit dem Titel „Responses to questions concerning the interpretation of Art. 14.4 of the Statute of the ESCB and of the ECB [(Antworten auf Fragen zur Auslegung des Art. 14.4 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken [ESZB] und der Europäischen Zentralbank [EZB])]“ (im Folgenden: streitiges Dokument).

3 Mit Schreiben vom 7. Juli 2017 beantragten die Kläger bei der EZB Zugang zu dem streitigen Dokument nach dem Beschluss 2004/258.

4 Mit Schreiben vom 3. August 2017 verwehrte die EZB den Zugang zu dem streitigen Dokument aufgrund der in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 2004/258 vorgesehenen Ausnahme in Bezug auf den Schutz der Rechtsberatung zum einen und der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 dieses Beschlusses enthaltenen Ausnahme für Dokumente zum internen Gebrauch zum anderen.

5 Mit Schreiben vom 30. August 2017 stellten die Kläger einen Zweitantrag für das streitige Dokument nach Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses 2004/258.

6 Mit Schreiben vom 16. Oktober 2017 bestätigte die EZB den Beschluss vom 3. August 2017 und verweigerte den Zugang zum streitigen Dokument (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Diese Verweigerung wurde auf die gleichen Ausnahmen wie im Beschluss vom 3. August 2017 gestützt.

Verfahren und Anträge der Parteien

7 Die Kläger haben mit Klageschrift, die am 8. Dezember 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

8 Am 22. Februar 2018 hat die EZB ihre Klagebeantwortung bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

9 Die Erwiderung und die Gegenerwiderung sind am 22. März 2018 bzw. am 2. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen.

10 Mit Beschluss vom 27. September 2018 hat das Gericht die EZB aufgrund von Art. 91 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts dazu verpflichtet, das streitige Dokument vorzulegen. Die EZB ist dieser Aufforderung fristgerecht nachgekommen. Gemäfl Art. 104 der Verfahrensordnung ist dieses Dokument den Klägern nicht bekannt gegeben worden.

11 Das Gericht (Zweite Kammer) hat gemäfl Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

12 Die Kläger beantragen,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

- der EZB die Kosten aufzuerlegen.

13 Die EZB beantragt,

- die Klage als unbegründet abzuweisen;

- den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

14 Die Kläger stützen ihre Klage im Wesentlichen auf zwei Gründe: erstens einen Verstofl gegen Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 2004/258 und zweitens einen Verstofl gegen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des gleichen Beschlusses.

15 Vorab ist, was den rechtlichen Rahmen für das Recht auf Zugang zu Dokumenten der EZB betrifft, festzustellen, dass in Art. 1 Abs. 2 EUV der Grundsatz der Offenheit des Entscheidungsprozesses der Europäischen Union verankert ist. Art. 15 Abs. 1 AEUV stellt insoweit klar, dass die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit handeln, um eine verantwortungsvolle Verwaltung zu fördern und die Beteiligung der Zivilgesellschaft sicherzustellen. Nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV hat jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsgemäflem Sitz in einem Mitgliedstaat vorbehaltlich der Grundsätze und Bedingungen, die nach diesem Absatz festzulegen sind, das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, unabhängig von der Form der für diese Dokumente verwendeten Träger. Ferner werden gemäfl Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV die allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung dieses Rechts auf Zugang zu Dokumenten vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union durch Verordnungen gemäfl dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren festgelegt. Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 3 AEUV bestimmt, dass die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen die Transparenz ihrer Tätigkeit gewährleisten und im Einklang mit den in Unterabs. 2 genannten Verordnungen in ihrer Geschäftsordnung Sonderbestimmungen hinsichtlich des Zugangs zu ihren Dokumenten festlegen. Nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV gilt dieser Absatz für den Gerichtshof der Europäischen Union, die EZB und die Europäische Investitionsbank (EIB) nur dann, wenn sie Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.

16 Der Beschluss 2004/258 soll, wie sich aus seinen Erwägungsgründen 2 und 3 ergibt, einen umfassenderen Zugang zu den Dokumenten der EZB als unter der Geltung des Beschlusses EZB/1998/12 der EZB vom 3. November 1998 über den Zugang der Öffentlichkeit zur Dokumentation und zu den Archiven der EZB (ABl. 1999, L 110, S. 30) gewähren, wobei gleichzeitig die Unabhängigkeit der EZB und der nationalen Zentralbanken sowie die Vertraulichkeit bestimmter Angelegenheiten, die speziell die Erfüllung der Aufgaben der EZB betreffen, geschützt werden sollen. Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2004/258 verleiht daher jedem Unionsbürger sowie jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat vorbehaltlich der in diesem Beschluss festgelegten Bedingungen und Einschränkungen ein Recht auf Zugang zu den Dokumenten der EZB.

17 Dieses Recht unterliegt aus Gründen des öffentlichen oder privaten Interesses bestimmten Grenzen. Insbesondere sieht Art. 4 des Beschlusses 2004/258 im Einklang mit dessen viertem Erwägungsgrund eine Ausnahmeregelung vor, die es der EZB gestattet, den Zugang zu einem Dokument zu verweigern, durch dessen Verbreitung eines der mit den Abs. 1 und 2 dieses Artikels geschützten Interessen beeinträchtigt würde oder das zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb der EZB oder zum Meinungsaustausch zwischen der EZB mit den nationalen Zentralbanken, den zuständigen nationalen Behörden oder den benannten nationalen Behörden bestimmt ist oder einen Meinungsaustausch zwischen der EZB und den anderen relevanten Behörden und Einrichtungen ausdrückt. Da mit den Ausnahmen vom Recht auf Zugang, wie sie in Art. 4 des Beschlusses 2004/258 geregelt sind, vom Recht auf Zugang...

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