Urteile nº T-108/18 of Tribunal General de la Unión Europea, February 24, 2021

Resolution DateFebruary 24, 2021
Issuing OrganizationTribunal General de la Unión Europea
Decision NumberT-108/18

„Schiedsklausel - Tempus-IV-Programme - Finanzhilfevereinbarungen - Vertragliche Natur des Rechtsstreits - Umdeutung der Klage - Förderfähige Kosten - Systembedingte, immer wiederkehrende Unregelmäfligkeiten - Vollständige Erstattung der gezahlten Beträge - Verhältnismäfligkeit - Anspruch auf rechtliches Gehör - Begründungspflicht - Art. 41 der Charta der Grundrechte“

In der Rechtssache T-108/18,

Universität Koblenz-Landau mit Sitz in Mainz (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt C. von der Lühe und Rechtsanwältin I. Felder,

Klägerin,

gegen

Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA), vertreten durch H. Monet als Bevollmächtigten im Beistand der Rechtsanwälte R. van der Hout und C. Wagner,

Beklagte,

betreffend einen Antrag nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Schreiben der EACEA vom 21. Dezember 2017 und vom 7. Februar 2018 bezüglich der Beträge, die an die Klägerin im Rahmen der für die Durchführung von drei Projekten im Bereich der Hochschulbildung geschlossenen Finanzhilfevereinbarungen gezahlt wurden, und hilfsweise einen Antrag nach Art. 272 AEUV auf Feststellung, dass der geltend gemachte Rückforderungsanspruch nicht bestehe,

erlässt

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas, der Richter A. Kornezov (Berichterstatter) und E. Buttigieg, der Richterin K. Kowalik-Bańczyk und des Richters G. Hesse,

Kanzler: L. Ramette, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2020

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Die Klägerin, die Universität Koblenz-Landau, ist eine deutsche öffentlich-rechtliche Hochschule.

2 In den Jahren 2008 und 2010 unterzeichnete die Klägerin im Rahmen der Programme der Europäischen Union zur Kooperation mit Drittstaaten für die Modernisierung von deren Hochschulbildung, genannt Tempus IV, die drei folgenden Finanzhilfevereinbarungen:

- die Finanzhilfevereinbarung Nr. 2008-4744 vom 5. Dezember 2008 für die Durchführung des Projekts „Educational Centers Network on Modern Technologies of Local Governing“ (Netzwerk von Bildungszentren für moderne Technologien lokaler Verwaltung) (im Folgenden: Ecesis-Vereinbarung), die von der Klägerin als einziger Begünstigter und der Europäischen Kommission unterzeichnet wurde;

- die Finanzhilfevereinbarung Nr. 2010-2844 vom 18. Oktober 2010 für die Durchführung des Projekts „Development and Integration of University Self-assessment Systems“ (Entwicklung und Integration von Selbstbeurteilungssystemen für Universitäten) (im Folgenden: Diusas-Vereinbarung), die u. a. von der Klägerin als Koordinatorin und Mitbegünstigter sowie von der Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA) unterzeichnet wurde;

- die Finanzhilfevereinbarung Nr. 2010-2862 vom 30. September 2010 für die Durchführung des Projekts „Development of Quality Assurance System in Turkmenistan on the basis of Bologna Standards“ (Entwicklung eines Qualitätssicherungssystems in Turkmenistan auf der Grundlage der Kriterien des Bologna-Prozesses) (im Folgenden: Deque-Vereinbarung), die u. a. von der Klägerin als Koordinatorin und Mitbegünstigter sowie von der EACEA unterzeichnet wurde.

3 Nach Art. I.8 Abs. 1 der Ecesis-Vereinbarung unterliegt die Gewährung der davon erfassten Finanzhilfe in erster Linie den Bestimmungen dieser Vereinbarung und den anwendbaren Vorschriften des Unionsrecht sowie, hilfsweise, den belgischen Rechtsvorschriften über die Gewährung von Finanzhilfen. Die Diusas- und die Deque-Vereinbarung unterliegen, wie jeweils aus ihrem Art. I.9 hervorgeht, den vertraglichen Bestimmungen und den anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts.

4 Art. I.8 Abs. 2 der Ecesis-Vereinbarung sowie Art. I.9 der Diusas- und der Deque-Vereinbarung (im Folgenden zusammen: streitige Vereinbarungen) bestimmen, dass Entscheidungen der EACEA über die Anwendung der Klauseln der betreffenden Finanzhilfevereinbarung sowie die Modalitäten ihrer Durchführung Gegenstand einer Klage der Begünstigten vor den Unionsgerichten sein können.

5 In Anwendung der streitigen Vereinbarungen zahlte die EACEA an die Klägerin Fördermittel in Höhe von 756 381,89 Euro im Rahmen der Ecesis-Vereinbarung, 736 493,52 Euro im Rahmen der Diusas-Vereinbarung und 345 500,10 Euro im Rahmen der Deque-Vereinbarung.

6 Im Jahr 2014 beauftragte die EACEA eine spezialisierte Gesellschaft damit, bei der Klägerin ein Audit durchzuführen, um zu überprüfen, ob die von der Klägerin deklarierten Kosten den Bestimmungen der streitigen Vereinbarungen entsprachen.

7 Am 22. April 2016 übermittelten die Prüfer der Klägerin den Entwurf des Prüfberichts vom 16. November 2015 (im Folgenden: Entwurf des Prüfberichts). Die Untersuchung der Prüfer beruhte auf den von der Klägerin vorgelegten Informationen sowie auf Informationen, die sie bei Nachprüfungen in den Räumlichkeiten der Klägerin, die zwischen dem 10. und dem 14. November 2014 stattfanden, gesammelt hatten. Die Prüfer führten auflerdem zwischen dem 1. und dem 7. Juni 2015 einen Besuch vor Ort in den Räumlichkeiten bestimmter Mitbegünstigter im Rahmen der Deque-Vereinbarung in Aschgabat (Turkmenistan) durch. Auf der Grundlage einer Prüfung, die laut dem Prüfbericht 90,93 % der im Rahmen des Projekts bezüglich der Ecesis-Vereinbarung geltend gemachten Kosten, 90,05 % der im Rahmen des Projekts bezüglich der Diusas-Vereinbarung geltend gemachten Kosten und 93,42 % der im Rahmen des Projekts bezüglich der Deque-Vereinbarung geltend gemachten Kosten umfasste, stellten die Prüfer mehrere möglicherweise systembedingte Unregelmäfligkeiten in Bezug auf die durch die erhaltenen Zuschüsse finanzierten Ausgaben fest.

8 Am 23. Mai 2016 hielten die EACEA und die Klägerin in Brüssel (Belgien) eine Besprechung zu den im Entwurf des Prüfberichts enthaltenen Feststellungen ab. Mit E-Mail vom 29. Juli 2016 übermittelte die Klägerin der EACEA ihre Stellungnahme zum Protokoll dieser Besprechung.

9 Mit Schreiben vom 30. August 2016 teilte das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) der Klägerin mit, dass es ebenfalls eine Untersuchung eingeleitet habe, die u. a. die Ausgaben in Bezug auf die streitigen Vereinbarungen und den Verdacht eines diesbezüglichen Betrugs betreffe.

10 Mit Schreiben vom 29. September 2016, von dem auch eine Kopie an das OLAF ging, übermittelte die Klägerin der EACEA ihre Stellungnahme zum Entwurf des Prüfberichts.

11 Mit Schreiben vom 11. November 2016 übermittelte die Klägerin dem OLAF ihre Stellungnahme zu dessen Schreiben vom 30. August 2016.

12 Mit Schreiben vom 4. Juli 2017 forderte die EACEA die Klägerin auf, ihr innerhalb einer bestimmten Frist und anhand einer Tabelle Angaben zu den Beträgen zu übermitteln, die sie aufgrund der Diusas- und der Deque-Vereinbarung erhalten und anschlieflend an die Mitbegünstigten der diese Vereinbarungen betreffenden Projekte gezahlt habe.

13 Mit Schreiben vom 26. Juli 2017 übermittelte die EACEA der Klägerin den endgültigen Prüfbericht vom 16. Dezember 2016 (im Folgenden: endgültiger Prüfbericht), der die im Entwurf des Prüfberichts festgestellten Unregelmäfligkeiten bei der Durchführung der streitigen Vereinbarungen bestätigte, und fügte ihrem Schreiben auch den Abschlussbericht des OLAF vom 21. November 2016 bei (im Folgenden: Abschlussbericht des OLAF).

14 Die Prüfer empfahlen die Rückforderung von 754 670,95 Euro von dem aufgrund der streitigen Vereinbarungen gezahlten Gesamtbetrag von 2 123 470,12 Euro, nämlich 389 123,88 Euro im Rahmen der Ecesis-Vereinbarung, 302 179,34 Euro im Rahmen der Diusas-Vereinbarung und 63 367,73 Euro im Rahmen der Deque-Vereinbarung. Sie wiesen jedoch in Nr. I.2.1 des endgültigen Prüfberichts darauf hin, dass der Betrag der erforderlichen Berichtigungen so hoch sei, dass sie nicht zu dem Schluss gelangen könnten, dass die geltend gemachten Kosten die förderfähigen Ausgaben korrekt widerspiegelten oder dass diese Kosten dem Begünstigten im Einklang mit den Vertragsbestimmungen entstanden seien. In Nr. I.2.2 des Berichts empfahlen sie, dass die EACEA insoweit unverzüglich eine zusätzliche Untersuchung bei der Klägerin und ihren Mitbegünstigten durchführen sollte.

15 Im Abschlussbericht des OLAF wurde ausgeführt, es bestehe der Verdacht des Betrugs bei der Durchführung der streitigen Vereinbarungen, da die Glaubhaftigkeit zahlreicher von verschiedenen Lieferanten ausgestellter Rechnungen zweifelhaft erscheine und fraglich sei, ob die Lieferanten tatsächlich für einen Betrag von 374 031,31 Euro geschäftlich tätig gewesen seien. Zu den Unregelmäfligkeiten in Bezug auf die Beträge, die unmittelbar auf den Privatkonten der beiden bei der Klägerin beschäftigten natürlichen Personen eingegangen seien, die Projektmanager der streitigen Vereinbarungen gewesen seien und diese Beträge in der Folgezeit angeblich in bar gezahlt hätten, sei darauf hinzuweisen, dass das OLAF nicht habe überprüfen können, ob die fraglichen Beträge an das betroffene Personal gezahlt worden seien, da solche Überprüfungen „eine gerichtliche Genehmigung erforderten“.

16 Mit Schreiben vom 26. Juli 2017 teilte die EACEA der Klägerin auflerdem mit, dass sie wegen der Schwere der im endgültigen Prüfbericht und im Abschlussbericht des OLAF festgestellten Unregelmäfligkeiten sowie wegen deren systembedingten, immer wiederkehrenden Charakters beabsichtige, sämtliche der Klägerin aufgrund der streitigen Vereinbarungen gezahlten Beträge auf der Grundlage von Art. II.19 Abs. 3 und 5 dieser Vereinbarungen sowie von Art. 135 Abs. 4 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) einzuziehen. In Bezug auf die Diusas- und die Deque-Vereinbarung wies die EACEA jedoch darauf hin, dass sie beabsichtige, nur die Rückzahlung der Beträge zu verlangen, die die Klägerin als Endbegünstigte erhalten...

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